Erst prüfen – dann sanieren!
In den vergangenen Jahren hat die Anzahl der Kunststoffrasenplätze zur Sportausübung weiter zugenommen und alte Geläufe wie Tennenplätze größtenteils verdrängt. Gründe für diese Entwicklung sind unter anderem die...
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Sporträume bilden die materielle Basis für die lokalen Bewegungsaktivitäten. Würden die Städte und Gemeinden keine speziellen Flächen ausweisen und in Kooperation mit anderen Trägern als Sport- und Bewegungsräume ansprechend gestalten und fördern, wäre es um das Bewegungsengagement der Bürgerinnen und Bürger schlecht bestellt. Deshalb wird die Sportrauminfrastruktur seit Jahrzehnten in gesonderten Ausbauprogrammen mit Verweis auf ihre grundlegende Funktion für die Realisierung gesundheits-, sozial- und freizeitpolitischer Ziele gefördert. Zudem sind Sporträume in jüngerer Zeit auch als Aushängeschilder für die kulturelle Qualität der Städte thematisiert worden. Darüber hinaus findet sich - mit Blick auf die Folgen des Wertewandels in unserer Gesellschaft - ein kritischer Diskurs über die Qualität unserer Sportstätten (vgl. Wetterich, Eckl & Schabert, 2009).
In diesem Zusammenhang ist nicht nur das Sport- und Bewegungsengagement der Bürgerinnen und Bürger, sondern auch der Sportraumbegriff mehrperspektivisch zu sehen. So sind einerseits in den Kommunen gebaute Anlagen, die Sportstätten im engeren Sinn, vorhanden. Hierunter fallen die Sportstätten der Grundversorgung, d.h. die Hallen- und Freibäder, die Sportplätze sowie die Turn- und Sporthallen. Den Sportstätten bzw. -räumen in einem erweiterten Verständnis werden die Freianlagen (z.B. Kinderspielplätze und Bolzplätze), die gedeckten Anlagen im Wohnbereich, die Naherholungsanlagen und die Sportgelegenheiten zugeordnet (vgl. Dieckert & Koch, 2001; Koch, 1997; Bach, 1991).
Für eine zukunftsfähige Sportraumentwicklungsplanung ist nicht nur das Wissen über die Anzahl, Ausstattung und Finanzierung der Sportstätten wichtig; es bedarf darüber hinaus auch empirisch fundierter Informationen über das faktische Nutzungsverhalten und die subjektiven Bedürfnisse und Erwartungen der unterschiedlichen Nutzergruppen dieser Anlagen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Sporttreiben und die bewegungsaktive Freizeit einem starken Wandel unterworfen sind und durch gesamtgesellschaftliche Entwicklungsprozesse geprägt werden. Zunehmend rücken neben die „klassischen“ Sportanlagennutzer (Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene und generell Wettkampfsportler) immer stärker auch „neue“ Nutzergruppen (z.B. Frauen, Ältere, Migranten), für die oftmals die Motive Entspannung, Fitness und Gesundheit eine große Bedeutung besitzen. Dies hat u.a. dazu geführt, dass die über lange Zeit vorhandene „Passung“ zwischen den lokal vorgehaltenen Sportstätten und dem vor Ort erfolgten Sporttreiben nicht mehr besteht. Empirische Befunde zeigen, dass sich – z. B. in den Traditionssportarten Tennis und Leichtathletik – die Sportstättennachfrage von dem vorhandenen kommunalen Sportstättenangebot teilweise sehr deutlich abgekoppelt hat (vgl. Hübner & Wulf, 2014).
Darüber hinaus steht die kommunale Sportpolitik und die kommunale Sportinfrastrukturplanung bereits seit einigen Jahren vor einer vielschichtigen Problematik (vgl. Hübner & Wulf, 2009). Denn sie muss zur Kenntnis nehmen, dass das Gros der über 100.000 kommunalen Kernsportstätten ein hohes Durchschnittalter aufweist, da es vor mehr als 45 Jahren – im Zeitraum des „Goldenen Plans“ – gebaut wurde. Der Sanierungsbedarf der Sportanlagen ist hoch, belastbare Abschätzungen des Deutschen Institutes für Urbanistik (DIFU) bezifferten den Finanzbedarf für kommunale Sportanlagen vor einigen Jahren auf rund 35 Mrd. € (vgl. Deutsches Institut für Urbanistik, 2008). Eine aktuelle Schätzung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) geht immer noch von ungefähr 31 Mrd. € aus. (vgl. DOSB, 2018).
