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Internationales Fachmagazin für Spiel-, Sport- und Freizeitanlagen

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19.12.2014 - Ausgabe: 6/2014

Körperliche Aktivität in der Prävention und der Gesundheitsförderung

Von Anne Noack und Prof. Dr. med. Dr. Sportwiss. Christine Graf (Deutsche Sporthochschule Köln)

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Bewegung, Spiel und Sport ist für eine ganzheitliche, gesunde Entwicklung von Kindern unerlässlich (zusammengefasst in Graf et al., 2014, Lees & Hopkins, 2013). Dazu zählt neben der Ausbildung motorischer Fähigkeiten und Fertigkeiten insbesondere der Einfluss auf gesundheitliche (Blutdruck, Blutfette, Knochenstruktur etc.), emotionale, psychosoziale und kognitive Faktoren.


Allerdings wird In den letzten zwanzig bis dreißig Jahren ein zunehmender Rückgang der körperlichen Aktivität bei Kindern beschrieben (vgl. Bappert & Bös, 2007; Rethorst, 2004). Laut dem Kinder- und Jugendsurvey (KIGSS) erreichen aktuell nur 24,2 % der Jungen und 17,9 % der Mädchen im Grundschulalter die Empfehlungen der WHO von täglich 60 Minuten Bewegung (Bös et al. 2009). Im Freien spielen täglich nur noch ein Drittel der Kinder im Alter von 3 bis 10 Jahren. Jedoch sinkt dieser Wert mit zunehmendem Alter. Spielen 81,9 % der 3- bis 6-Jährigen Kinder täglich im Freien, so bewegen sich nur noch 70 % der 7- bis 10-Jährigen täglich draußen (Krug et al., 2012). Im Gegensatz dazu nehmen sitzende Tätigkeiten, v.a. am Bildschirm als sogenannte Screentime, erheblich zu.

Laut der KIM-Studie (2012) hat das Fernsehen für die Kinder eine hohe Alltagsrelevanz und wird als regelmäßige Tätigkeit verstanden. Dabei schauen 79 % der 6- bis 13-Jährigen fast jeden Tag Fernsehen und nur jedes zweite Kind spielt täglich drinnen oder draußen. Zudem zeigt die Hälfte der Kinder regelmäßige Computer- und Internetnutzung. Auch im Verlauf der KIM Studie bestätigt sich die Zunahme der „Screentime“ bzw. Abnahme der körperlichen Aktivität im Freien (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, 2013).

Mögliche langfristige Folgen dieser Entwicklung sind bisher nur schwer einschätzbar. Messbar ist jedoch eine Abnahme der motorischen Leistungsfähigkeit sowie – gepaart mit einer hohen Energiezufuhr – Übergewicht/Adipositas (= extremes Übergewicht).

Abnahme der körperlichen Leistungsfähigkeit
Die Datenlage zu Trends der körperlichen Leistungsfähigkeit ist sehr unterschiedlich. Das liegt unter anderem an der Vielzahl von Untersuchungsverfahren, z.B. motorische Tests zur Erfassung der Koordination, Schnelligkeit, Kraft und Ausdauer oder Belastungsuntersuchungen wie z.B. Spiroergometrien etc. International zeichnete sich im Shuttle-Run-Test bei etwa 130.000 Kindern und Jugendlichen (6 bis 19 Jahre), aus 11 Ländern, zwischen 1981 und 2000 eine mittlere Abnahme der aeroben Leistungsfähigkeit um jährlich etwa 0,5 %, insgesamt also etwa 10 %, ab (Tomkinson & Olds, 2007) ab; eine Abnahme der anaeroben Fitness zeigte sich jedoch nicht im säkularen Trend (Tomkinson, 2007). Für den deutschen Raum (Würzburg) wurden in einem Kölner Kollektiv 1.225 Kindergartenkindern untersucht (DeToia et al., 2009). Dabei schnitten in verschiedenen Testaufgaben zur Koordination, Kraft und Schnelligkeit 44 bis 47 % von ihnen unterdurchschnittlich ab. Im Grundschulbereich zeigte sich bei etwa 550 Kindern eine Abnahme der Ganzkörperkoordination (untersucht mit dem Körperkoordinationstest für Kinder) um etwa ein Drittel und der Ausdauerleistungsfähigkeit um etwa ein Viertel (6-min-Lauf; Graf et al., 2004). Im Rahmen der KiGGS Studie wurde im begleitend durchgeführten Motorikmodul bei 4.529 Kindern die motorische Leistungsfähigkeit überprüft; der Test prüfte den Einbeinstand, Balancieren Rückwärts, Seitliches Hin- und Herspringen, Standweitsprung, Liegestütz und Rumpfbeuge. Über alle Altersklassen war etwa ein Drittel der Kinder und Jugendlichen nicht in der Lage, zwei oder mehr Schritte auf einem drei cm breiten Balken rückwärts zu balancieren (Woll et al., 2011). 43 % erreichten bei der Rumpfbeuge nicht ihr Fußsohlenniveau. Ein Vergleich der Ergebnisse im Standweitsprung ergab einen Rückgang der Kraftfähigkeit um 14 % seit 1976. Über die langfristigen gesundheitlichen Folgen dieser Entwicklungen kann aktuell keine abschließende Aussage getroffen werden. Es bestätigt sich aber, wie auch im Erwachsenenalter, dass fittere Kinder
auch ein besseres Gesundheitsprofil und seltener Risikofaktoren für Herz-Kreislauferkrankungen aufweisen (zusammengefasst in Graf et al., 2014).

