Erreichbarkeit von Spielplätzen
Stellen wir uns kurz den schönsten Spielplatz der Welt vor – und keiner könnte hinkommen! Die in der DIN 18034 als Erreichbarkeit beschriebene Norm fordert...
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„Die Sportvereine müssen die Hotspots der Prävention werden“, zitierte das Hamburger Abendblatt Ende März 2020 den Soziologen Prof. Dr. Hans-Jürgen Schulke. Was damit genau gemeint sei, stellt der ehemalige Direktor des Hamburger Sportamtes in seinem nachfolgenden Essay dar. Der Beitrag wurde zuerst in dem Blog quergedacht von Helmut Digel veröffentlicht und wurde im September 2020 aktualisiert.
Die Einschränkungen der Corona-Pandemie haben die Sportwelt komplett getroffen: Profisport, Großveranstaltungen, Vereins- und Schulsport, Bewegungskindergärten, Fitnessstudios, individuelles Sporttreiben. Formen und Strukturen des Sports wurden stillgelegt. Olympia, das größte Fest der Welt, wird dieses Jahr nicht gefeiert. Noch nie seit Beginn der bürgerlichen Sportbewegung vor 200 Jahren ist die gesellschaftlich organisierte sportliche Aktivität derart komplett unterbrochen worden – das trotz zweier Weltkriege und tiefgreifender politischer, technologischer und gesellschaftlicher Umbrüche. Wert und Weiterentwicklung des Sports sind neu zu bestimmen.
Vorrangig wird derzeit der Berufssport diskutiert. Es kann sein, dass es nach Ende der Krise, von Medien und Akteuren der Unterhaltungsindustrie forciert, über kurz oder lang wieder „business as usual“ gibt. Genauso denkbar ist, dass Menschen die Krise wie die Erfahrung der Entschleunigung des Alltags, die erlebte Solidarität reflektieren. Auch ihre eingeschränkten Finanzen. Stattdessen mehr zu Veranstaltungen in ihren Stadtteilen oder ihrem Quartierverein gehen, Kinder mehr zu deren Sportterminen begleiten. Es besteht die Chance zur Rückbesinnung auf die Idee des Sports als bewegendes soziales Miteinander mit mehr Bescheidenheit, Fairness, Respekt vor Spielern und Zuschauern, Achtsamkeit und Gesundheit, Selbstorganisation. Mehr Miteinander als lautes Massenevent. Das müsste von Verbänden, Veranstaltern und Politik auch gelebt und belebt werden.
Virologen und Epidemiologen geben unterschiedliche Analysen und Prognosen. Der medizinische Erfolg der kurzfristig getroffenen Einschränkungen (Zahl der Verstorbenen und schwer Erkrankten) ist im Vergleich mit anderen Ländern unstreitig, Gründe werden erst Ende des Jahres durch den Vergleich nüchterner Zahlen und in komplexer Gesamtschau erkennbar sein. Eine pestähnliche Gefährdung der gesamten Bevölkerung blieb aus. Dennoch bleibt die Frage, wie ein Land und der Einzelne sich gegen eine Pandemie schützen.
In der Gesamtschau sind auch ökonomische, pädagogische, sportliche, soziale und psychische Kollateralschäden zu bewerten. Wichtige Aspekte einer Pandemiebekämpfung wurden anfangs noch ausgeblendet. Insofern ist die primäre medizinische Versorgungslogik um eine umfassende Präventionslogik zu ergänzen. Hier wird Sport wichtig. „Körperliche Bewegung an frischer Luft kostet nichts, ist aber das beste Heilmittel gegen Erkrankungen.“ Das haben Turnvater Jahn und die Aufklärer schon vor 200 Jahren gesagt. Die WHO hat das aufgrund eindeutiger wissenschaftlicher Befunde bestätigt und fordert maßvolle wie individuell abgestimmte wöchentliche sportliche Aktivität von allen Mitbürgern mit der Botschaft „Be active“. Dieser Gedanke sollte stärker in den Vordergrund rücken neben Warten auf Impfstoff oder Medikamente. Die Erkenntnis, dass auf Widerstandsfähigkeit (Resilienz) ausgerichtete Lebensführung wesentlicher Faktor bleibt, um virale Krisen zu bestehen, lässt sich an der ungleichen sozialen Verteilung schwerer Coronainfekte ablesen.