Der finanzielle Spielraum für den Erhalt bzw. die Ausweitung der vorhandenen Sportinfrastruktur ist durch ansteigende Verschuldung in vielen Kommunen stark eingeschränkt. Allein in Nordrhein-Westfalen befanden sich rund 170 Kommunen jahrelang in einem Haushaltssicherungskonzept (vgl. Ministerium für Inneres und Kommunales Nordrhein-Westfalen, 2017). Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung betreffen häufig auch den Sport, z.B. durch die Einführung von Sportstättennutzungsgebühren oder durch die Aufgabe von kostenintensiven Sportstätten (vgl. Bund der Steuerzahler, 2014).
Die kommunale Sportpolitik und die Sportverwaltung können angesichts dieser enormen Veränderungsprozesse im Sport und in der Gesellschaft nur auf einer soliden Datenbasis ihre Planungen und ihr Verwaltungshandeln zukunftsfähig organisieren. Dies wird nur möglich sein, wenn die Informationslage für die Akteure im Politikfeld des kommunalen Sports systematisch verbessert wird (vgl. Breuer, 2005; Breuer & Rittner, 2002).
Um die Dynamik des Wandels bei den sportlichen Aktivitäten der Bürgerinnen und Bürger und die damit verbundenen Folgen für die Sportstätten- bzw. Sportraumnachfrage möglichst exakt und verlässlich quantifizieren zu können, wurde im Rahmen des mehrjährigen Forschungsprojektes „Bausteine für eine zeitgemäße und zukunftsfähige Sportstätteninfrastruktur in Nordrhein-Westfalen“ durch den Arbeitsbereich Sportsoziologie der Bergischen Universität Wuppertal sowohl eine umfassende Re-Analyse von insgesamt 23 repräsentative Sportverhaltensstudien als auch in fünf nordrhein-westfälischen Städten eine „Längsschnittanalyse“ zum Sportverhalten durchgeführt (vgl. Hübner & Wulf, 2016). Einige ausgesuchte Ergebnisse dieser Analysen werden im Folgenden kurz dargestellt.[1]
Bei einem weiten Sportverständnis, welches auch Bewegungsaktivitäten wie gemütliches Radfahren und Spazieren gehen einschließt, bezeichnen sich ca. 70 bis 80% der Bürgerinnen und Bürger allgemein als „sport- und bewegungsaktiv“ (vgl. hierzu auch Wopp, 2012; Wulf, 2014).
Interessant sind dabei die Entwicklungen, die sich im Hinblick auf die sogenannte „Aktivenquote“ in den fünf Längsschnittstudien zeigen. Während im ersten Erhebungszeitraum (2002-2007) die Aktivenquote (mindestens 1 x pro Woche sport- und bewegungsaktiv) bei durchschnittlich 70,7% lag, konnte im zweiten Erhebungszeitraum (2013-2015) ein leichter Anstieg auf durchschnittlich 76,8% festgestellt werden. Zudem lag im ersten Erhebungszeitraum die allgemeine Aktivenquote der Frauen noch erkennbar niedriger als die der Männer. In der zweiten Erhebungsphase wurden hingegen kaum noch messbare Unterschiede bei der Ausprägung der geschlechterspezifischen Aktivenquoten festgestellt.
Eine altersspezifische Betrachtung der Entwicklung der Aktivenquote zwischen den beiden Erhebungszeitpunkten zeigte weitere interessante Ergebnisse . Während im Erhebungszeitraum 2002-2007 noch ein erkennbarer Rückgang der Aktivenquote ab dem 50. Lebensjahr erfolgte, ist der Rückgang in den Befragungen aus den Jahren 2013 bis 2015 deutlich moderater. Insbesondere bei den 40- bis 49-Jährigen und den 50- bis 59-Jährigen bleibt die Aktivenquote auf einem konstant hohen Niveau und liegt weiterhin deutlich über der 70%-Marke.
In allen analysierten Sportverhaltensbefragungen zeigt sich eine breite Palette an Sport- und Bewegungsaktivitäten, in der Regel wurden jeweils über 100 unterschiedliche Sportarten genannt.[2] Auf den vorderen Rängen der „Hitliste“ finden sich übereinstimmend die Aktivitäten Radfahren, Schwimmen, Fitnesstraining sowie Joggen/Laufen und Fußball.
