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15.06.2023 - Ausgabe: 3/2023

Auf dem Weg zu einer nachhaltigen und resilienten Stadtentwicklung – oder wie eine Transformation zu mehr Offenheit und Ästhetik gelingen kann

von Dipl.-Ing., Universitätsprofessorin Christa Reicher (Institut für Städtebau und europäische Urbanistik Aachen)
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© nordenfan / stock.adobe.com

Weltweit stehen Städte und Regionen vor umfassenden Transformationsprozessen: sozialer und demografischer Wandel, Klimawandel, Ressourcenknappheit, Digitalisierung und neue Technologien sind die großen Herausforderungen. Nicht zuletzt durch die jüngsten Pandemien und Multikrisen wird deutlich, wie kurzfristig sich die Rahmenbedingungen ändern können und der Handlungsdruck steigt. Auch im Bereich Städtebau und Stadtentwicklung müssen wir umdenken. Ein „Weiter so“ kann es nicht geben; damit wäre unsere Lebensqualität und insbesondere die der nachfolgenden Generationen, stark eingeschränkt.  

Wenn wir die Transformation nachhaltig und resilient gestalten wollen, dann müssen wir deutlich weniger Ressourcen verbrauchen, den Fokus auf das Flächenrecycling legen und das zirkuläre Planen und Bauen auf allen Ebenen engagiert angehen. Vorstellungen und Wunschvorstellungen von einer linearen Stadtentwicklung sind demnach unrealistisch. Und damit stellt sich mehr denn je die Frage, wie wir im Städtebau und in der Stadtentwicklung auf Veränderungen durch neue Treiber und auf Krisen reagieren sollen.  


Beim Flächenverbrauch fängt es an 

Die globalen Entwicklungen sind im Hinblick auf den Flächenverbrauch alarmierend: Aufgrund der zunehmenden Verstädterung und des Bevölkerungswachstums werden in den nächsten vierzig Jahren – so die Schätzung – 230 Milliarden Quadratmeter weltweit bebaut, was der Fläche von einer Metropole wie Paris pro Woche entspricht (vgl. ACE 2021). Damit ist der steigende Flächenverbrauch offensichtlich einer der wesentlichen Treiber, mit denen die Stadtentwicklung umgehen muss und den Krisen begegnet werden kann. 

Jeden Tag werden in Deutschland laut statistischem Bundesamt durchschnittlich ca. 50 Hektar pro Tag für Siedlungs- und Verkehrsflächen neu ausgewiesen (vgl. Statistisches Bundesamt Wiesbaden, 2021). Damit ist das Ziel der Bundesregierung in der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie, den durchschnittlichen täglichen Anstieg bis zum Jahr 2030 auf unter 30 Hektar zu begrenzen und bis zum Jahr 2050 auf „Netto Null“ zu senken, noch längst nicht in Sichtweite. Durch den Flächenverbrauch geht Freiraum verloren und steht damit nicht mehr für wichtige Ökosystemleistungen, Biodiversität und andere Nutzungen, wie natürlichen Klimaschutz, Nahrungsmittelerzeugung und den Ausbau von erneuerbaren Energien, zur Verfügung (vgl. Positionspapier UBA 2023:17). 

Die Gründe für den zunehmenden Flächenverbrauch sind vielfältig: Der Bedarf an Wohnfläche ist stetig gestiegen. Den deutschlandweiten Durchschnittswert 2020 bezifferte das Statistische Bundesamt auf 47,4 m² pro Person. Im Durchschnitt kommen 0,2 m² pro Jahr dazu (vgl. Empirica Regio). Und auch die angestrebte Flächenkreislaufwirtschaft, bis 2050 keine weiteren Flächen für Siedlungs- und Verkehrszwecke zu beanspruchen, scheint in weite Ferne gerückt. Dabei ist Fläche eine endliche Ressource und eine weitere Versiegelung vor dem Hintergrund des Klimawandels unbedingt zu vermeiden. 

