Die Rolle der Wohnungswirtschaft bei der kinderfreundlichen Quartiersentwicklung
Von Claudia Neumann (Deutsches Kinderhilfswerk e.V.)
Einen wichtigen Baustein im Netz der bespielbaren Stadt bilden die leicht erreichbaren, wohnortnahen Spielplätze. Insbesondere für jüngere Kinder haben die hausnahen Spielplätze eine große Bedeutung. Ihr Aktionsradius vergrößert sich erst mit den Jahren und stagniert dabei sogar, wenn frühe Erfahrungen auf hausnahen Spielplätzen ausbleiben. Seit einigen Jahren beobachtet das Deutsche Kinderhilfswerk jedoch mit großer Sorge, dass etliche Eigentümer*innen von Mehrfamilienhäusern ihrer Pflicht zur Schaffung von Spielgelegenheiten auf dem eigenen Grundstück nicht mehr in dem ausreichenden Maße nachkommen, wie vom Gesetzgeber vorgesehen. Damit geht nicht nur ein bedeutendes Flächenpotential verloren, der Nutzungsdruck auf die verbliebenen öffentlichen Spielflächen steigt dadurch um ein Vielfaches. Folglich sahen wir die Notwendigkeit, eine bundesweite Untersuchung (www.dkhw.de/spielplatzstudie) vorzunehmen und dabei gezielt herauszuarbeiten, über welchen Handlungsspielraum die Kommunen tatsächlich verfügen, um die Einhaltung der Pflicht zum Spielplatzbau einzufordern und welche Vorschläge zur quantitativen und qualitativen Verbesserung der Situation unterbereitet werden können. Die Bilanz der bereits in 2018 vorgelegten Studie zeigte, dass sowohl in den gesetzlichen Grundlagen der einzelnen Bundesländer als auch in der kommunalen Praxis erhebliche Unterschiede bestehen. Daraus resultierend wurden zentrale Regulierungsvorschläge unterbreitet, die zur Stärkung der Bedeutung von hausnahen Spielplätzen im Rahmen einer kinderfreundlichen Stadtgestaltung beitragen. Realisierbar wurde die Studie dank der kompetenten Zusammenarbeit Dr. Felix Brandhorst vom Kronberger Kreis und der vertrauensvollen Partnerschaft mit dem Bundesland Bremen, mit dem das Deutsche Kinderhilfswerk seit mehr als 20 Jahren über den gemeinsamen Förderfonds „Spielräume schaffen“ für mehr Spielgelegenheiten in der Stadt sorgt.
Untersuchung zur Anlage von Spielplätzen durch nicht-öffentliche Bauherren / -träger in deutschen Großstädten
Die Studie beschäftigt sich mit den Vorschriften und der Verwaltungspraxis der Baubehörden in deutschen Großstädten bezüglich der Verpflichtung zur Anlage von Kinderspielplätzen im Zuge des Wohnungsneubaus. Dabei wurden die geltenden Vorschriften zur Anlage und Unterhaltung von privaten Kinderspielplätzen aus insgesamt 18 Kommunen aus acht Bundesländern miteinander verglichen. Damit konnten Zwei Drittel aller 26 Großstädte mit über 250.000 Einwohner*innen aus der Hälfte der Bundesländer in Deutschland abgedeckt werden. Im Rahmen der Studie wurden die sechs Themenbereiche Regel, Ausnahmen, Kontrolle, Ablösung, Qualität sowie Probleme und Regulierungsbedarfe aus Sicht der Kommunen untersucht. Hintergrund bildete die Tatsache, dass die Vorschriften für die Anlage von Spielplätzen durch nicht-öffentliche Bauherren/-träger sowohl auf Landesebene als auch kommunaler Ebene geregelt sind. Die grundsätzliche Spielplatzpflicht enthält bereits § 8 der Musterbauordnung der Bauministerkonferenz (ARGEBAU), welche in § 86 Absatz 1 Nr. 3 die Ermächtigungsgrundlage für örtliche Bauvorschriften enthält und von den Ländern in