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Playground@Landscape

Internationales Fachmagazin für Spiel-, Sport- und Freizeitanlagen

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03.12.2020 - Ausgabe: 6/2020

Die Rolle des Öffentlichen Raums

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© RTH Aachen University, Fakultät für Architektur

Playground@Landscape: Was macht für Sie ein lebenswertes Umfeld aus?

Christa Reicher: Ein lebenswertes Umfeld muss in erster Linie den Menschen, die sich hier aufhalten, Freude bereiten. Und bei dieser Frage sind wir auch schon bei der Disziplin des Städtebaus: Städtebau ist in erster Linie dem Menschen verpflichtet und muss das Ziel verfolgen, die Lebensqualität in unseren Quartieren und Städten zu verbessern oder auch in Teilen einfach zu sichern. 

Ob das Umfeld lebenswert ist, hängt maßgeblich davon ab, wie dieses gestaltet ist und welche Möglichkeiten der Nutzung es bietet. Vor diesem Hintergrund spielt der Prozess des Planens, der Identifikation von Anforderungen und Defiziten und damit letztendlich Partizipation eine zentrale Rolle. Partizipation bedeutet für mich eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Bedürfnissen der Menschen vor Ort. Dabei geht es nicht um die Umsetzung von lautstark artikulierten Einzelinteressen, sondern um konstruktive Diskurse mit der Zivilgesellschaft mit dem Ziel, das inhaltliche Fundament für ein Konzept zu erarbeiten, das dann von Experten und Expertinnen in ein Gestaltungskonzept überführt und in der Folge entsprechend umgesetzt wird.

 

P@L: Warum sind öffentliche Außenräume für eine Stadt so wichtig?

Christa Reicher: Öffentliche Räume sind sowohl die Visitenkarte als auch das Rückgrat einer Stadt. Sie bestimmen somit die Attraktivität und die Identität von Städten. Zugleich kommt ihnen die Funktion des „sozialen Kitts“ zu. Wenn der öffentliche Raum verwahrlost, dann reagieren die Menschen mit dem Umzugswagen – sei es weil sie sich nicht mehr sicher fühlen oder weil sie negative soziale Entwicklungen in ihrem Quartier befürchten. Der öffentliche Raum ist demnach ein ganz zentraler Seismograf für das Vertrauen in eine funktionsfähige Nachbarschaft und in eine perspektivische Lebensqualität. 

Und gerade in Zeiten von Corona werden diese vielfältigen Funktionen des öffentlichen Raumes offensichtlich, denn unsere Gesellschaft spaltet sich offensichtlich in einen Teil, der einen privaten Freiraum besitzt oder nutzen kann, und in einen Teil, der auf die Nutzung des öffentlichen Raumes mit all seinen Restriktionen und Auflagen angewiesen ist. Die Nutzung von und die Teilhabe am öffentlichen Raum bekommt also eine neue Bedeutung – als Ort der Begegnung und des Austausches und damit des „sozialen Kitts“. 

 

P@L: In wie weit kann der öffentliche Raum die Nutzung und das Verhalten in einer Stadt beeinflussen?

Christa Reicher: Die Gestaltung und der Zustand des öffentlichen Raumes haben auf beides eine unmittelbare, nicht zu unterschätzende Wirkung. Dieser Zusammenhang lässt sich eindrücklich am Beispiel von Wasser und Bäumen aufzeigen, die in Zeiten des fortschreitenden Klimawandels und der Aufheizung von unseren Städten in den Sommermonaten an Relevanz gewinnen. Wasser verdunstet und braucht dazu Energie. Diese Energie bezieht das Wasser aus der Luft und damit kühlt sich diese ab. Bäume produzieren ebenfalls Kälte durch ihre Verdunstung und spenden zudem Schatten. Also durch die Art der Gestaltung wird der Aufenthalt im öffentlichen Raum befördert oder auch unterbunden. 

 

P@L: Welche Qualitätskriterien zeichnen attraktive öffentliche Bereiche aus?

Christa Reicher: Generell lässt sich feststellen, dass die Qualität des öffentlichen Raumes – von der ästhetischen Gestaltung bis hin zur klimatischen Bedingungen und Angeboten von Verweil- und Sitzmöglichkeiten – maßgeblich dessen Belebung bestimmt und damit die Attraktivität ausmacht. 

Dabei ist öffentlicher Raum nicht gleich öffentlicher Raum. Wir müssen differenzieren zwischen dem öffentlichen Raum in prominenter Innenstadtlage wie beispielsweise der Fußgängerzone und dem Stadtplatz einerseits und im Wohnquartier in dezentraler Lage andererseits. In der innerstädtischen Lage stehen Qualitätsansprüche zur Stärkung der Identität und des Charakters eines Stadtraumes im Vordergrund und die Gestaltung hat einen unmittelbaren Einfluss auf die Fußgängerfrequenz und sogar den Umsatz im Einzelhandel. Im Kontext des Wohnquartiers müssen öffentliche Räume im Hinblick auf ihre Nutzung offener gestaltet sein und wesentlich mehr Aneignungsfähigkeiten bieten, in Abhängigkeit von der Bewohnerstruktur. Während an dem einen Ort das ästhetische Design äußerst relevant ist, so kommt es an der anderen Stelle auf die Fläche an, die in ihrer Nutzung möglichst flexibel ist, also auf die Fähigkeit, sich Raum aneignen und ohne zu viele Einschränkungen nutzen zu können.  

 

P@L: Wie können wir die vorhandene gewachsene Stadt umgestalten, um den neuen Herausforderungen der Stadtentwicklung gerecht zu werden?

