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Internationales Fachmagazin für Spiel-, Sport- und Freizeitanlagen

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15.10.2020 - Ausgabe: 5/2020

Kunststoffrasensysteme – aktuelle Entwicklungen

Von Bjørn Aas, Senior Engineer, Abteilung für Bau- und Umweltingenieurwesen, Fakultät für Ingenieurwissenschaften, Norwegian University of Science and Technology

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©Bjørn Aas

Einleitung

In den letzten 30 Jahren haben sich Kunststoffrasensysteme weltweit zu einer Standardlösung im Ballsport entwickelt. „Weniger oder keine Auswirkungen auf das Klima“, „Haltbarer als Naturrasensysteme“ sind gängige Aussagen, mit denen diese Systeme beworben werden. Europaweit werden aktuell mehr als 20.000 solcher Spielfelder regelmäßig genutzt und wir müssen uns nun in absehbarer Zeit der undankbaren Aufgabe stellen, die langfristigen Folgen dieser Entwicklung zu bewältigen. Hinter uns baut sich eine Welle zunehmend älter werdender Kunststoffrasensysteme auf und mit einer prognostizierten Lebensdauer dieser Systeme von rund 10 Jahren dürfte auch der Sanierungsbedarf in gleichem Maße ansteigen, vorausgesetzt es stehen ausreichende Mittel zur Verfügung. Im Laufe der Zeit sind die Umweltauswirkungen nur allzu offensichtlich geworden, wie die wachsenden Berge entsorgter Rasensysteme, die Verunreinigung mit Schwermetallen und die Verschmutzung des Bodens unter dem Rasen - und auch in der unmittelbaren Umgebung der Spielfelder – mit Mikroplastik. Die Zukunft könnte daher Systemen gehören, die auf einer verringerten Auswahl und Anzahl an synthetischen Produkten sowie auf Recyclingmaterialien, Dämpfungselemente und Füllmaterialien basieren.  Eine längere Lebensdauer und geringere Unterhaltskosten sind wesentliche Faktoren für wirtschaftlich nachhaltigen Sport.

 

Mitte der 1990er-Jahre wurden Granulate aus alten Fahrzeugreifen als „Leistungsfüllungen“ eingeführt (sog. SBR-Granulate). Durch Zunahme der Faserlänge konnte dieses Füllmaterial mehr oder weniger die darunterliegenden Dämpfungselemente ersetzen. Da dieses Füllmaterial ein Abfallprodukt ist, waren –  und sind auch heute noch – die Preise relativ niedrig, wodurch die Gesamtkosten für Rasensysteme insgesamt gesenkt werden konnten. Mit der zunehmenden Zahl von Kunststoffrasenplätzen in den letzten 15 Jahren wurden die Umweltauswirkungen dieses Füllmaterials im Laufe der Zeit jedoch deutlich sichtbar. Nicht nur durch die erhebliche Zunahme der Abfallmengen, die bei der Sanierung der Spielfelder anfallen, sondern auch durch die Verschmutzung mit Schwermetallen und Mikroplastik in einem Ausmaß, das über sämtliche Richtlinien und Vorschriften anderer Sektoren, wie beispielsweise Landwirtschaft und Bauindustrie hinausgeht.

In Norwegen boomte der Markt für neue Kunststoffrasenplätze zwischen 2005 und 2010 und im gleichen Maße begann auch der Sanierungsbedarf zu wachsen. Wie in zahlreichen anderen Ländern wurden auch hier Berichte veröffentlicht, in denen es hieß, dass dieses Produkt möglicherweise Umweltprobleme hervorrufen kann. Dass Schwermetalle aus SBR-Gummigranulat in den Untergrund versickern ist allgemein bekannt und die von den Nutzern oder von Wind, Regen oder Wartungsgeräten mitgebrachten Gummipartikel sorgten für einen Anstieg sowohl der chemischen als auch der mikroplastischen Verschmutzung.

Drei norwegische Regionen (Viken, Trøndelag, Vestland) starteten 2019 eine Ausschreibung für das Projekt KG2021- ein Projekt zur Zukunft von Kunststoffrasen. Ziel dieses Projekts, das eine zusätzliche Finanzierung durch das Kultusministerium (aus dem Lotteriefonds) und der norwegischen FA erhielt, ist es, Kunststoffrasensysteme ohne synthetische Füllmaterialien zu ermitteln und zu testen. Das Projekt wird vom SIAT – Zentrum für Sportanlagen und Technologie an der Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität Norwegens (NTNU) in Trondheim geleitet.

