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Internationales Fachmagazin für Spiel-, Sport- und Freizeitanlagen

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16.10.2013 - Ausgabe: 5/2013

Stadt- und Sportentwicklung im demografischen Wandel

Von Andrea Dittrich-Wesbuer, ILS Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung gGmbH

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Eine Vielzahl von Forschungsarbeiten sowie Modellprojekten beschäftigen sich derzeit mit dem demografischen Wandel. Auch in der Öffentlichkeit bzw. den Medien wird das Thema stark aufgegriffen. Dies liegt auch darin begründet, dass das Thema gesellschaftliche Relevanz für jeden
Einzelnen besitzt. Auch für die Stadt- und Sportentwicklung lassen sich vielfältige Veränderungen
aufzeigen. Aus der fachlichen Perspektive einer Stadtforscherin sollen im Folgenden einige zentrale Facetten des Themas vorgestellt werden

Der demografische Wandel ist ein vielschichtiger Prozess. Zunächst einmal muss er in einzelne Teilphänomene untergliedert werden – bekannt unter dem Slogan „älter – weniger – bunter“. Angesprochen sind damit sehr unterschiedliche Trends, die auch die Stadt- und Sportentwicklung
sehr differenziert beeinflussen. Während die fortschreitende Alterung vor allem eine Verschiebung der Nachfrage nach Wohnraum, Infrastrukturen oder Dienstleitungen durch ältere Menschen
nach sich zieht, rückt mit der Schrumpfung vor allem der Leerstand und die Unternutzung in den Fokus. Die buntere, sich immer stärker ausdifferenzierende Gesellschaft wirft schließlich vor allem die Frage auf, ob neue Ansprüche und andere Akteur- Strukturen – auch im Sport – berücksichtigt werden müssen.
Die aktuellen Bevölkerungsprognosen gehen davon aus, dass das Durchschnittsalter von derzeit 43 Jahre auf 47 Jahre im Jahr 2030 steigen wird und wir in diesem Zeitraum einen Rückgang von 3 Mio. Menschen verzeichnen werden. Dies klingt zunächst nicht sonderlich dramatisch. Ein paar Jahre
älter – was macht das schon? Zudem meldet die Presse aktuell wieder leicht steigende Bevölkerungszahlen, die aus kurzfristig gestiegener Zuwanderung resultieren. Derartige Entwicklungstrends für Gesamtdeutschland oder grobe Durchschnittszahlen sagen aber wenig über die tatsächliche Brisanz des demografischen Wandels. Hier ist vielmehr ein differenzierter Blick gefragt, da die einzelnen Prozesse räumlich äußerst unterschiedlich verlaufen. Vor allem Gebiete mit schwacher ökonomischen Basis und nicht ausreichenden Arbeitsplatzpotenzial verlieren jüngere Menschen durch Wanderungen und überaltern massiv. In diesen Regionen ist in der Regel auch ein deutlicher Rückgang der Bevölkerung zu verzeichnen, während andere Gebiete noch an Bevölkerung zunehmen. Das räumliche Bild der Verlierer und Gewinner hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr verändert: Während in den 90er Jahren noch ein klarer Unterschied zwischen dem wachsenden Westen und dem schrumpfenden Osten zu erkennen war, ist die Entwicklung nun durch ein heterogenes Nebeneinander von Wachstum und Schrumpfung gekennzeichnet. Gewinner sind derzeit in Ost wie West vor allem einige (wenn auch nicht alle) Großstädte. Dieser von den Medien stark aufgegriffene Trend zur „Reurbanisierung“ wurde inzwischen auch wissenschaftlich nachgewiesen und basiert aktuell vor allem auf der hohen Zahl junger Menschen in der Ausbildungsphase (sogenannte Bildungswanderung).