Der Nachverdichtung und dem Flächenrecycling in innerstädtischen Lagen kommen demnach zentrale Rollen zu, weil hier ein großes Flächen- und Nutzungspotenzial besteht. Trotz eines enormen Entwicklungsdrucks auf unsere Städte gilt für den Städtebau und die Stadtentwicklung nach wie vor die Devise „Innenentwicklung vor Außenentwicklung“. Die Entwicklung von brachgefallenen oder untergenutzten Flächen ist aus städtebaulicher Perspektive deshalb von großer Bedeutung, weil nicht nur das Areal selbst aktiviert wird, sondern von dieser Revitalisierung kann eine große Impulswirkung auf die Nachbarschaft und den größeren räumlichen Kontext der Stadt ausgehen. Meist weisen diese Flächen eine gute Anbindung an die vorhandene Infrastruktur auf; die Folgekosten für Erschließung und die Anbindung an den ÖPNV lassen sich durch eine höhere Ausnutzung reduzieren. Konversion bietet zudem die Möglichkeit, vorhandene städtische Strukturen neu zu ordnen und Barrieren, die durch die vorherige Nutzung entstanden sind, zu überwinden. 

Die innerstädtischen Flächen haben demnach meist viele Standortvorteile. Oft genießen diese Areale eine ausgesprochene Lagegunst und gelten als „Filetstücke“ im Kontext der Stadtentwicklung. Auch die bereits vorhandene Infrastruktur und Erschließung kann in vielen Fällen für die neue Nutzung verwendet werden und erleichtert damit die Realisierung von neuen städtebaulichen Konzeptionen. 

Die Herausforderungen, den Verbrauch von Fläche durch die Aktivierung von brachgefallenen und untergenutzten Flächen zu reduzieren, ist also eine zentrale Stellschraube für eine nachhaltige und resiliente Stadtentwicklung, mit dem Wissen darum, dass jede Zukunftsvision für eine Brachfläche auch die Fragen des Klima- und Ressourcenschutzes in hinreichendem Maße berücksichtigen muss. 

 

Vorrang für eine „mehrfache Innenentwicklung“ 

Die gegenwärtige Situation in unseren Städten wird auch durch tiefgreifende Veränderungen im Nutzungsgefüge bestimmt: Der ökonomische Wandel schlägt sich neben der Deindustrialisierung in neuen Formen von urbaner Produktion und Dienstleistung nieder. Mit dem Wandel von der Industrie- zur Wissensgesellschaft stellt sich mehr denn je die Frage, welche Konsequenzen aus den sich ändernden “Geschäftsgrundlagen” für die räumliche Organisation von Stadt zu ziehen sind: Wohnen und Arbeiten werden mehr und mehr kleinräumig kombiniert. Als Folge der Corona-Pandemie hat sich insgesamt das Verhältnis zwischen Wohnen und Arbeiten neu sortiert. Homeoffice scheint für viele Berufszweige zur neuen Normalität zu werden. Mit den Veränderungen der Arbeitswelt sinkt der Bedarf an Büroflächen. 

Und generell wird Produktion sehr viel stadtverträglicher, weil aufgrund des technologischen Fortschritts umweltfreundlicher produziert werden kann und der Anteil industrieller Produktion am gesamten Wirtschaftsgeschehen seit vielen Jahren zurückgeht. 

Zugleich steht der Handel vor enormen Herausforderungen. Der zunehmende Online-Handel als Treiber und Verstärker der Krise hat seit Jahren die Frage aufgerufen, welche Zukunft der stationäre Einzelhandel hat. Die Corona-Pandemie hat wie ein Beschleuniger für den Niedergang des Einzelhandels gewirkt und zu gravierenden Leerständen der Ladenlokale und sonstigen Einzelhandelsflächen geführt. In der bisher zu monofunktional konzipierten Innenstadt eröffnen sich damit neue Möglichkeiten für kreative Nutzungen und die Rückkehr von Produktion in innerstädtische Lagen. Unter den veränderten Rahmenbedingungen ordnen sich nicht nur die „alten“ Nutzungen räumlich neu, sondern sie konstituieren sich anders und entwickeln sich auch teilweise zu „neuen“ Nutzungstypen wie Gewerbe & Tourismus, Industrie & Kultur oder Co-Working & Living.  