Im Rahmen dieses Projekts wurden in Zusammenarbeit mit Sportvereinen und Gemeinden sechs Modellspielfelder angelegt. Diese Modellspielfelder wurden von drei verschiedenen Kunststoffrasen-Anbietern angelegt und bestehen aus vorgefertigten sowie E-Layer-Dämpfungselementen, einer Vielzahl von Faserprodukten sowie organischen Füllmaterialien oder gänzlich aus Non-Infill-Systemen. Im Zuge dieses Projekts sollen Systeme mit den folgenden Eigenschaften entwickelt werden:

 

  • geringerer Gehalt an synthetischen Materialien im System
  • keine Schwermetalle in den enthaltenen Produkten
  • ein wesentlicher Teil des Systems besteht aus recycelten Materialien
  • verbesserte Rasenqualität, längere Haltbarkeit
  • verringerte Lebenszykluskosten für das System

 

Alle Modellspielfelder sind für kleinere Benutzergruppen aus Senioren, Kindern und Jugendlichen konzipiert. Leistungsangabe ist die Nordic Norm, die der EN 15330 entspricht, der europäischen Norm für Sportböden aus Kunststoffrasen und Nadelfilz. Es ist bekannt, dass weniger als 2 % der Fußballspieler in Norwegen Spitzenfußball auf nationaler Ebene spielen und weniger als 10 % der Felder für Spitzenfußball genutzt werden, daher zielt das Projekt darauf ab, zukünftige System für alle anderen Spielfelder und Nutzer zu finden. Das Projekt ist in drei Arbeitseinheiten gegliedert: Sport, System und Umwelt.

Einige während der Projektlaufzeit gewonnene Erkenntnisse sind besonders erwähnenswert. In den letzten Jahren wurde vor allem das Füllmaterial als Problem und gleichzeitig auch als das wichtigste Produkt in einem System ermittelt. Auf dem Markt findet derzeit eine bedeutende Entwicklung hin zu Füllungen auf Basis organischer Materialien, Systemen, die nur Sand als Füllmaterial nutzen, oder kompletten Kunststoffrasenflächen ohne Füllmaterial statt.

Aus dem KG2021 Projekt ist klar ersichtlich, dass das Konzept des gesamten Rasensystems, einschließlich Dämpfungselement, Trägermaterial, Faser und Füllmaterial, insgesamt stärker berücksichtigt werden muss. Die Eigenschaften des Dämpfungselements in Kombination mit der Länge der Fasern sind vor allem in Hinblick auf die Benutzererfahrung, Wartung und Haltbarkeit über die gesamte Lebensdauer des Systems noch nicht vollständig geklärt. Jedes dieser Modellspielfelder sowie zwei weitere Referenzplätze mit Gummifüllung werden alljährlich von einem anerkannten Labor getestet. Die bisherigen Erfahrungen aus den Modellspielfeldern zeigen, dass die Anwender ein dickeres Dämpfungselement bevorzugen, das eine geringere Faserlänge und gleichzeitig eine Reduzierung des Füllmaterials ermöglicht.

In Bezug auf das System sind zwei Ergebnisse besonders erwähnenswert: Die Qualität des Garns in Bezug auf die klimatische Einwirkung (UV, Luft, Temperatur) und Wartung. Der Faserverlust aus der Grasnarbe aufgrund von minderwertigen Materialien kann erheblich sein. Die Abstimmung der Wartungsgeräte auf die Rasensysteme wurde bisher sowohl von den Eigentümern als auch von den Anbietern eher stiefmütterlich behandelt. Dies ist jedoch vor allem während des Winterbetriebs von großer Bedeutung. Eine weitere interessante Beobachtung ist, dass während der Projektlaufzeit die ersten Systeme eingeführt wurden, die aus recycelten Produkten alter Spielfelder hergestellt wurden. Dies betrifft sowohl das Dämpfungselement als auch die Grasnarbe und den Sand. Es wurden eine Reihe organischer Füllmaterialien eingeführt. Eine recht interessante Beobachtung dabei ist, dass im Vergleich zu Systemen mit synthetischen Füllungen eine geringere Füllmenge erforderlich ist. Gummifüllungen werden in der Regel in einer Menge von 7–15 kg/m2 verfüllt, wohingegen bei organischen Füllmaterialien wie Olivenkerne und Kork-/Kokosmischungen geringere Mengen benötigt werden, die üblicherweise in einem Bereich von 1–5 kg/m2 liegen.