Kindliches Übergewicht
Laut des Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KIGGS) sind in Deutschland etwa 9,0 % der Sieben- bis Zehnjährigen übergewichtig und 6,4 % adipös (Kurth & Schaffrath-Rosario, 2007). Eine aktuelle Erhebung wird momentan erst durchgeführt. International sowie in manchen Bundesländern zeichnet sich ein Stillstand dieses Anstiegs ab (Olds et al., 2011; Wabitsch, Moss & Kromeyer-Hauschild, 2014); nicht aber in den sogenannten Risikogruppen. Denn neben einer familiären und damit genetischen Veranlagung spielen in der Entstehung von Übergewicht soziodemographische Faktoren wie Migrationshintergrund und/oder ein geringer Bildungsgrad eine entscheidende Rolle (s.a. Graf et al., 2014). Damit scheint die Ausgestaltung des Lebensstils sehr eng zusammenzuhängen: Welche Bedeutung wird körperlicher Aktivität und welche wiederum der Nutzung audiovisueller Medien zugeschrieben. Insbesondere die sogenannte Screentime, v.a. Fernsehen korreliert mit einem höheren BMI. Meist wird die „kritische“ Fernsehzeit mit etwa drei bis vier Stunden täglich angegeben (Tremblay et al. 2011).

Bewegungs- und Gesundheitsförderung
Aufgrund dieser Entwicklungen sind präventive und gesundheitsförderliche Maßnahmen unerlässlich. Diese beziehen sich zum einen auf Bewegungsförderung, zunehmend aber auch auf die Reduktion sitzender Tätigkeiten. Die aktuellen Empfehlungen auf individueller und institutioneller Ebene, z.B. Schulen, sind in Kasten 3 zusammengefasst, denn Gesundheitsförderung und Prävention finden auf vielen Ebenen statt. Dabei wird eine individuumsbezogene Verhaltens- von einer kontextbezogenen Verhältnisprävention unterschieden. Verhaltenspräventive Maßnahmen zielen auf eine Beeinflussung konkreter/individueller Schutz- und Risikofaktoren von Gesundheit ab und versuchen, den persönlichen Lebensstil zu verbessern. Die Verhältnisprävention hat das persönliche, berufliche oder strukturelle Umfeld im Blick und hängt damit u.a. von wirtschaftlichen und/oder gesetzgeberischen Rahmenbedingungen ab. Zwischen beiden Ebenen bestehen Wechselwirkungen, die wiederum durch Faktoren aus sehr unterschiedlichen Bereichen beeinflusst werden. Soziokulturelle Modelle versuchen beispielsweise das Aktivitätsverhalten von Kindern als Zusammenspiel von diesen unterschiedlichen Bereichen zu erklären (Davision et al., 2001; Hinkley et al., 2012). Dabei finden Interaktionen zwischen den Eigenschaften des Kindes wie Alter/Geschlecht und der Familie, der Schule und dessen Rahmenbedingungen durch Kommunen und Politik statt (siehe Abbildung 1).

Um langfristig erfolgreich präventive Maßnahmen umsetzen zu können, müssen bewegungs- und gesundheitsförderliche Ansätze die jeweiligen Rahmenbedingungen berücksichtigen.

