Erst prüfen – dann sanieren!
In den vergangenen Jahren hat die Anzahl der Kunststoffrasenplätze zur Sportausübung weiter zugenommen und alte Geläufe wie Tennenplätze größtenteils verdrängt. Gründe für diese Entwicklung sind unter anderem die...
Internationales Fachmagazin für Spiel-, Sport- und Freizeitanlagen
Bewegung ist wichtig und sehr zutreffend ist die Bezeichnung, dass der Mensch ein Bewegungslebewesen ist. Tägliche Bewegung ist daher unverzichtbar, die Folgen von Mangelbewegung sind hinlänglich bekannt. Dennoch bemühen sich viel zu wenige Menschen zu täglicher Bewegung. Woran liegt das? Ein sicherlich gewichtiger Grund für Bewegungsabstinenz ist das Fehlen und/oder die Unattraktivität von geeigneten Flächen und Räumen im Wohnumfeld, auf denen man sich angenehm, gesund und kommunikativ bewegen kann. Eine seit Generationen bekannte Forderungen an die Kommunen lautet daher Bewegungsräume zu schaffen.
Gerade derzeit in den Zeiten der Pandemie sind diese Flächen und Angebote besonders wichtig, wobei die Besonderheiten von Abstand und Hygieneregeln einzuhalten sind. Bewegung an der frischen (und sauberen) Luft ist auch in Phasen des Lockdowns zu ermöglichen.
Der Entwicklung und Planung derartiger Bewegungsräume und -flächen ist daher große Sorgfalt zu widmen. In der Vergangenheit hat dies in den 1950er Jahren mit der Sportstättenleitplanung nach dem Goldenen Plan der DOG begonnen, in dem für genormte Sportflächen nach einem pro-Kopf-Richtwert in Bezug zur Einwohnerzahl geplant wurde. Ende der 1970er Jahre, insbesondere als Folge der Trimm-Dich-Bewegung, wurde diese Planung unter neue und weitere Ziele gestellt. Das ungenormte Bewegen außerhalb regelgerechter Sportarten erfuhr zunehmende Beliebtheit und so wurden erstmals auch nicht normgerechte und freie Sporträume innerhalb der kommunalen Sportstättenentwicklung berücksichtigt. Dieser erweiterte Betrachtungsrahmen stellte damit erstmals den Sport in einer Kommune als Ganzes in den Mittelpunkt einer Entwicklung und so entstanden ab Anfang der 1980er Jahre erste Sportentwicklungskonzepte auf kommunaler Ebene. An dieser Betrachtung des Sportgeschehens in einer Kommune hat sich bis dato kaum etwas geändert.
Einen anderen Ansatz verfolgt jedoch die seit 1990 bekannte Integrative Sportentwicklungsplanung. Dieser Ansatz sieht das kommunale Sportgeschehen mit allen seinen Ausprägungsformen und Facetten als ein Querschnittsthema der kommunalen Entwicklungsplanung. Damit wird dieses Planungsinstrument zu einem zentralen Baustein der kommunalen Daseinsvorsorge, weitreichender als andere Planungsverfahren der Sportentwicklung. Sportentwicklung integrativ in eine Vielzahl anderer kommunaler Entwicklungsbereiche einzubinden eröffnet eine Fülle an Chancen und Vorteilen. Diese beginnen bei der Methodik der Planung und reichen bis zu wirtschaftlich-finanziellen Chancen in der Realisierung von Sportprojekten.
Die Integrative Sportentwicklungsplanung verfolgt eine mehrdimensionale Methodik, indem sie nicht nur die organisierten Sportphänomene berücksichtigt. Diese sind zweifelsohne einfach aufzunehmen und zu erheben, da der Organisationsgrad der Sportvereine und des Schulsportes nahezu vollständig ist. Es ist aber bekannt, dass Bewegung und Sport seit einigen Jahren bevorzugt in unorganisierter Form gesucht und betrieben werden. Insofern berücksichtigt die Integrative Sportentwicklungsplanung ganz besonders auch diese Phänomene und erhebt Daten hierzu.
Die Integrative Sportentwicklungsplanung versteht Sport und Bewegung als alltäglichen Bestandteil des gesamten urbanen Lebens. Insofern treten beide Phänomene auch in allen Bereichen des täglichen Lebens auf und queren somit alle Entwicklungsbereiche der Kommune. So werden u.a. auch Betriebssportgruppen, freie Rehasportgruppen, Angebote der Krankenkassen etc. aufgenommen.
Unter diesem Verständnis von Sport und Bewegung ist die Methodik der Integrativen Sportentwicklungsplanung angelegt. Es geht nicht um eine sektorale Entwicklung, die allein vom Sport – und ggf. Schulamt durchgeführt wird und nur den organisierten Sport berücksichtigt. Eine Integrative Sportentwicklungsplanung ist eine „Chefsache“ und wird durch die Verwaltungsspitze in alle Fachämter getragen. Diese sind mit eigenen Fachbeiträgen selbst tätig und bringen ihre Fachkenntnisse und Anforderungen in die Sportentwicklung mit ein. In dieser Struktur liegen bereits einige Vorteile. Zum einen wird das Projekt Sportentwicklung nun ganz oben aufgehängt und erfährt so eine wesentlich höhere Bedeutung innerhalb der kommunalen Entwicklung. Zum anderen ist die Akzeptanz innerhalb der Verwaltung hierdurch gewährleistet und die aktive Mitarbeit der Fachämter gesichert. Und schließlich tritt die Sportentwicklung durch dieses stabile Fundament ihrer Entwicklung aus dem Schein der Freiwilligkeit heraus. Es bleibt zwar unbestritten, dass Sportentwicklung eine freiwillige kommunale Leistung bleibt, aber dennoch gibt dieser integrative Ansatz dem Projekt eine wesentlich höhere Akzeptanz in Politik und Verwaltung als eine nur sektorale Entwicklung, die nur teilweise in die Politik getragen wird.
