Erst prüfen – dann sanieren!
In den vergangenen Jahren hat die Anzahl der Kunststoffrasenplätze zur Sportausübung weiter zugenommen und alte Geläufe wie Tennenplätze größtenteils verdrängt. Gründe für diese Entwicklung sind unter anderem die...
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Geschlossene Sportanlagen, abgesagte Sportkurse, Verbot von Mannschaftssportarten, Sport mit Abstand – 2020 mussten viele Sportlerinnen und Sportler umdenken. Im Folgenden wollen wir der Frage nachgehen, ob unter dem Blickwinkel der kommunalen Sportentwicklung 2020 ein Ausnahmejahr bleiben wird oder ob sich die Themen der Sportentwicklung dauerhaft verändern werden.
Während dieser Artikel entsteht, häufen sich die Berichte in der Presse über den Ansturm auf die Ausflugsgebiete und Sportgebiete der deutschen Mittelgebirge. Schließungen von Sport- und Freizeiteinrichtungen, entfallene Urlaube, teilweise Ausgangsbeschränkungen, Homeoffice, Distanzunterricht und das enge Zusammensitzen in der Familie haben zum Drang nach draußen geführt, den wir bisher so nicht kannten. Dies gilt nicht nur für die Situation rund um die Weihnachtsfeiertage und den Jahreswechsel, man konnte dies schon während des gesamten Jahres 2020 beobachten. Der öffentliche Raum und die frei zugänglichen Bewegungsräume wurden im wahrsten Sinne des Wortes überrannt.
Die Folgen der Covid-19-Pandemie sind zum heutigen Zeitpunkt nur schwer abzuschätzen. Verändert sich das Sportverhalten der Bevölkerung nachhaltig? Werden die Sportvereine und die gewerblichen Sportanbieter in der uns bekannten Form überleben? Werden wir eine zunehmende Digitalisierung des Sportlebens erleben - und damit ist nicht eSports gemeint, sondern Sporttreiben unter Anleitung von Trainern im Fernsehen (z.B. TeleGym auf BR3), angeleitete Angebote über YouTube (z.B. Mady Morrison) oder über Apps wie YogaEasy?
Wie sich das Sportverhalten in Zeiten des Lockdowns verändert hat, ist gegenwärtig Gegenstand mehrerer sozialwissenschaftlicher Untersuchungen. So untersuchen aktuell Sportwissenschaftler der Uni Innsbruck das Sport- und Bewegungsverhalten während des zweiten Lockdowns in Tirol und den angrenzenden Regionen[1]. Sie wollen herausfinden, welche langfristigen Auswirkungen die Pandemie-Maßnahmen auf das Verhalten der Menschen haben. In Deutschland hat die Universität Gießen die Auswirkungen des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 auf das Sportverhalten analysiert – mit teils dramatischen Ergebnissen[2]: Etwa ein Drittel der über 30-Jährigen hat demnach das Sportpensum stark reduziert oder eingestellt. Auf der anderen Seite haben dieser Untersuchung zufolge Ausdauersportarten im Freien (z.B. Radfahren, Joggen) und online-gestützte Fitnessangebote zugenommen.
Die Erklärung hierfür liegt auf der Hand: Wenn die Sportanlagen der Kommunen, Vereine und der gewerblichen Anbieter geschlossen sind, suchen sich viele Aktive offenbar andere Betätigungsmöglichkeiten. Offen ist, ob diese Anpassungen nur kurzfristiger Natur sind und wir nach einer Normalisierung der Pandemie-Lage wieder eine Rückkehr in die bisherigen Strukturen erleben werden oder ob die Individualisierung im Sport noch stärker als in der Vergangenheit vorangetrieben werden wird.
Unabhängig davon hat die Corona-Pandemie nochmals die Bedeutung des öffentlichen Raumes für Bewegung und Sport hervortreten lassen. Durch die Sportverhaltensuntersuchungen, die seit den 1990er Jahren durchgeführt werden, ist die Bedeutung der Freiflächen für Bewegung und Sport gut dokumentiert. Exemplarisch soll hier nur ein Ergebnis aus einer Untersuchung zum Sportverhalten vorgestellt werden.
In der Hansestadt Lübeck wurde im Januar / Februar 2020 und damit vor dem ersten Lockdown eine repräsentative Befragung zum Sport- und Bewegungsverhalten durchgeführt. Wie in anderen vergleichbaren Untersuchungen zeigt sich, dass die meisten Sport- und Bewegungsaktivitäten im öffentlichen Raum stattfinden. Park, Wald, Wege, Grünflächen und die freie Natur sowie die Straßen sind die wichtigsten Sportorte – mit großem Abstand zu allen anderen Sport- und Bewegungsräumen. Spannend ist, dass dies für die älteren Befragten ab 41 Jahren in noch stärkerem Maße gilt als für Kinder, Jugendliche oder Erwachsene bis 40 Jahre.
