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Playground@Landscape

Internationales Fachmagazin für Spiel-, Sport- und Freizeitanlagen

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15.04.2021 - Ausgabe: 2/2021

Wie sehen die Innenstädte der Zukunft aus?

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© Klaus Burmeister, foresightlab

Playground@Landscape: Wie schaffen wir es, das Bild von der europäischen Stadt, mit ihrem Zentrum als übergreifendem Treffpunkt und öffentlichem Raum, weiterhin lebendig zu halten? Wer oder was sind die Treiber der heutigen Entwicklung und was folgt daraus?


Klaus Burmeister: Wir müssen uns einerseits auf die Entstehung der Stadt mit dem Markt als zentralem Platz der Begegnung und des Austauschs der Bürger und Bürgerinnen rückbesinnen. Anderseits müssen wir die Stadt, die europäische vor diesem Hintergrund neuerfinden. Die überall erfahrbare Tristesse und Langeweile globalisierter Orte für Filialen international agierender Bekleidungs- und Markenkonzerne gilt es im Zeichen der wiederholten Kaufhauskrise, des zunehmenden Leerstands und der Verödung vieler Innenstädte als Aufforderung für ein radikales Neudenken zu verstehen. Und auch als eine Einladung an die Bürgergesellschaft. Sie haben jetzt die Chance, sich ihre Stadt zurückzuholen, sie sich wieder anzueignen. Jede Stadt hat jetzt die Chance, sich spezifisch neu zu erfinden. Das wäre auch eine Stärkung der lokalen Demokratie. War doch die Polis mit der Agora als zentralem Versammlungsplatz die Keimzelle der Demokratie.

 

 

Playground@Landscape: Fast alle Metropolen werden zu teuer – kaum mehr für normale Bewohner bezahlbar. Sind nicht mehr lebendig.


Klaus Burmeister: Sie folgen dem Konzept der Global Cities, sie sind Knotenpunkte in finanziellen Transaktionsnetzwerken. Andere Städte werden mehr und
 mehr zu einer Art Disneyland, wo man Eintritt bezahlt – Florenz, Heidelberg, Venedig, auch Quartiere von Paris, London oder Barcelona. Der weltweite Massentourismus, aktuell forciert durch chinesische Touristen, wird viele Städte und Regionen noch einmal standardisieren.



Playground@Landscape: Muss man Urbanität neu erfinden? Wie?


Klaus Burmeister: Ich beobachte das auch und frage mich, sind das überhaupt noch wirkliche, reale Städte? Zumindest die Kernbereiche dieser touristischen Hot Spots sind spezifische ökonomisch determinierte Artefakte, Kunstorte, Scheinwelten, die nicht mit der Stadt an sich verwechselt werden sollten. Aber sie stehen natürlich in permanenter Interaktion mit dem Rest der von ihnen genannten Metropolen. Sie sind Produkte, auch könnte man sagen, sie sind Marken geworden, deren Aufgabe die Schaffung von Mehrwert ist. Stadt war und ist immer mehr gewesen. Dieses mehr hat erst Urbanität geschaffen. Urbanität ist Dichte, ist Leben und Arbeiten, ist zur Heimat geworden. Auch dadurch, dass Urbanität zur Aneignung nötigt, einlädt und auffordert. Was auch Barcelona nach wie vor bietet. Weil Barcelona eben mehr ist als die Ramblas oder die Sagrada Familia. Aber sie haben Recht, der Massentourismus droht Grenzen zu verschieben und Städte auf spezifische Art zu entkernen. Vielleicht sollten solche städtischen Hot Spots sogar zu einem reinen Vergnügungspark deklariert werden? Die Global Cities sind anders zu bewerten. Sie verändern Metropolen, wie San Francisco und verwandeln sie zu Gated Communities für Reiche mit nachhaltigen sozialen Folgen für das Gemeinwesen. Eine Entwicklung, die ungebrochen weiter gehen wird und nur mit langem Atem, klaren politischen Gestaltungswillen und unter Beteiligung der Zivilgesellschaft beeinflusst werden kann.

 

 

Playground@Landscape: Können da nicht die europäischen Innenstädte, auch mit ihren  „Veedeln“ der Städte eine kontrastierende Rolle spielen? Hier kann man einkaufen, flanieren, sich treffen. Vielfältige Gastronomie, Bistros und Cafés laden zum Verweilen auch dort ein. Wie schätzen Sie deren Bedeutung ein?

 

Klaus Burmeister: Die Innenstädte sind wie eine Art Visitenkarten, wer sie lesen kann, weiß viel über die Menschen und die jeweilige Stadtkultur. Innenstädte sind kaum noch einladende Ort des Verweilens. Die Vielfalt hat sich oft zur Einfalt verkehrt, aber es braucht jetzt Ideen, die die Attraktivität wieder erhöht. Pop-up-Stores stehen für solche Ansätze, die mit individuellen und temporären Geschäftsideen Innenstädte beleben helfen. Warum sollte man nicht etwa auch Handwerksgeschäften die Möglichkeit bieten, in der City präsent zu sein? Auch der aktuelle Trend zum Homeoffice in Coworking-Spaces könnte doch in leerstehenden Shops stattfinden Auch wäre das Thema „Aus- und Weiterbildung mit virtuellen Angebotsformaten“ dafür wunderbar geeignet. Kindertagesstätten oder warum nicht auch Spielplätze für Basket-, Volley- oder auch Fußball in die Innenstadt holen. Sie würden jedenfalls zu einer Belebung beitragen und natürlich auch zu einer Rückkehr des Wohnens. Es mag verrückt klingen, aber Innenstädte müssen ihren Nutzen für die Bürger zeigen. Auch und besonders das Thema Gesundheit spielt dabei eine gewichtige Rolle.
 