Interessant sind auch hier wiederum die Entwicklungen im Längsschnitt. Hierfür wird der Ausgangswert der Sport- und Bewegungsaktivitäten aus dem Zeitraum 2002-2007 gleich 100% gesetzt. Bei einem Zugewinn in dem folgenden Befragungszeitraum wächst der Wert auf über 100%, bei Verlust sinkt er unter 100%. Steigerungen auf über 300% werden aus Darstellungsgründen als Zahlenwert ausgewiesen.
Bei der Längsschnittanalyse der zwanzig meistgenannten Sportarten aus dem Erhebungszeitraum 2002-2007 zeigen sich sehr unterschiedliche Tendenzen. Während die meisten Sport- und Bewegungsaktivitäten auch im Erhebungszeitraum 2013-2015 ungefähr ihr Ausgangsniveau halten bzw. nur einen minimalen Bedeutungsverlust bzw. –gewinn ausweisen, zeigen sich einige eindeutige „Gewinner“ und „Verlierer“.
So weist die Aktivität Yoga die größte Steigerungsrate zwischen den beiden Erhebungszeiträumen auf. Auch der Bewegungsbereich Fitnesstraining/Gymnastik kann – obwohl er bereits im Erhebungszeitraum 2002-2007 zu den beliebtesten Aktivitäten zählte, im zweiten Erhebungszeitraum nochmal deutliche Zuwächse erzielen. In etwas abgeschwächter Form trifft dies auch auf die Aktivität Joggen/Laufen zu. Ein deutlicher Bedeutungsverlust zeigt sich hingegen beim Inline/Rollsport – hier vor allem beim Inline-Skating und beim Basketball – hier vor allem bei der Streetballvariante.
Ungefähr 60% bis 65% der Sport- und Bewegungsaktivitäten werden auf privater Ebene organisiert. Der Anteil der Sportvereine bei der Organisation des Sporttreibens liegt – je nach Größe der Stadt – zwischen 15% und 25%. Die kommerziellen Anbieter weisen inzwischen häufig Anteile von über 10% auf. Eine geschlechterspezifische Aufteilung der drei zuvor genannten Kategorien (private Ebene, Sportverein und kommerzielle Anbieter) lässt erkennen, dass die private Organisation sowie die Vereinsorganisation häufiger von Männern genannt werden. Frauen favorisieren hingegen stärker die kommerziellen Anbieter.
Auch konnte die Re-Analyse aufzeigen, dass ein Großteil der Sport- und Bewegungsaktivitäten der Bürgerinnen und Bürger auf Sportgelegenheiten durchgeführt wird. So findet ungefähr die Hälfte des Sporttreibens bzw. der bewegungsaktiven Erholung im Park, im Wald oder auf Wegen und Straßen statt. Auf die Sportstätten der Grundversorgung (Sporthallen, Sportplätze, Bäder) entfallen hingegen nur ungefähr zwei Fünftel des Sporttreibens. Dieser zunächst überraschende Befund wird durch einen Blick auf die sportartspezifische Nutzung der Anlagen erklärbar. Hier ist zu erkennen, dass gerade die in der Hitliste an vorderer Stelle platzierten Bewegungsaktivitäten wie der Radsport, der Laufsport, das Spazieren gehen und das Wandern/Walking fast ausschließlich an diesen Orten betrieben werden.
Ein Ziel von Sportverhaltensbefragungen ist es zudem, auch die zukünftigen Sportpotentiale zu eruieren. Dabei werden sowohl der jeweilige geschlechtsspezifische Anteil als auch das Durchschnittsalter der gewünschten Schnuppersportarten ausgewiesen. So ist z.B. für Yoga zu erkennen, dass sich das „Schnupperpotential“ zu über 80% aus Frauen zusammensetzt und die durchschnittliche Interessentin ungefähr 45 Jahre alt ist.
Die im Rahmen des Landesprojekts durchgeführten Analysen bieten eine Vielfalt aufschlussreicher und empirisch fundierter Erkenntnisse über Wandel und Stabilität der Sport- und Bewegungsaktivitäten der Bürgerinnen und Bürger. So spielt nicht nur der klassische Wettkampfsport eine große Rolle, sondern auch die „bewegungsaktive Erholung“ erfreut sich bei vielen Bevölkerungsgruppen einer wachsenden Beliebtheit. Diese „informellen Freizeitsportler“ stehen jedoch nur teilweise im Fokus des Kerngeschäfts der Sportverwaltungen und Sportpolitik, da ihre Aktivitäten zumeist privat organisiert werden. Vor allem bei der Planung von Sportgelegenheiten und wohnortnahen Sport- und Bewegungsräumen ist es aber mit Blick auf die Realisierung gesundheits-, sozial- und freizeitpolitischer Ziele notwendig, die „Selbstorganisierten“ stärker zu bedenken.