Ein besonderer Aspekt – Bewegung im Außengelände
Zunehmend im Fokus der Forschung stehen die Zusammenhänge zwischen Bewegung und Natur; dabei scheint der direkte Kontakt zur Natur positive Auswirkungen auf körperliche, soziale und kognitive Fähigkeiten sowie das psychische Wohlbefinden hervorzurufen (Keniger et al., 2013).

Dabei scheinen Außenaktivitäten die Durchführung von körperlicher Aktivität zu fördern (Calogiuri & Chroni, 2014). Außerdem kommt es zu einer
• Verbesserung des Wohlgefühls und psychosozialer Faktoren (z.B. „social skills“)
• Verbesserung der Fitness sowie der motorischer Fähigkeiten wie z.B. Koordination
• Förderung der Kreativität, akademischen Leistungsfähigkeit wie Konzentration und Aufmerksamkeit
(modifiziert nach McCurdy et al., 2010)

Zudem spielen u.a. Wohnort und die Erreichbarkeit von möglichen Aktivitäten im Freien z. B. Spielplatz eine Rolle. Aber auch die Attraktivität des Spielplatzes nimmt Einfluss auf die körperliche Aktivität von Kindern im Freien. So korrelierten in einer neuseeländischen Studie die Aktivitätsdauer von Kindern mit den vorhandenen Spielgeräten des Spielplatzes (Taylor et al., 2011). Eine weitere Studie konnte zeigen, dass Kinder, vor allem Mädchen, in gut ausgestatteten Bereichen aktiver sind als auf Freiflächen (Farley et al., 2008). Somit sollte ein besonderes Augenmerk auf die Gestaltung des Spielplatzes gelegt werden. Ein attraktives Angebot an verschiedenen Bewegungsmöglichkeiten sollte als Voraussetzung zur Motivation von Kindern zum Spielen im Freien verstanden werden. Die neuerworbene Freude an der Bewegung kann zu einem gesünderen Leben verleiten und somit mögliches Übergewicht bekämpfen.
Ein weiterer täglicher Bewegungsbereich von Kindern stellen Außengelände von Kindergärten und Schulen dar. Eine größere Anzahl von Permanentspielmöglichkeiten auf Schulhöfen ist mit einem höheren Niveau an körperlicher Aktivität bei Kindern verbunden (Taylor et al., 2011). Zudem zeigt sich eine Korrelation zwischen körperlicher Aktivität und gut erhaltenen Sportstätten wie z. B. Fußballtoren, Basketballkörben und Tennisplätzen (Sallis et al., 2001). Somit scheint auch die attraktive Gestaltung des Schulgeländes sowie des Außengeländes eines Kindergartens eine mögliche Maßnahme, um Kinder zu mehr körperlichen Aktivität zu verleiten.


Fazit
Zusammengefasst ist der Nutzen von körperlicher Aktivität und einer gesunden Entwicklung hinreichend belegt; trotzdem zeigt sich eine Bevorzugung sitzender Tätigkeiten, v.a. audiovisueller Medien mit den entsprechenden Folgen. Einerseits spielt die Vorbildfunktion und das entsprechende Bewusstsein über die Zusammenhänge von Bewegung und Gesundheit bei Eltern und Betreuungspersonen eine zentrale Rolle. Insgesamt handelt es sich jedoch (auch) um ein gesamtgesellschaftliches Problem, das im Wesentlichen bildungs- und ökonomische Wurzeln hat, z.B. werden genügend Flächen für Bewegungsräume in einer Kommune zur Verfügung gestellt. Um wirklich eine nachhaltige Trendwende herbeizuführen, ist es daher nicht nur wichtig Eltern und Betreuungspersonen die eigene Rolle zu vermitteln, sondern auch die entsprechenden politischen (u.a. städtebaulichen) und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, die zu mehr Bewegung einladen bzw. diese ermöglichen. Dies gilt nicht nur für Institutionen, wie z.B. Kindergärten und Schulen, sondern vor allem auch für Außenbereiche und Freiflächen, z.B. Spielplätze oder Outdoor-Fitness-Parcours für Jugendliche (und Erwachsene).

 

 

Literatur

Literatur bei den Verfasserinnen.
Weiterführende Rückfragen unter C.Graf@dshs-koeln.de
 

Foto: eibe

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