Die Aktivierung von untergenutzten Arealen stellt eine Innenentwicklung dar, die Antworten auf die Treiber und die Multikrisen liefern und die jenseits einer angemessenen ökonomischen Nachverdichtung auch eine kompensatorische Funktion übernehmen kann. Sie sollte idealerweise im Sinne einer „mehrfachen Innenentwicklung“ verschiedene Inhalte und Ansprüche umfassen, also multidimensional aufgestellt sein und langfristige Qualitätsziele in den Blick nehmen.  Innenentwicklung darf nicht demnach nur auf die Erhöhung der baulichen Dichte abzielen, sondern den Anspruch an Nutzungsvielfalt, eine Erweiterung und qualitative Aufwertung des Grünvolumens, des Mobilitätsangebots sowie die Berücksichtigung baukultureller und energetischer Aspekte einlösen. 

Die „mehrfache Innenentwicklung“ ist somit ein wichtiger Baustein einer nachhaltigen Stadtentwicklung, sie kann allerdings nur gelingen, wenn die verschiedenen Disziplinen – mindestens Stadt-, Landschafts- und Verkehrsplanung – eng zusammenarbeiten und die unterschiedlichen Belange integriert in einen Planungsprozess eingebracht werden (vgl. UBA 2022:15). Die Vernetzung der Akteure und deren Einbindung in ein zielführendes und transparentes Prozessdesign ist Voraussetzung für eine erfolgreiche nachhaltige Stadtentwicklung. 

 

Freiraum und Landschaft als urbane Elemente 

Das bewusste Nicht-Bebauen von innerstädtischen Flächen sowie deren langfristige Sicherung als landschaftlich geprägte Freiräume - auch im urbanen Kontext - kann eine gute Antwort auf die vielfältigen Treiber und Krisen sein. Denn Stadt und Landschaft sind längst nicht mehr die traditionellen Gegenspieler, sondern lediglich verschiedene Ausdrucksformen der kulturellen Prägung unserer Umwelt. Für den Städtebau bedeutet diese Erkenntnis, dass Landschaft als Teil der Stadt begriffen werden muss, und dass die Vorstellung, Landschaft als Komplementär zur Stadt zu verstehen, überholt scheint. Landschaft kann ohne weiteres in der Stadt einen gleichberechtigten Part im urbanen Gefüge bilden. Dabei ist die Funktion der Landschaft entsprechend der jeweiligen Situation unterschiedlich. Im innerstädtischen Kontext kann Landschaft generell als städtebauliches Element Urbanität stützen und stärken. Der Gedankengang, mit Landschaft Stadt zu machen, ist also keineswegs abwegig. Im Gegenteil: Er ist nahe liegend vor dem Hintergrund der Auswirkungen des Klimawandels. 

Gerade der Klimawandel in Verbindung mit der baulichen Dichte von Städten führt verstärkt zu Hitzeereignissen in den Städten, die sich auf das Wohlbefinden der BewohnerInnen und insgesamt auf die Lebensqualität auswirken. Vor diesem Hintergrund sind städtische Grünflächen aufgrund ihrer kühlenden Funktion geeignet, negative gesundheitliche Auswirkungen zu mildern (Bowler et al. 2010). Neben der Kühlung spielt das Grün eine wichtige Rolle im Hinblick auf Verschattung, Wasserrückhalt und Wasserspeicherung und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Klimaanpassung. Eine ganz zentrale Devise von zukunftsfähiger Stadtplanung muss sein, möglichst viele Flächen für Grün und für Wasser zu schaffen. Im Idealfall sollten Städte zukünftig CO2 absorbieren, statt dieses auszustoßen.

Die Diskussion um die urbane grün-blaue Infrastruktur, verstanden als ein Netzwerk aus naturnahen und gestalteten vegetations- und wassergeprägten Flächen und Elementen in der Stadt, rückt zunehmend in den Fokus der Stadtentwicklung. Grün-blaue Infrastruktur erbringt ein breites Spektrum an Ökosystemleistungen und trägt zugleich zur Erholung, Bewegung und Begegnung bei. Innerhalb der Städte sind die Grünflächen meist ungleich verteilt: Die zentralen Ortslagen sind häufig durch geringe Grünflächen gekennzeichnet; hier steht besonderer Handlungsbedarf (vgl. BBSR 2022:102f). Zugleich hat die Corona-Pandemie das Problem der sozial ungerechten Verteilung und Erreichbarkeit von städtischen Grün- und Freiflächen aufgezeigt. 

