Ausgewählte Aspekte der Aus- und Weiterbildungsdebatte.
Der vorliegende Beitrag fasst ausgewählte Ergebnisse des Forschungsverbundprojektes „BiK – Bewegung in der frühen Kindheit“ 1 zusammen. Es ist Teil der bundesweiten Bemühungen um Professionalisierung und stärkere Strukturierung der Kindheitspädagogik. Getragen werden diese von der „Ausweitung der Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (AWiFF), einem Projekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und der Robert Bosch Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Jugendinstitut. Die drei Partner setzen sich dafür ein, im frühpädagogischen Weiterbildungssystem in Deutschland mehr Transparenz herzustellen, die Qualität der Angebote zu sichern und anschlussfähige Bildungswege zu fördern.
Im Einzelnen beschäftigt sich der Beitrag mit folgenden drei Fragekomplexen:
1. Welcher Stellenwert und welche Bewegungsverständnisse liegen dem Bildungsbereich Bewegung in den Bildungs- und Orientierungsplänen der 16 Bundesländer für den vorschulischen Bereich zugrunde?
2. Wie spiegeln sich mögliche Sinnfelder der Bewegung im spezifischen Fachverständnis frühpädagogischer Fachkräfte wider?
3. Welchen Stellenwert hatten bewegungsbezogene Inhalte in der Ausbildung pädagogischer Fachkräfte und welche Weiterbildungswünsche ergeben sich daraus?
Bedeutungsfelder der Bewegung in den Bildungsplänen
Grundlage für eine systematische fachspezifische Analyse der Bildungs- und Orientierungspläne waren zwei Zugänge: Zum einen eine Bezugnahme auf die in der deutschen Bewegungs- und Sportdidaktik bekannten Analysen der „Mehrperspektivität des Bewegungshandelns“ (Funke-Wieneke, 2004), zum anderen die Berücksichtigung der wissenschaftlichen Diskurse zur Bedeutung der Bewegung in den Disziplinen Sport-, Erziehungs- und Neurowissenschaften, Medizin sowie Psychologie anhand ausgewiesener Monografien, Sammelwerke und Fachzeitschriften. Die erarbeiteten Kategorisierungen von Zielen, Sinn und Bedeutung von Bewegung für Bildungs- und Entwicklungsprozesse lassen sich interpretativ den folgenden vier Hauptkategorien bzw. Bedeutungsfeldern zuordnen (zur Vertiefung s. Bahr u.a., 2012, S. 98ff).
a) Bewegung als Lerngegenstand
Hier geht es vor allem um den Aufgabenbereich der Erziehung zur Bewegung. Der eigenständige Bildungsbereich soll die körperlich-motorischen Voraussetzungen vermitteln, die das Kind in die Lage versetzen, an der Bewegungs-, Spiel- und Sportkultur Teil zu haben. Neben klassischen Diskussionslinien zur Ausbildung motorischer Grundeigenschaften (konditionelle und koordinative Fähigkeiten) werden vor allem Greifen, Gehen, Laufen, Springen, Klettern, Werfen etc. als entwicklungspsychologische und bildungswirksame Grundtätigkeiten thematisiert.
b) Bewegung als Medium zur Gesundheitserziehung
basiert auf der Vorstellung, dass durch die Vermittlung einer positiven Einstellung zu Bewegung, Spiel und Sport schon früh Bewegungsfehlentwicklungen bzw. Zivilisationskrankheiten vorgebeugt werden kann. Entsprechend finden hier klassisch-kompensatorische Begrifflichkeiten wie Fitness oder auch Haltungs- und Kräftigungsschulung eine Diskussionsgrundlage. Neuere Begründungszusammenhänge zielen auf eine salutogenetische, ressourcenorientierte Bedeutung der Bewegung: danach können durch körperliche, aber auch psycho-emotionale Stärkungen Ressourcen zur Entwicklung der Gesamtpersönlichkeit aktiviert werden. Die modernere Sichtweise sieht Bewegung im Kontext einer ganzheitlichen Wirkweise von körperlichen, emotionalen und sozial ökologischen Gesundheitsfaktoren unter Einschluss einer gesunden Ernährungsweise.
c) Bewegung als Medium des Lernens
Der Ansatz des bewegten Lernens besagt, dass eine aus Bewegungserfahrungen resultierende Handlungsfähigkeit und Strategiebildung Einfluss auf die generelle Planungs- und Lernfähigkeit in schulischen Kontexten nimmt. Entsprechend richtet sich die Aufmerksamkeit auf die bewegungsbezogenen Vorläuferkompetenzen und die Frage der Verbindung von Bewegung und Handlungskompetenz mit anderen Bildungsbereichen in Bildungsplänen des Kindergartens und der Grundschule.
d) Bewegung als Medium der Entwicklungsförderung
geht von der fundamentalen und verbindenden Bedeutung von Bewegung für alle Entwicklungsbereiche (kognitiv, sozial, emotional, körperlich) aus. Danach haben Bewegungserfahrungen eine kategoriale Bedeutung für die Entwicklung der Selbst-, Sozial- Sach- und Handlungskompetenzen des Kindes in seinem Zugang zur Welt. Über seine Erkundungs- und Bewegungsaktivität wird das Kind zum Gestalter seiner eigenen Entwicklung. Entsprechend stehen in dieser Perspektive Konzepte der Selbst- und Persönlichkeitsbildung im fachlichen Diskurs.