Virale Attacken sind nicht zwangsläufig mit langen Krankheiten oder tödlichem Ausgang verbunden. Dramatische Verläufe betreffen vor allem Ältere oder Menschen mit Vorerkrankungen – oder riskantem Lebensstil. Ein Infekt kann von einem gesunden, widerstandsfähigen Menschen eher überwunden werden. Da muss sich jeder selbst fragen: Ernähre ich mich gesund, nehme ich genug Vitamine zu mir, treibe ich genug Ausdauersport um meine Immunkompetenz erhöhen? Auch die sozialen Kontakte, die einem gut tun, die psychisch stabilisieren, sind wichtiger Faktor - genauso wie der persönliche Umgang mit Stress und berufliche Zufriedenheit oder sicheres Wohnen. Es gilt entsprechend seit einigen Jahren ein Präventionsgesetz, das gesundheitssportliche Angebote fördert und für möglichst viele Menschen gesundheitsfördernde Lebensbedingungen schaffen will.
Insofern kann der Sport wiedererstarken oder sogar durch die Krise an Gewicht gewinnen, wenn er sich zukunftsgerichtet als Feld versteht, in dem Menschen körperliche und soziale Immunkompetenz, sprich „Resilienz“ stärken. Das fehlt derzeit in der öffentlichen Debatte: Welche Traditionen, Strukturen, Potenziale, welche Stärken hat der Sport, die er präventiv für solche Krisen einbringt? Und welche ansprechenden Räume, welche anregende Ausstattung sind dafür erforderlich?
Wie können die 90.000 Sportvereine in Deutschland daran mitwirken? Sie sollten sich konsequent als Organisator qualifizierter Gesundheitsangebote, nach der WHO als „gesunder Lebensort“ darstellen. Der Vereinssport mit 27 Millionen Mitgliedschaften ist in Deutschland die größte zivilgesellschaftliche Organisation. Er ist traditionell und strukturell idealer Partner für Gesundheit und Prävention. Er bildet einen besonderen Ort, wo freiwillig und selbstorganisiert gemeinsames Bewegen gelingt. An fast jedem Ort gibt es Sportvereine, hunderttausende Trainer sind gesundheitsrelevant ausgebildet, die Zahl der Angebote für Fitness, Gesundheit, Entspannung ist enorm, 10 Mio. Vereinsmitglieder von Kleinkindern bis Hochbetagten besuchen präventionsorientierte Angebote, finden stabile soziale Kontakte. Zögernd beginnt die Politik in der Krise die Bedeutung der Vereine zu erkennen, mindestens stellen Länder und Bund unkompliziert Mittel für unbeschäftigtes Personal, Mieten, Infrastruktur bereit. Noch ist das kein langfristiges Präventionskonzept, das auch Hygiene beinhaltet. Im Milliardenpaket der Bundesregierung war zunächst nichts zur drängenden Sportstättensanierung zu finden.
Noch fehlt die Ideenschmiede zu einem Gesamtkonzept für eine resiliente Gesellschaft, das den Sport einschließt. Vereine sind kreativ, agil, arbeiten verantwortungsvoll und lösungsorientiert. Anfangs Einkaufsdienste für die Nachbarschaft, immer mehr stellen täglich Videos mit Übungen für zu Hause oder den Garten ins Internet. So etwas passiert in Tausenden Vereinen in der Stadt und auf dem Land. In Kleinstgruppen wird mit Abstand geradelt, gewandert und gejoggt. Früh hätte ein desinfiziertes und räumlich klar aufgeteiltes Fitnessstudio oder der Gymnastikraum von Partnern mit Distanz genutzt werden können statt pauschal alles zu schließen – auch Spielplätze. Die totalen Einschränkungen übersehen Verantwortung und Kraft zur Selbstorganisation der Zivilgesellschaft.
Künftig sollten Vereine im Sinne gesundheitsfördernder Netzwerke ihre Kooperation mit Schulen und Kindergärten verstärken, gefährdete Gruppen gezielt ansprechen. Krankenkassen, Ärzte, Sport- und Gesundheitsämter, Gesundheitswirtschaft, Pädagogen wären geradezu berufen, gesundheitliche Aspekte des Sports vor Ort stärker zu fördern, in kooperativen Netzwerken den Weg in eine sozial solidarische und körperlich widerstandsfähige Gesellschaft zu unterstützen. Das würde stabiler Gesundheit dienen und Milliarden im Gesundheitssystem einsparen helfen. Die tägliche Sportstunde wäre ein Ziel. Man sollte in Kindergärten stärker als bisher Bewegungseinheiten einbringen und die Kooperationen zwischen Schule/Verein verstärken, Betriebs- und Rentnersport erweitern. Vereine als Hotspots der Gesundheitsprävention und – motivation hat Tradition und Zukunft.