Während für die Teilprozesse „älter“ und „weniger“ inzwischen viele Erkenntnisse vorliegen und es hier primär um praxisorientierte Aufbereitung und Vermittlung des bestehenden Wissens geht, ist der Kenntnisstand im Prozess des „Bunter“-Werdens noch lückenhaft und unübersichtlich. So existiert bislang keine gesicherte Wissensbasis zur Einschätzung der künftigen Lebensstile und Bedürfnisse der Bevölkerung. Dass wir einen bunten Strauß unterschiedlichster Formen der Lebensgestaltung erwarten können, zeigt beispielsweise ein aktuelles Forschungsprojekt der
Universitäten Karlsruhe und Aachen. Allein für die immer größer werdende Gruppe der Älteren wurden hier sieben Lebensstile der Zukunft herausgearbeitet und zur Veranschaulichung nach Zeitschriftentiteln benannt. Für den Bereich Sport lässt sich aus der Forschungsarbeit grundsätzlich die gute Nachricht ableiten, dass Fitness und Bewegung einen hohen Stellenwert bei den künftigen Senioren einnehmen werden. „Fit For Fun“ heißt dementsprechend einer der Lebensstiltypen. Diese, aber auch andere aktive Typen wie „Abenteuer und Reisen“ oder auch „Schöner Wohnen“, lassen für die Zukunft eine abnehmende Neigungen zu organisiertem Vereinssport und ein steigendes Interesse
an individuellen, fitnessbetonten Sportarten erwarten. Für andere, lokal stark verankerten Typen („Hörzu“; „Meine Familie und Ich“) könnte dagegen ein wohnungsnahes Vereinsangebot interessant zu sein – wenn sie motiviert werden können. Diese und weitere Indizien der Studie müssen von der aktuellen Forschung weiter untermauert werden, um als konkrete Hilfestellung für die Stadtentwicklung greifen zu können.
Welche Folgen hat das „Älter“, „Weniger“ und „Bunter“ nun in den Städten und Gemeinden? Zur Beantwortung dieser Frage muss auf die kleinräumige Ebene der Stadtteile und Quartiere heruntergezoomt werden, die in sehr unterschiedlichem Maße betroffen sind. Bevölkerungsverluste
und Alterung konzentrieren sich vielfach aufeinzelne Teile von Städten und fallen dort umso massiver aus. Das angeführte Nebeneinander von Wachstum und Schrumpfung setzt sich also auf kleinräumiger Ebene fort.
Ein gutes Beispiel hierfür stellen die Siedlungsgebiete der 50er und 60er, die zunehmend von (häufig alleinlebenden) Älteren geprägt werden und von steigendem Leerstand und Abwertung betroffen
sind. Diese problematischen Gebiete existieren nicht nur in Gegenden mit hohen Bevölkerungsverlusten. Vielmehr werden auch wachsende Städten zunehmend mit dieser Herausforderung im Siedlungsbestand konfrontiert.
Für die Kommunen ist nicht nur das schlechte Image derartiger Wohngebiete ein Problem. Aus der Perspektive der kommunalen Haushalte wird vielmehr die Unterhaltung der Infrastrukturen zunehmend schwierig. So erweisen sich die mit hoher Zentralität angelegten technischen Netze als unflexibel und zeigen hohen Anteil invariabler Kosten. Hinzu kommt der altersbedingte Erneuerungsbedarf, der gerade in den älteren Siedlungsteilen derzeit verstärkt auftritt.