Christa Reicher: Auch wenn wir oft das Gefühl haben, unsere Städte seien schon fertig gebaut, so gibt es doch eine erhebliche Veränderungsrate, die zwischen 2 und 4 % der gebauten Struktur liegt. Wir haben also einen großen Spielraum für Gestaltung und Intervention. Hier müssen wir unseren Einfluss nutzen und neue Prioritäten setzen. Zudem ist jedes einzelne Gebäude, das neu errichtet wird, ein partieller Wandel von Stadt. Gleiches gilt für den Freiraum. 

Die große Herausforderung besteht darin, die vorhandene Stadt im Hinblick auf eine qualitätsvolle Dichte weiterzubauen und dabei den Freiraum und die Mobilität als gleichberechtigte Anliegen in den Blick zu nehmen. In die Praxis übersetzt bedeutet dies, dass an der ein oder anderen Stelle durchaus verträglich nachverdichtet werden kann, vielleicht auch bewusst höher gebaut wird, wenn die Voraussetzungen für die Erreichbarkeit oder nachhaltige Formen von Mobilität gewährleistet sind, und an der anderen Stelle klimasensible Flächen konsequent von Bebauung frei gehalten werden. 

 

P@L: Wie müssten neue gestaltete Stadtquartiere in Bezug auf die Gestaltung eines resilienten öffentlichen Raumes aussehen?

Christa Reicher: Resilienz als Widerstandsfähigkeit gegenüber Katastrophen und als Fähigkeit zur eigenständigen Erneuerung unserer Quartier und Städte erfährt nach einer Krise, wie wir sie gerade erleben, eine ganz neue Relevanz. Ein gutes Konzept von urbaner Resilienz basiert auf mindestens fünf Fähigkeiten: Robustheit, Flexibilität, Lernfähigkeit, Multidisziplinarität und ganzheitlichen Lösungsansätzen. Ich will damit nicht sagen, dass bestehende Konzepte und Strategien obsolet werden, sondern hervorheben, dass der Blick auf eine integrierte Betrachtung und einen dialogorientierten Planungsprozess mit den Menschen vor Ort zunehmend wichtiger wird.

 

P@L: Stadt für alle = Stadt mit allen: Lebensraum Innenstadt für Kinder und Jugendliche – geht das überhaupt?

Christa Reicher: Letztendlich muss Planung die Bedürfnisse unterschiedlicher Nutzer befriedigen und vor allem Spielräume für die eigene Initiative lassen. Die Straße als zentralen öffentlichen Raum müssen wir wieder als einen Ort der „Vereinbarung“ auffassen, der Vereinbarung ganz unterschiedlicher Interessen. Das ist keine neue Forderung, denn sie ist schon von der Amerikanerin Jane Jacobs in den 1960er Jahren in ihrem Buch „Tod und Leben großer amerikanischer Städte“ erhoben worden, aber diese Forderung hat mehr denn je heute noch ihre Gültigkeit. Wir müssen über neue Formen von Multikodierung von öffentlichem Raum nachdenken. Das müssen nicht unbedingt die „Alleskönner-Räume“ sein, aber Räume, die so offen gestalten sind, dass sie zu unterschiedlichen Tages- und Jahreszeiten verschiedene Nutzungen erlauben. Obwohl bestimmte Nutzergruppen eigene Bedürfnisse haben wie beispielweise dem Wunsch nach Ruhe, so gibt es jede Menge Aspekte, von denen Kinder, Erwachsene und ältere Menschen gleichermaßen profitieren. 

Ich bin davon überzeugt: Wir kommen einer „Stadt für alle“, in der die sich immer weiter ausdifferenzierenden Bedürfnisse und Interessen aller bestmöglich berücksichtigt werden, nur entscheidend näher, wenn auch eine konstruktive und qualitätsvolle Stadtgestaltung „mit allen“ möglich ist – und auch Stadtplaner nicht „für alle“ planen müssen, sondern „mit allen“ gestalten können.

 

P@L: Sind die Vorgaben im wohnungsnahen Freiraum, wie zum Beispiel die Anzahl und Dimension von Spielplätzen noch zeitgemäß?

Christa Reicher: Gerade in einer Phase, in der Städte zunehmend unter Druck geraten, weil die Nachverdichtung und die Schaffung von Wohnraum vielerorts erste Priorität haben, sind Vorgaben zu wohnungsnahen Freiräumen, Spiel- und Sportplätzen wichtig. Mir fehlt bei den quantitativen Vorgaben jedoch der Blick auf die Qualität und auf innovative Formen der Umsetzung solcher Freiraumkonzepte. Warum kann der Freiraum nicht auf dem begrünten Dach eines Gebäudes liegen? Oder warum sind Erschließungs-, Regenrückhalte- und Spielflächen nicht in einer Überlagerung denkbar? Damit wären vielerorts in der Gesamtbilanz größere zusammenhängende Freiflächen generierbar, die als Bewegungs- und Begegnungsräume extrem wichtig sind. 

 

P@L: Wie würden wir die Stadt der Zukunft planen?

Christa Reicher: Die Stadt der Zukunft muss grün UND urban sein. Diese beiden Aspekte müssen jeweils an der richtigen Stelle und mit höchsten Ansprüchen an Gestaltung, Gebrauchsfähigkeit und Nachhaltigkeit umgesetzt werden. Denn die Stadt der Zukunft wird so sein wie bisher – und doch ganz anders! 

 

 

Das Interview führte Thomas R. Müller (Playground@Landscape)

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