Literatur
Bach, L. (1991). Sport auf Sportgelegenheiten - Ein neues Konzept für den Sport und die Stadtplanung. Sportunterricht, 40 (9), 335–341.
Breuer, C. (2005). Steuerbarkeit von Sportregionen. Schorndorf: Hofmann.
Breuer, C. & Rittner, V. (2002). Berichterstattung und Wissensmanagement im Sportsystem. Konzeption einer Sportverhaltensberichterstattung für das Land Nordrhein-Westfalen. Köln: Strauß.
Bund der Steuerzahler. (2014). Sparen in der Kommune. Tipps für Kommunalpolitiker. Berlin.
Deutscher Olympischer Sportbund (Hrsg.) (2018). Bundesweiter Sanierungsbedarf von Sportstätten. Zugriff am 24.09.2020 unter https://cdn.dosb.de/alter_Datenbestand/fm-dosb/arbeitsfelder/umwelt-sportstaetten/Downloads/Sanierungsbedarf_DOSB-DST-DStGB.pdf
Deutsches Institut für Urbanistik (DIFU). (2008). Der kommunale Investitionsbedarf 2006 bis 2020. Berlin.
Dieckert, J. & Koch, J. (2001). Sinn-Richtungen für Spiel- und Bewegungsräume. In J. Funke-Wieneke & K. Moegling (Hrsg.), Stadt und Bewegung (S. 76–86). Kassel: Prolog.
Hübner, H. & Wulf, O. (2009). Strategien und Erfahrungen mit kommunaler Sportstättenentwicklungsplanung in Deutschland. In E. Balz & D. Kuhlmann (Hrsg.), Sportentwicklung: Grundlagen und Facetten (S. 141–157). Aachen: Meyer & Meyer.
Hübner, H. & Wulf, O. (2014). Verhaltensbezogene Ansätze in der kommunalen Sportentwicklungsplanung. In A. Rütten, S. Nagel & R. Kähler (Hrsg.), Handbuch Sportentwicklungsplanung (Beiträge zur Lehre und Forschung im Sport, 181, S. 109–117). Schorndorf: Hofmann.
Hübner, H. & Wulf, O. (2016). Bausteine für eine zeitgemäße und zukunftsfähige Sport-stätteninfrastruktur in Nordrhein-Westfalen. Kurzbericht. Wuppertal.
Koch, J. (1997). Zukunftsorientierte Sportstättenentwicklung. Ein Orientierungshandbuch für Vereine und Kommunen. Aachen: Meyer & Meyer.
Ministerium für Inneres und Kommunales Nordrhein-Westfalen (2017): Kommunen in Nordrhein-Westfalen in der Haushaltssicherung. Entwicklung 2006 bis 2016. Düsseldorf.
Wetterich, J., Eckl, S. & Schabert, W. (2009). Grundlagen zur Weiterentwicklung von Sportanlagen. Köln: Strauß.
Wopp, C. (2012). Orientierungshilfe zur kommunalen Sportentwicklungsplanung (Zukunftsorientierte Sportstättenentwicklung, 16). Frankfurt am Main: Landessportbund Hessen.
Wulf, O. (2014). Empirische Analysen zur Entwicklung des Sportverhaltens. In A. Rütten, S. Nagel & R. Kähler (Hrsg.), Handbuch Sportentwicklungsplanung (Beiträge zur Lehre und Forschung im Sport, 181, S. 187–195). Schorndorf: Hofmann.
[1] Allen analysierten Sportverhaltensbefragungen lag ein weiter Sportbegriff zugrunde. Dies bedeutet, dass alle Formen sportlicher Aktivität (z.B. bewegungsaktive Erholung, Freizeit- oder Wettkampfsport) explizit erfragt wurden. Die Ergebnisse beziehen sich zudem nur auf den 10- bis 70-jährige Bevölkerung. Nähere methodische Hinweise finden sich im Projektbericht (vgl. Hübner & Wulf, 2016, S. 56ff).
[2] Die Teilnehmer an den Befragungen konnten bis zu drei Sport- und Bewegungsaktivitäten nennen.