Die aktuelle Krise greift umfassend in das gesamte Leben ein, doch wird das zurückgehen. Bereitschaft und Sensibilität für Stärkung der Gesundheit werden bleiben. Es ist wichtig, dass von Sportorganisationen und Politik konkrete Maßnahmen folgen, die die Bereitschaft im dialogischen Prozess aufgreifen und konzeptionell gestaltet sind. Es gibt im Vereinssport eine ausgeprägte Kultur des Mitmachens, der Toleranz und Unterstützung der Schwächeren – Hilfestellung als Prinzip. Man denke an Beiträge der Vereine zur Flüchtlingsintegration, im Reha- oder dem Behindertensport, für Hochbetagte. Die Weltspiele geistig behinderter Menschen 2023 in Berlin werden Beispiel für ein neues Verständnis von Sportveranstaltung und Vorbild an Fröhlichkeit, Gemeinsamkeit, Gesundheitsförderung sowie kultureller Bereicherung sein, wie wir es im Sport lange nicht mehr erlebt haben.
Es führt kein Weg an neuen Debatten um Gesundheit und Sport vorbei, wenn das Land nachhaltig krisenfester gegen Pandemien werden soll. Indem die Politik den Gedanken ernst nimmt, „Gesundheit für alle“ - dazu gehört das soziale Miteinander -zu stärken und Gesundheitspolitik nicht nur eng als Abwehr von Krankheiten sieht, wird Vereinssport in Zukunft eine bedeutendere Rolle spielen.
Die jetzige Krise beinhaltet für alle die Herausforderung zu reflektieren, was er oder sie vom Sport für die eigene Gesundheit erwartet, wo aktiv mitgestaltet werden kann. Vereine sind für viele Menschen ein Stück Heimat, in der man im Alltag Unterstützung erfährt – er kann im umfassenden Sinne der WHO einen „gesunder Lebensort“ bilden. Wenn diese Potentiale von der Politik, den Sportorganisationen, auch der Wirtschaft aufgenommen werden, kann das zum gesundheitsfördernden, humaneren Sporttreiben führen. Garantie gibt es dafür nicht. Es liegt an den Menschen und gesellschaftlichen Institutionen, diese Perspektive zu unterstützten. Auch im und durch den Berufssport.
Profisport bleibt attraktives Element der modernen Unterhaltungsindustrie. Er wird seine Bedeutung behalten. Zuschauen, sich mit guten Leistungen identifizieren und sich von ihnen begeistern zu lassen, ist nichts Verwerfliches. Was sich ändern könnte, ist, dass die exorbitanten Summen, die im Profisport gezahlt werden, sich relativeren. Eine Hoffnung ist, dass die soziale Verantwortung der Akteure, von den Spielern angefangen über die Vereine bis zu den Spielerberatern, die diesen Geldkreislauf befeuern, zunimmt, dass sich Berufssportler nicht als abgehobene Gruppe empfinden, sich stärker den Zuschauern, den Nachwuchsspielern, den sozialen Defiziten, die es in jeder Gesellschaft gibt, zuwenden. Und Veranstalter ihr Event auch als gesunden Lebensort gestalten. Wenn das Wirklichkeit wird, und Ansätze dafür gibt es derzeit viele, wäre das ein positiver Anstoß, den die Coronakrise hervorgerufen hat.
Die jetzigen Erfahrungen mit unserer Gefährdung und Verletzlichkeit könnten dazu beitragen, dass wir Unterhaltungsbedürfnisse bewusster in den gesamten Lebensalltag einordnen, sie nicht als Ort der Heldenverehrung und Mittelpunkt des Lebens betrachten. Den tragen in Wirklichkeit andere, die zu Recht plötzlich als „Helden des Alltags“ entdeckt wurden. Die Chance besteht, dass künftig der Zusammenhang vom professionellen Zuschauersport mit dem Kinder- und Seniorensport in Vereinen durch gegenseitige Achtsamkeit wieder wächst. Im Übrigen finden wir im Sport wie in anderen Freiwilligenorganisationen tausendfach und traditionell Helden des Alltags – als Kassenwart und Chronist, Kampfrichter und Trainer, Gerätewart, Fahrer, Tröster.
Der Autor:
Prof. Dr. emer. Hans-Jürgen Schulke (Jg. 1945) war Hochschullehrer für Sportsoziologie in Bremen und Hamburg. Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher Bücher insbesondere zur Vereinsentwicklung, Sportgroßveranstaltungen, Gesundheitssport und Digitalisierung des Sports. Er hat zahlreiche internationale Kongresse veranstaltet. Daneben u.a. Generalsekretär des Deutschen Turnfestes, Direktor des Sportamts Hamburg, federführend für die Fußball-WM 2006, Vizepräsident des DTB und der Bundesvereinigung für Prävention und Gesundheit.