modifiziertes Landesrecht übernommen wurde. Insbesondere die Ausgestaltung dieser kommunalen Ortsgesetze bildete den Gegenstand der Studie. Die Landesbauordnungen weisen ebenso wie die kommunalen Satzungen für private Spielplätze im Vergleich Unterschiede auf, die dazu führen, dass die Praxis in den einzelnen untersuchten Kommunen stark divergiert. Gleichzeitig weisen die Untersuchungsergebnisse auf bestimmte übergreifende Rahmenbedingungen hin, welche die Entwicklungen in allen großen Städten prägen. So wurde deutlich, dass die Erfüllung der Spielplatzpflicht im Zuge von steigenden Bodenpreisen und zunehmender Verdichtung der Bebauung eine zunehmend hohe Anforderung an die Bauherren/-träger im urbanen Umfeld darstellt und damit unter Druck gerät. Die städtischen Kommunen sind in diesem Zusammenhang aber auch mit der Frage konfrontiert, wie sie private Spielflächen in eine kinder- und jugendfreundliche Stadtplanung mit einbeziehen können bzw. welchen Stellenwert sie nicht-öffentlichen Spielplätzen für Kinder, sog. hausnahen Spielplätzen, in diesem Kontext zusprechen.
Die grundsätzliche Bedeutung des hausnahen Spielplatzes liegt in dem sozialen Anspruch begründet, dass Eltern mit Kleinkindern eine Spiel- und Aufenthaltsmöglichkeit in sehr kurzer Distanz zur Wohnung vorfinden und Kinder dort auch allein in Ruf- und Sichtweite der Eltern spielen können. Es ist ein zentrales Anliegen der vorliegenden Studie, die Bedeutung des hausnahen Spielplatzes für eine kinderfreundliche Stadtentwicklung im Sinne einer „bespielbaren Stadt“ hervorzuheben.
Zentrale Studienergebnisse
Pflicht: In allen 18 untersuchten Kommunen besteht die Verpflichtung zur Anlage von privaten Spielplätzen im Wohnungsbau, wenn es sich um Gebäude mit mehreren Wohnungen handelt. In vielen großstädtischen Kommunen steht die Spielplatzpflicht jedoch aktuell unter hohem Druck. Zudem existiert eine Vielzahl an Ausnahmen bei Gebäuden mit mehreren Wohnungen, wenn es sich um Gebäude mit Einraumwohnungen oder besonderer Zweckbestimmung (z.B. Seniorenwohnungen) handelt. Das so genannte Reihenhausprivileg erweist sich als ebenso problematisch wie Gebäude, die vor einem bestimmten Stichtag errichtet wurden oder bei denen sich ein öffentlicher Spielplatz in unmittelbarer Nähe befindet.
Kontrolle: In den meisten Kommunen findet eine Kontrolle der Spielplätze grundsätzlich im Rahmen einer angeordneten Überwachung des Bauzustandes statt. Allerdings findet bei der Mehrzahl in der Schlussabnahme aufgrund des Genehmigungsfreistellungs-verfahren und des vereinfachten Baugenehmigungsverfahren i.d.R. keine Kontrolle privater Spielplätze statt.
Ablöse: In fast allen Kommunen sind keine verbindlichen Regelungen für Ablösezahlungen vorhanden. Lediglich in vier Kommunen ist es im Einzelfall möglich, dass Bauherren/-träger einen individuellen kompensatorischen Kostenbeitrag auf Vertragsbasis an die Kommune entrichten, wenn auf dem Baugrundstück kein Spielplatz errichtet werden kann. Kommunen, in denen in der Vergangenheit Regelungen zur finanziellen Ablösung Anwendung fanden, bewerten diese in der Retrospektive positiv und als wichtigen Ansatz für die Gegenwart. Gerade einmal in zwei Kommunen sind grundsätzlich Ablösezahlungen vorgesehen, wenn auf dem Baugrundstück kein Spielplatz errichtet werden kann.