Dies betrifft zum einen die Abwasserentsorgung, die als Paradebeispiel für die „demografische Kostenfalle“ gilt und vielerorts zu einer massiven Erhöhung der Gebührenbelastung führt bzw. in Zukunft führen wird. Die kommunalen Straßen sind dagegen vor allem im Unterhalt teuer. Diese nicht auf den Einzelnen abwälzbaren Kosten belasten den kommunalen Haushalt stark, der bei rückläufigen Einwohnerzahlen gleichzeitig über weniger Einnahmen verfügt. Auch die Betriebskosten von Schul- und Sportanlagen, die zu wesentlichen Teilen in der Finanzierungslast der Kommunen liegen, tragen beträchtlich zum hohen Ausgabenbedarf der Städte und Gemeinden für
ihre Einwohner bei.
Städte und Gemeinden müssen sich der Herausforderung des demografischen Wandel stellen. Dies gilt gerade für kleinere Kommunen im ländlichen Raum. Lange Zeit regierte hier die Hoffnung auf weiteres bzw. wiederkehrendes Wachstum mit der Folge, dass neue Siedlungsgebiete ausgewiesen wurden und notwendige Anpassungen unterblieben. Dass hierzu auch bei starker Betroffenheit noch
Handlungsmöglichkeiten bestehen, zeigt exemplarisch das Beispiel der Stadt Altena. Ein Rückgang von 32.000 im Jahr 1970 auf knapp 18.000 Einwohner 2012 hat der Stadt im Sauerland (Nordrhein-Westfalen), die eigentlich wegen ihrer schönen mittelalterlich Burg bekannt ist, den unrühmlich
Titel der am stärksten schrumpfenden Kommune in Westdeutschlands eingebracht. Konsequenzen wie leerstehende Wohngebäude und unterausgelastete Infrastrukturen setzten eine Abwärtsspirale in Gang, die sich auch in der Haushaltslage der Stadt – Altena ist seit 2001 im Nothaushalt -
widerspiegelte. Etwa seit der Jahrtausendwende wurde ein umfassender Anpassungsprozess begonnen, der in allen Bereichen des öffentlichen Lebens seine Spuren hinterlassen hat. Dass dieser Prozess in Gang kam, ist nicht zuletzt auf das Engagement des Bürgermeisters Dr. Hollstein zurückzuführen, der 1999 sein Amt antrat. Anstatt Wahlgeschenke zu verteilen, bekannte er sich von Anfang an zu den notwendigen, für die Bevölkerung auch schmerzhaften Maßnahmen.

So im Sportbereich, wo alle freiwilligen Zuschüsse der Stadt für die Vereine abgeschafft, mehrere Schulen und Sporthallen sowie ein Freibad geschlossen und Nutzungsgebühren für städtische Sportanlagen umgesetzt wurden, was auch zu Protesten in der Bürgerschaft geführt hat. Da die Stadt gleichzeitig über Modellprojekte und eingeworbene Fördermitteln in enger Zusammenarbeit mit den Bürgerinnen und Bürgern neue Ideen und Maßnahmen wie Begegnungsstätten, Dorfläden u.Ä. vorantrieb, konnte aber dennoch viel Zustimmung in der Bevölkerung erzeugt und ehrenamtliches Engagement ausgebaut werden. Dazu trug auch das städtische Entwicklungs- und Handlungskonzept bei, das in einem breiten Beteiligungsprozess (auch unter Einbeziehung der Sportakteure) entwickelt und letztlich 2007 mit vielen konkreten Maßnahmen fraktionsübergreifend beschlossen wurde. Hierin wurden zudem Leitbilder und Visionen für die Stadt entwickelt, die die Chancen für Zukunft – etwa in Hinblick auf den Ausbau der touristischen Attraktivität der Stadt – betonen.

Der Umbauprozess ist noch nicht zu Ende und auch für den Sportbereich gibt es weiterhin bittere Pillen zu schlucken – so ist mit dem Rückzug des Tischtennisclubs TTC Altena aus dem Profisport ein sportlicher Stern der Stadt aktuell untergegangen. Insgesamt ist der Sportbereich in Altena laut
Aussage des Bürgermeisters mit einer breiten Palette an Vereinen und stabilen Mitgliederzahlen aber gut aufgestellt und profitiert vom hohen Engagement der Altenaer Bürgerinnen und Bürger.

Beispiele wie Altena machen inzwischen Schule und in den Kommunen wird zunehmend erkannt, dass nur eine aktive Politik und eine klare Benennung der anstehenden, oft auch schmerzlichen Veränderungen die Lebensqualität der Städte und Gemeinden erhalten kann. Der Sport und seine Akteure können hierzu heute und in der Zukunft einen wichtigen Beitrag leisten.
 

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