In weiteren Schritten wurden differenzierte Begriffssysteme entwickelt, die das jeweilige Sinnfeld repräsentieren und mit deren Hilfe Texte und Dokumente in ihrem zugrunde liegenden Bedeutungsverständnis interpretiert werden können. Daraus ergab sich die Möglichkeit, durch farbliche Kennzeichnung von Textpassagen, Dokumentenportraits der Vorschulbildungspläne anzulegen und diese einem systematischen Vergleich zuzuführen2.
In allen Bildungs- und Orientierungsplänen der Bundesländer (2004-2011) ist Bewegung ein eigenständiger Bildungsbereich. Begrifflich ist die Bezeichnung „Körper, Bewegung, Gesundheit“ vorherrschend. In der inhaltlichen Gewichtung ist das Bildungsziel „Bewegung als Entwicklungsförderung“ klar favorisiert gegenüber der Gesundheitserziehung und dem Gegenstandsbereich Bewegung und Körperlichkeit selbst. Die Verbindung von Bewegung und Handlungskompetenz mit anderen Bildungsbereichen (Bewegung als Lernprinzip) wird noch selten thematisiert. Die verantwortlichen Bildungsplaner schreiben Bewegung und Körperlichkeit vor allem eine mediale Bedeutung zu, ein breit gefächertes Bewegungsrepertoire als Zielthema selbst steht nicht im Vordergrund.
Das Bewegungsverständnis der pädagogischen Fachkräfte
Zur Klärung dieses für die Kindergartenpraxis relevanten Themas werden im Weiteren ausgewählte Befunde der quantitativen Erhebung des BiK-Projektes1, 3 vorgestellt. Ziele der empirischen Untersuchungen sind eine umfassende Ist-Stand-Analyse zu Stellenwert und Umsetzung des Themas Bewegung in Kindertagesstätten und die bewegungsbezogene Aus-/Fort- und Weiterbildungssituation der frühpädagogischen Fachkräfte. Die Erkenntnisse fließen im Projektverlauf in die Neukonzeption des fachspezifischen Aus- und Weiterbildungsbereiches ein.
Die Untersuchung erfolgte anhand einer Onlinebefragung frühpädagogischer Fachkräfte im Jahr 2012. Die Stichprobe mit 2400 Teilnehmerinnen stellt bundesweit einen repräsentativen Ausschnitt nach den Kriterien der Bundesland- und Trägerverteilung dar. So wurden die Untersuchungsteilnehmerinnen nach möglichen Assoziationen zum Thema Bewegung bei Kindern im Alter zwischen 0-6 Jahren gefragt: Auf Basis dieser Kategorisierung zeigt sich deutlich, dass die Befragten mit einem Anteil von 70,6% der Stichprobe die Bedeutung Bewegung als „Medium zur Entwicklungsförderung“ priorisieren4. Den geringsten Stellenwert nimmt das Bedeutungsfeld „Bewegung als Medium des Lernens“ ein (18,2 %).
Die Ergebnisse zeigen zudem, dass die Untersuchungsteilnehmerinnen größtenteils Antwortmöglichkeiten zu allen vier Bedeutungsfeldern ankreuzen. Dies kann als Anhaltspunkt dafür gesehen werden, dass bei den Fachkräften kein einseitiges, sondern ein relativ komplexes Verständnis zum Thema Bewegung bei Kindern im Alter von 0-6 Jahren vorherrscht. Zudem wird deutlich, dass die „Negativ-Assoziationen“ nur sehr selten angekreuzt wurden (vgl. Stahl-von Zabern u.a., 2013 i.Dr.).
Bewegungsbezogene Ausbildungsschwerpunkte und Fortbildungswünsche
Die Ergebnisse sprechen für eine mehrheitlich positive Bewertung (hoch bzw. sehr hoch) der Bedeutung von Bewegung für die gesamte Entwicklung und die förderliche Wirkung auf Gesundheit und Bildung von Kindern im Alter von 0 – 6 Jahren von Seiten der Fachkräfte. Um den Bildungsbereich Bewegung im Kita-Alltag adäquat umzusetzen, ist neben struktureller Rahmenbedingungen (Personalschlüssel, Raum-, Materialangebot etc.) auch eine breite Wissensbasis der Fachkraft eine Voraussetzung. Hierzu stellt sich die Frage nach der angemessenen fachspezifischen Ausbildung der frühpädagogischen Fachkräfte. Anhand einer fünfstufigen Skalierung (1 = sehr gering; 5 = sehr hoch) sollte angegeben werden, welche bewegungsrelevanten Ausbildungsinhalte in der eigenen Ausbildung Berücksichtigung fanden. Die im Fragebogen aufgeführten Inhaltsbereiche wurden für die Datenauswertung in die drei Schwerpunkte "aktuelle Themen", "Praxis" und "Theorie" unterteilt.