Qualität: In den meisten Kommunen werden Vorgaben zur Mindestgröße gemacht. Es werden mindestens 25 bis 100 m², durchschnittlich mindestens 43 m² Spielfläche gefordert. Diese Mindestforderungen erhöhen sich je nach Anzahl der Wohnungen.
In allen 18 Kommunen gilt, dass die Spielplätze auf dem Baugrundstück oder in unmittelbarer Nähe auf einem geeigneten Grundstück angelegt sein müssen, dessen dauerhafte Nutzung für diesen Zweck öffentlich-rechtlich gesichert sein muss. In fast allen Kommunen gelten weitere Standortvorgaben, z.B. zu Ruf- und Sichtweite zu den Wohnungen, zur Erreichbarkeit, zur Sicherheit und Gefahrenabwehr oder zur sonnigen und windgeschützten Lage.
Vorschriften zur Ausstattungsqualität existieren nur in den 12 der 18 untersuchten Großstädte, die über kommunale Spielplatzsatzungen verfügen. Diese betreffen z.B. die Eignung für Kleinkinder, die Empfehlung zur Einrichtung unterschiedlicher Spielbereiche, zur konkreten Ausstattung, zur Gliederung durch Bepflanzung oder auch Vorgaben zur Schaffung von Rasenflächen, Bodenmodellierungen und Spielbereichen.
Die Hälfte der Kommunen beziehen sich in ihren kommunalen Satzungen auf Bestimmungen der DIN. Hier überwiegen jedoch die Vorschriften zur Beschaffenheit und Sicherheit der Spielgeräte. Vorschriften zur Gestaltungsqualität oder zu Unterhalt (z.B. Austausch von Spielsand) und Instandsetzung existieren nur unzulänglich und ebenfalls nur über die kommunalen Spielplatzsatzungen.
Zwischenfazit: In der Untersuchung wurde deutlich, dass trotz einer Vielzahl unterschiedlicher Vorschriften nur in wenigen Kommunen ein über Sicherheitsstandards hinausgehender Qualitätsanspruch an die Anlage privater Spielplätze formuliert wird. Bezüge zur DIN 18034 bestehen nur in Kommunen, welche über eine gesonderte Spielplatzsatzung verfügen. Hamburg und Regensburg gehen hier mit gutem Beispiel voran und haben für private Bauträger*innen sogar eigens eine Broschüre mit sehr anschaulichen Gestaltungsbeispielen erstellt.
Beteiligung: Die Beteiligung von Kindern und Familien bei der Planung von privaten Spielplätzen wird nur in einer kommunalen Satzung ausdrücklich empfohlen.
Probleme und Regulierungsbedarfe: Über das Feedback aus den Fragebögen und Interviews ergab sich folgendes Bild:
teilweise fehlende Akzeptanz von Anwohner*innen/Nachbarn;
oftmals unzureichende Kommunikation zwischen Bauherren/-trägern und Kommunen;
Druck auf die Spielplatzpflicht durch Mangel an Wohnraum, steigende Bodenpreise, fehlendes Bauland, beengte Flächen im Innenstadtbereich bei teilweise hohen Flächenforderungen;
zunehmende Inanspruchnahme von Ausnahmeregelungen;
zunehmende Praxis der formellen Erfüllung der Spielplatzpflicht und der Errichtung von „Alibi-Spielplätzen“;
zu wenige Qualitätsvorschriften und Kontrollen, zu viele Ausnahmen, fehlende finanzielle Ablösung.
Vergleich zu öffentlichen Spielplätzen: Öffentliche Spielplätze verfügen im Vergleich über eine besonders hohe Qualität aufgrund:
umfangreicherer Vorschriften und Kontrollen;
der Expertise der kommunalen Ämter für Grünflächen in der Planung, Anlage und Unterhaltung von Spielplätzen;
der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen bei der Planung von öffentlichen Spielplätzen;
der Einbindung der Planung und Gestaltung öffentlicher Spielplätze in partizipationsorientierte Konzepte zur Entwicklung einer kinder- und jugendfreundlichen Stadt, z.B. Spielleitplanung;
der unterschiedlichen Nutzungsbestimmungen privater und öffentlicher Spielplätze.