Der Markt für Füllmaterialien kann in drei Kategorien zusammengefasst werden: Polymerbasierte Füllungen, organische Füllungen und als neue Option auch Non-Infill, d. h. ohne Füllmaterial. Die kürzliche Einführung von Mischprodukten, wie polymerumhüllter Sand, SBR + Hanf und SBR + Kork könnte ein Versuch sein, den Anteil an Polymer im Füllmaterial zu reduzieren. Die Kehrseite der Medaille ist, dass diese Mischungen in großen Mengen aufgetragen werden müssen und es eine Menge Fragezeichen in Bezug auf die Endanwendung gibt. Recycling wurde bisher für keine davon als Option in Betracht gezogen.

Eine Analyse der Ausschreibungen auf dem norwegischen Markt in den letzten beiden Jahren hat den Blick auf ein LCC-Modell für Kunststoffrasensysteme geführt. Diese Analyse umfasst Investitionen, Wartung, einschließlich Nachfüllung, und endgültige Entsorgung. Das vorläufige Ergebnis dieser Analyse zeigt, dass Systeme mit Füllmaterial, das Mikroplastik enthält, höhere Gesamtbetriebskosten verursachen, als Systeme mit rein organischen Füllungen oder komplett füllungsfreie Non-Infill-Systeme.

Im weiteren Verlauf des KG2021 Projekts konnten mehrere Wissenslücken identifiziert werden. Das von der FIFA erst vor kurzem gestartete Projekt zur Entwicklung neuer Testgeräte und -verfahren wird positiv begrüßt. Die aktuell vorliegenden Prüfberichte (Nordic Norm) der Modellspielfelder lassen keine klaren Rückschlüsse zu, welches System für die verschiedenen Benutzergruppen am besten funktioniert. Klar ist, dass die Wartungsgeräte weiterentwickelt und besser auf die verschiedenen Rasensysteme abgestimmt werden müssen. Die Faserqualität muss in Bezug auf die Klimabelastung berücksichtigt werden. Darüber hinaus müssen Testverfahren zur Prüfung der Verschleißfähigkeit entwickelt werden, um eine erforderliche Haltbarkeit von mindestens 15 Jahren zu simulieren. Die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) arbeitet derzeit an Beschränkungen für den Einsatz von Mikroplastik und Füllmaterialien in Kunststoffrasen sind hierbei ein heiß diskutiertes Thema. Die Errichtung von Zäunen und Mauern rund um ein Spielfeld trägt nur einen kleinen Teil zur Lösung des Problems bei, da die Kontaminierung von Böden und Wasserwegen mit Schwermetallen und Mikroplastik hierbei nicht berücksichtigt wird. Die Substitution, d. h. das Ersetzen der mikroplastikhaltigen Füllungen durch organisches Füllmaterial ist unter Umständen die einzig sinnvolle Lösung. 

Die wichtigste Herausforderung besteht darin, eine funktionierende Wertschöpfungskette für die Entfernung, Verarbeitung und das Materialrecycling von alten Kunststoffrasensystemen zu schaffen. Gegenwärtig ist diese Wertschöpfungskette stark fragmentiert und die Kapazitäten in den einzelnen Abschnitten sind begrenzt. In Norwegen steht derzeit ein Innovationsvertrag zur Prüfung an, mit dem Ziel, die Entwicklung solcher Wertschöpfungsketten zu unterstützen. Die Reduzierung der Abfallmengen, eine einfachere Materialwiederverwertung und die Senkung der Lebenszykluskosten sind nur einige der Puzzleteile, die benötigt werden, um eine nachhaltige Zukunft für Kunstrasensysteme auf Sport- und Spielplätzen zu gewährleisten.

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