Als Ergebnis kann eine sehr differenzierte Berücksichtigung spezifischer Ausbildungsinhalte festgehalten werden: die „praktische Umsetzung von Bewegungsspielen/-angeboten“ nimmt den höchsten Stellenwert ein. Andere praktische Ausbildungsinhalte wurden hingegen eher gering berücksichtigt. Theoretische Ausbildungsaspekte finden durchschnittlich eine mittlere Berücksichtigung. Die in der Fachdiskussion aktuellen Themen „Bewegung bei Kindern im Alter unter 3 Jahren“, „Inklusion“ , „Transition“ sowie „Innen- und Außenraumgestaltung" wurden in der Ausbildung der Fachkräfte jedoch eher gering aufgegriffen. Eine mögliche Begründung ist hier, dass die Ausbildung der befragten Fachkräfte i.d.R. bereits länger zurück liegt (Durchschnittsalter 45 Jahre) und diese Themen noch nicht im Lehrplan berücksichtigt wurden. Bei der Gegenüberstellung der eigenen Ausbildungsinhalte und der bewegungsbezogenen Fortbildungswünsche zeigt sich deutlich, dass die Fachkräfte insbesondere in ihren Defizitbereichen einen besonderen Fort- und Weiterbildungsbedarf einräumen (vgl. Stahl-von Zabern u.a., 2013 i.Dr.). Von besonderem Interesse für die Leser dieser Zeitschrift dürfte der Befund sein, dass das Thema der Innen- und Außenraumgestaltung an erster Stelle der Fortbildungswünsche rangiert.
Erste Konsequenzen und Schlussfolgerungen
Die Ergebnisse zeigen, dass frühpädagogische Fachkräfte die Bewegung bei Kindern im Alter von 0 – 6 Jahren vorwiegend als „Medium der Entwicklungsförderung“ verstehen. Dennoch werden auch andere Bedeutungsdimensionen zum Thema Bewegung benannt, so dass hauptsächlich von einem komplexen Bewegungsverständnis der Fachkräfte ausgegangen werden kann. Die Bedeutung und der Stellenwert von Bewegung für die gesamte Entwicklung des Kindes werden insgesamt von den Untersuchungsteilnehmerinnen als hoch eingeschätzt. Jedoch zeigen die Befragungsergebnisse auch, dass in der eigenen Ausbildung der frühpädagogischen Fachkräfte bewegungsbezogene Inhalte nur einen mittleren bzw. geringen Stellenwert eingenommen haben. Ein deutlicher Nachhol- bzw. Ergänzungsbedarf in der fachschulischen bzw. hochschulischen Ausbildung ist insbesondere hinsichtlich der aktuellen Themen und Entwicklungen zu sehen. Dementsprechend äußern die Fachkräfte ein hohes Interesse an bewegungsbezogenen Fort-/Weiterbildungsangeboten.
Anhand dieser Ergebnisse lassen sich erste Anhaltspunkte für die Entwicklung eines übergreifenden Qualifikationsprofils zum Bildungsbereich Bewegung als auch für bedarfsorientierte Aus-/Fort- und Weiterbildungskonzepte ableiten. Denn insbesondere Themen wie "Bewegung und Inklusion" sowie "Bewegung für Kinder unter drei Jahren" , aber auch die "Innen- und Außenraumgestaltung" sollten in der bewegungsbezogenen Aus-Fort- und Weiterbildung Berücksichtigung finden. Einen hohen Stellenwert sollten zudem die praxisbezogenen Themen einnehmen.
Anmerkungen:
1 Das BMBF-Projekt „Bewegung in der frühen Kindheit“ (Fördernummer: 01NV1104) wird von der Universität Köln (Prof. Dr. Klaus Fischer) koordiniert und im Verbund der Universität/FH Dortmund (Prof. Dr. Gerd Hölter/Dr. Stefanie Kuhlenkamp) und den Hochschulen Koblenz (Prof. Dr. Wolfgang Beudels) und Niederrhein (Prof. Dr. Christina Jasmund/Prof. Dr. Astrid Krus) durchgeführt. http://www.kompetenzprofil-bik.de/
2 Das forschungsmethodologische Vorgehen mithilfe des Verfahrens MaxQdA soll hier nicht vertieft werden
3 Die hier vorgestellten Befunde sind in Zusammenarbeit mit von Zabern, L.;
Kopic, A. und Klein, J. erhoben und ausgewertet worden.
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