Die Integrative Sportentwicklung bezieht die Fachbeiträge und/oder Stellungnahmen vieler Fachämter ein und erhält hierdurch eine Vielzahl an Inputs und Anregungen, die bei einer nur sektoralen Planung unentdeckt und unbekannt bleiben. Es ist ganz eindeutig, dass hierdurch eine viel breitere Entwicklung von Sport und Bewegung möglich ist. Und andererseits werden Sport und Bewegung in verschiedene Fachämter getragen, die bislang nichts damit zu tun hatten und nun ihrerseits interessiert werden sich auch diesem Thema anzunehmen. Es ist aber nicht nur der vielfältige Input aus anderen Fachämtern in den Sport, sondern es sind auch zahlreiche Entwicklungsmöglichkeiten von Sport- und Bewegungsräumen sowie auch von Sportangeboten, die in einer konventionellen Sportentwicklung unentdeckt bleiben. Gerade durch „cross-over“-Entwicklungen, also aus der Kreuzung der Entwicklungen verschiedener Fachämter, entstehen meistens neue und sehr spannende und innovative Sportangebote. Und da die Sportlandschaft einer Kommune sehr spezifisch und lokalindividuell ist, sind es viele kleine und kleinere Sportgelegenheiten, die sich nun durch die multidisziplinare Zusammenarbeit ergeben.
Nicht zuletzt ergeben sich auch eine Vielzahl an wirtschaftlich interessanten Chancen zur Entwicklung von Sporträumen und/oder -angeboten. Gerade wenn die kommunale Wirtschaftsförderung in dieses Projekt eingebunden ist, werden Sportangebote zu Standort- und Marketingvorteilen der Kommune oder werden von Unternehmen als Chance erkannt ihre Fürsorge für die Mitarbeiter zu erhöhen.
Grundlagen dieser umfassenden Sportentwicklung einer Kommune, insbesondere in den nichtorgansierten Sportphänomenen, ist die Identifizierung und Abgrenzung von einwohnerbezogenen Sportsoziotypen. Hieraus wird die Sportdisposition und das Sportverhalten einzelner Sozialgruppen abgeleitet und als Grundlagen der Sportentwicklung herangezogen. Um diese Prognosen weiter abzusichern arbeitet die Integrative Sportentwicklungsplanung mit der Methode der Szenarienbildung. Hierzu werden bekannte Sporttrends der Kommune herangezogen und in Form einer Trendverlängerung zu möglichen Szenarien entwickelt, die individuelle Sportentwicklungen kennzeichnen und aufzeigen. In vielen Fällen sind diese Szenarien bereits eingetreten, wodurch sich diese Methoden als durchaus valid erwiesen haben.
Ein weiterer Ansatz der Integrativen Sportentwicklung ist das Networking im interkommunalen Sport. Was bislang vorwiegend im Vereinssport durch Jugend- und/oder Wettkampfsport gut funktioniert, nämlich Kontakt und Verbindungen auf regionaler oder nationaler Ebene, kann nun sehr einfach auch in den unorganisierten Sportphänomen aufgebaut werden und zu einer Stärkung der lokalen Sportidentität führen. So können z.B. fachliche Austausche zwischen Unternehmen auch auf der (betriebs)-sportlichen Ebene stattfinden und zu einer innovativen Form des Networkings werden.
Nun kann natürlich die Kritik vorgebracht werden, dass eine derartig umfassende Sportentwicklung in ihrer Konzeption und Planung gar nicht zu finanzieren wäre. Sofern jedoch der politische Wille hierzu vorhanden ist und die Politik durch entsprechende Beratung von den Möglichkeiten und Chancen einer Integrativen Sportentwicklung überzeugt ist, eröffnen sich auch weitere (finanzielle) Möglichkeiten der Durchführung und Realisierung. Das Argument „…geht nicht…“ ist damit also ad absurdum geführt.
Die Methode ist in einigen Kommunen mit großem Erfolg eingesetzt worden und hat neben einer positiven Weiterentwicklung des Sports auch verschiedene andere Entwicklungen angestoßen und positiv beeinflusst.
Zum Autor
Heiner Haass ist Architekt/Stadtplaner, promovierter Sportwissenschaftler und Professor für Städtebau an der Hochschule Anhalt. Er befasst sich seit 1988 mit kommunaler Sportentwicklung und hat in diesem Bereich geforscht, entwickelt, publiziert und vorgetragen. Auch die planungspraktische Seite seiner Arbeit aus städtebaulichem Entwurf und Planung in Verbindung mit sportwissenschaftlicher Expertise ist eine umfassende Erfahrung. Haass bietet für Städte und Gemeinden daher entsprechende Beratung und Begleitung und auch ganzheitliche Sportentwicklungsplanungen an.