Playground@Landscape: Adipositas, Corona und der öffentliche Raum: Eine Analyse ergab, dass vor allem Personen mit Adipositas (BMI über 30) und Männer ein erhöhtes Sterberisiko hatten. Brauchen die Städte mehr grüne Areale und Bewegungsareale?! Only workout can save us: mehr Lebensqualität vor der eigenen Haustür!?

 

Klaus Burmeister: Nun, lebenswerte Städte sind Städte, die ihren Bürgern Freiräume eröffnen. Freiflächen, Plätze und Parks gehören unmittelbar dazu. Stellen Sie sich bitte New York ohne den Central Park vor. Genau. Unvorstellbar. Mehr noch, das städtische Grün ist für das kleinräumige Stadtklima, für das Wohlbefinden der Menschen ein Muss. Solche Freiräume sind Orte der Bewegung und der Begegnung. Ob sie unmittelbar eine aktivierende Wirkung auf individuelle Dispositionen haben, mag dahingestellt sein. Sicher scheint mir, ohne solche grünen Areale in der Stadt würde unser Leben ärmer, bewegungsärmer sein.

 

 

Playground@Landscape: Welche Impulse sind erforderlich, um die Neubelebung und Gestaltung unserer Innenstädte zu optimieren?


Klaus Burmeister: Um solche Ideen für eine Renaissance der europäischen Innenstadt umzusetzen, braucht es Menschen mit kreativen Ideen und auch neue Formen des Bürgersinns und offenen Beteiligungsprozessen. Aber auch und natürlich braucht es potentielle Investoren, Händler und das aktive Mittun der Eigentümer. Es braucht weiterhin einen Freiraum des Denkens und auch des experimentellen Handelns. Jede Stadt sollte ihren eigenständigen Weg gehen. Sie könnten zu Lernorten und Wissensstädten werden, in denen Wohnen, Arbeiten, Freizeit, Begegnung, Kommunikation und natürlich Kultur mit Theater, Kleinkunstbühnen oder Kino gleichermaßen Platz finden. Erst eine nicht mehr allein kommerzielle Erweiterung und Wiederbelebung der Stadt kann lebenswerte und zukunftsoffene Innenstädte ermöglichen.

 


Playground@Landscape: Ihre These, die ich im Fernsehen hörte, ist: Wenn deutsche Innenstädte veröden, ist "auch die Demokratie ein Stück weit beschädigt"?!

 

Klaus Burmeister: Ja, das glaube ich. Warum? Weil die Stadt wie ein Organismus alle Lebensbereiche verbindet und umfasst. Die Innenstädte sind in diesem Bild die sicht-und erlebbaren Lebensadern für den freien Austausch nicht nur von Gütern und Dienstleistungen, sondern auch von Informationen. Mehr noch, sie offenbaren wie ein Seismograph den jeweiligen Zustand einer Stadt. Verödete und entleerte Innenstädte sind Warnsignale und Ausdruck einer Krise. Krisen sind aber auch Wendepunkte. Wendepunkte zum Besseren. Wie die erhöhte Temperatur das Fieber anzeigt und zum Handeln auffordert, so ist die inzwischen manifeste Krise der Innenstädte auch, so sehe ich es, die Chance zur Neubesinnung. Auch und gerade deshalb, weil die Stadt immer noch der lebendige Ort für eine unmittelbare Teilhabe am Gemeinwesen ist, also an unserer Demokratie. Nutzen wir die Chance in diesen Zeiten des Umbruchs.

 

 

Das Interview führte Thomas R. Müller (Playground@Landscape)

 

 

Weitere Informationen:

Klaus Burmeister, der gelernte Starkstromelektriker war nach seinem Studium der Politologie erst an der Freien Universität Berlin beschäftigt, dann am IZT – Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung in Berlin und ab 1990 hat er das Sekretariat für Zukunftsforschung (SFZ) in Gelsenkirchen mit aufgebaut. 1997 gründete er Z_punkt The Foresight Company, die heute zu den führenden Unternehmen für strategische Zukunftsberatung und Corporate Foresight zählt. 2014 rief er das foresightlab ins Leben, das er leitet. Ab 2016 war er Geschäftsführer und ab April 2019 ist er Vorsitzender des gemeinnützigen Vereins „D2030 – Deutschland neu denken“.

Seit drei Jahrzehnten beschäftigt er sich intensiv mit den sich wandelnden Herausforderungen für Wirtschaft und Gesellschaft. Der Prozess der digitalen Transformation, technologische Disruptionen und gesellschaftliche Umbrüche sowie die aktive Mitgestaltung notwendiger Übergänge sind Leitthemen seiner Arbeit. Was dazu benötigt wird, ist ein Verständnis für systemische Zusammenhänge, vernetztes Denken, neue Lern- und Kooperationsformen, die Bereitschaft zum experimentellen Handeln sowie Visionen für eine zukunftsresiliente Gestaltung der Gegenwart. 

Weitere Informationen: www.foresightlab.de

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