Eine logische Konsequenz, die aus den Daten abgleitet werden könnte, wäre die zumindest gleichrangige Betrachtung des öffentlichen Raumes als Ort der Bewegungsaktivität. Parkanlagen, Plätze, Straßen, Wege sollten wie die klassischen Sportanlagen auf ihre Potenziale für die Bewegungs- und Gesundheitsförderung untersucht werden. Die Förderung von vielfältigen Bewegungs- und Sportaktivitäten sollte nicht nur in der Sportentwicklungsplanung thematisiert werden, sondern Eingang in die Stadt- und Gemeindeentwicklungskonzepte finden. Flächennutzungspläne, Bebauungspläne, Grünflächenplanungen, Mobilitätskonzepte – die Bezugspunkte sind vielfältig.
Bewegung und Sport ist ein Querschnittsthema, welches viele Fachbereiche einer Kommune berührt. Bisher haben es nur wenige Kommunen geschafft, die sektorale Betrachtung zu überwinden und den fachübergreifenden Blick auf die Anforderungen, die sich ergeben, zu schärfen. Wer sich mit Bewegung und Sport ernsthaft beschäftigt, wird sich mit klassischen planerischer Fragen (haben wir zu viel, zu wenig, die richtigen Sportanlagen am richtigen Standort) ebenso konfrontiert sehen wie mit Fragen der sozialen Integration (welche Rolle spielen Sport und Bewegung bei der Integration, in der Jugendarbeit), der Rolle von Bewegung und Sport als Standortfaktor für die Gewinnung von Fachkräften, der Gesundheitsförderung (Ausbildung gesunder Lebensstile) bis hin zu Aspekten des touristischen Angebotes.
Die Herausforderungen sind benannt und liegen nicht erst seit der Covid-19-Pandemie auf der Hand. So titelt beispielsweise der Deutsche Städte- und Gemeindebund 2017 „starker Sport – starke Kommunen. Städte und Gemeinden als Räume der Bewegung“[3]. Das Positionspapier benennt die Herausforderungen und skizziert die Konsequenzen für die örtlichen Entscheidungsträger in Verwaltung und Politik. Der Tenor auch hier: Ein breites Verständnis von Bewegung und Sport, intersektorale Betrachtung und Integration in die Stadtentwicklung.
Mit der Sportentwicklungsplanung steht ein Methodenbaukasten zur Verfügung, der in kleinen Gemeinden genauso eingesetzt werden kann wie in Städten unterschiedlichster Größe, der aber auch auf größere Gebietskörperschaften wie z.B. Landkreise oder auf ganze Bundesländer übertragen werden kann. Entscheidend sind dabei Beteiligungsprozesse und der Einbezug von Interessengruppen, von Betroffenen und von Interessierten.
Doch können Beteiligungsprozesse unter den gegebenen Corona-Bedingungen umgesetzt werden bzw. gelingen? Die Erfahrungen aus dem Jahr 2020 zeigen, dass es möglich ist, einen Großteil der partizipativen Prozesse mit anderen Mitteln umzusetzen. Beispielsweise haben wir in der Marktgemeinde Holzkirchen über ein Online-Seminar, bei dem die ersten Ergebnisse der Bestands- und Bedarfsanalysen vorgestellt wurden, über 100 Interessierte erreicht. Gute Erfahrungen haben wir ebenfalls mit Workshops in digitaler Form gemacht. Digitale Methoden können gegebenenfalls zu einer höheren Beteiligung beitragen, da sich der Aufwand für die Betroffenen reduziert. Schwieriger wird es bei Planungsprozessen, die konfliktbehaftet sind und bei denen die Moderation / Mediation davon lebt, mit den Personen direkt ins Gespräch zu kommen, nonverbale Signale aufzunehmen und sich „in die Augen schauen“ zu können.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich die Themen der Sportentwicklung durch die Covid-19-Pandemie nicht grundlegend verändert haben. Wir werden in den Jahren 2021 und 2022 sicherlich verstärkt die Folgen thematisieren: Ein noch stärker individualisiertes Sportverhalten, ein Bedeutungszuwachs des öffentlichen Freiraumes und wahrscheinlich auch eine rückläufige Bindekraft der Sportvereine gepaart mit nachlassendem dauerhaften freiwilligen Engagement und einer prekären Vereinsfinanzierung.
[1] https://www.uibk.ac.at
[2] https://doi.org/10.1177/1012690220934335
[3]https://www.dstgb.de/dstgb/Homepage/Aktuelles/Archiv/Archiv%202017/Statement%20zur%20kommunalen%20Sportpolitik/