Zusammenfassende Betrachtung
Es besteht ein signifikanter Zusammenhang zwischen den städtebaulichen Entwicklungen, den kommunalen Vorschriften, der Kontrolltätigkeit der Kommunen und der Qualität privater Spielplätze. Es entstand jedoch ein differenziertes Bild: die Qualität ist derzeit vielerorts vom individuellen Anspruch des Bauherren/-trägers abhängig. Kommunale Satzungen stellen das zentrale Instrument zur Einflussnahme auf die Qualität dar. Selten besteht ein über Sicherheitsstandards hinausgehender Qualitätsanspruch.
Empfehlungen: Aus Sicht der Kinderrechteorganisation ist es wichtig, die bestehenden Vorschriften konsequenter als bisher umzusetzen und zu kontrollieren. Daher folgt hier eine Zusammenfassung der Empfehlungen:
Systematisierung im Sinne bundesweit wirksamer Mindestanforderungen an die Qualität privater Spielplätze für das hausnahe, beaufsichtigte Spiel von Kleinkindern;
Qualitätsansprüche beschreiben und kommunizieren: Vorgabe detaillierterAusstattungs- und Gestaltungsvarianten zur Auswahl;
Gewährung von Ausnahmen von der Pflicht zur Anlage eines Spielplatzes nur unter strengen Voraussetzungen und auf Antragstellung;
Erhebung einer angemessenen Ablösesumme für die Anlage öffentlicher Spielplätze in begründeten Einzelfällen;
Kontrolle der Realisierung, Unterhaltung und Instandsetzung sowie Sanktionsmöglichkeiten bei Zuwiderhandlungen;
Erfassung privater Spielflächen in einem kommunalen Kataster;
Planung privater Spielplätze von Garten- und Landschaftsarchitekt*innen;
Förderung kooperativer Lösungen zur Einbeziehung der Expertise der Grünflächenämter;
Vollumfängliche Orientierung an der DIN 18034 (z.B. Förderung von Spielraumqualitäten wie Anregungsvielfalt, Gestaltbarkeit, naturnahe Gestaltung);
Beteiligung der zukünftigen Bewohner*innen an der Planung und Schaffung des Spielraumes – Fertigstellung der Anlage daher erst nach dem Einzug der Familien.
Fazit: Die Ergebnisse der Untersuchung geben wichtige Hinweise darauf, dass einer aus der eingangs beschriebenen Drucksituation resultierenden negativen Entwicklung hinsichtlich Quantität und Qualität privater Spielplätze mit einem Mix aus detaillierten Qualitätsbestimmungen, Kontrollen der Umsetzung und Instandhaltung, einer restriktiven Praxis in der Gewährung von Ausnahmen und kreativen Lösungen entgegengewirkt werden kann.
Ausblick: Die Studie mit ihrer rechtlichen Einordnung, dem bundesweiten Vergleich und den Empfehlungen aus der kommunalen Verwaltungspraxis lieferte der Freien Hansestadt Bremen wichtige Erkenntnisse, die 2018 Eingang in die für längst überfällig erachtete Überarbeitung des 1. Ortsgesetzes fanden. Eine Vielzahl der Empfehlungen floss in den bei einem bundesweiten Fachtag im Herbst 2019 in Bremen vorstellten und dort ausführlich diskutierten Entwurf ein. Nach seiner Fertigstellung im Februar 2020 befindet sich diese sehr vielversprechende Vorlage nun im finalen politischen Abstimmungsprozess und regt nach ihrem Beschluss hoffentlich bundesweit zur Nachahmung an.
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Seit dem 1. Januar 2015 ist die ehemalige Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Ursula Heinen-Esser, Hauptgeschäftsführerin beim Bundesverband Garten- Landschafts- und Sportplatzbau e.V. (BGL). Ein Interview zur Fachmesse GaLaBau 2016 über neue grüne Ziele führtePlayground@Landscape mit Ursula Heinen-Esser.