Mit dem Blick auf dieses Netzwerk und die entsprechenden Stadträume ist zu beachten, dass diese künftig ihre Aufenthaltsqualität für alle unterschiedlichen Interessensgruppen bewahren, die an einem Funktionieren des komplexen Systems Stadt beteiligt sind. Das bedeutet, inklusive Frei- und Stadträume zu schaffen, die auf die Bedürfnisse von Bewohner*innen in den Quartieren vor Ort reagieren und zugleich offen und erreichbar für andere Interessensgruppen sind. Gegensätzliche oder sich überschneidende Anforderungen an städtische Freiräume durch verschiedene, sich teilweise widersprechende Ansprüche zu moderieren, ist eine schwierige Aufgabe. Sie geht nicht zuletzt mit der Gefahr einer Überprogrammierung und Übergestaltung einher (vgl. Reicher, Tietz 2022) und ruft Fragen nach der Offenheit von Strukturen auf – auch für das Ungewisse, mit dem wir zukünftig in der Stadtentwicklung umgehen müssen. 

 

Resilienz und Offenheit zur Überwindung von Konkurrenzen 

In dieser Phase der Haltlosigkeit wird eine Erkenntnis in der Stadtentwicklung zunehmend wichtiger: die Bedeutung von Widerstandsfähigkeit gegenüber Katastrophen und die Fähigkeit zur eigenständigen Erneuerung unserer Quartiere, Städte und Regionen nach einer Krise. Ohne Resilienz wird kein wirklicher Fortschritt in unserer Gesellschaft möglich sein. In der Stadtplanung erfährt also „urbane Resilienz“, zu der auch die Offenheit für neue räumliche Konstellationen und die Übereinkunft von bisher konkurrierenden Nutzungen, eine ganz neue Relevanz. Die Corona-Pandemie wird womöglich irgendwann vorüber sein – die Klimakrise bleibt und wird sich verstärken. 

Ein gutes Konzept von urbaner Resilienz muss den Kriterien des Klimaschutzes und der Klimaanpassung folgen. Es basiert auf mindestens fünf Fähigkeiten: 

  • Robustheit: im Sinne eines widerstandsfähigen Umgangs mit Störungen
  • Flexibilität: ein flexibles Agieren auf Veränderungen 
  • Lernfähigkeit: ein Lernen aus überstandenen Krisensituationen
  • Multidisziplinarität: multidisziplinäre Ansätze zu verfolgen  
  • Ganzheitliche Lösungsansätze: umfassende und integrierte Lösungen entwickeln (vgl. Council of the European Union 2013)

Ein resilientes urbanes System umfasst nahezu alle Bereiche des Lebens, von der angesprochenen Daseinsvorsorge bis hin zu einem nachhaltigen Mobilitätskonzept, von der ressourcenschonenden Stadtentwicklung bis hin zur klimagerechten Stadtgestaltung mit nutzbaren unversiegelten Grünflächen. Es muss aber auch den Aspekt der Teilhabe einschließen, also Formen der Partizipation und des zivilgesellschaftlichen Engagements der Bevölkerung. Prozessorientierte Planungsansätze, denen es gelingt, Top-Down- und Bottom-Up-Ansätze intelligent miteinander zu verschränken, sind heute mehr denn je zukunftsfähig. Bestehende Konzepte und Strategien werden damit nicht obsolet, aber eine integrierte Betrachtung und ein dialogorientierter Planungsprozess mit den Menschen vor Ort wird zunehmend wichtiger.

Resilienz spielt nicht nur auf den verschiedenen räumlichen Ebenen eine Rolle – vom Quartier, über die Stadt bis hin zur umgebenden Region -, sondern ist für alle Handlungsebenen in der Stadtentwicklung relevant. Dabei geht es um ein aktives Anpassen an und Verändern von zukünftigen Herausforderungen: „Urbane Resilienz steht somit für eine umfassende Kultur, die geprägt ist durch einen gemeinsamen Perspektivwechsel, der kontinuierliches Lernen, bewährte Erfahrungen und Zukunftsvisionen ganzheitlich zusammen bringt.“ (BMI 2021: 6). 

Die gesellschaftliche Dimension von Stadt, das Verhältnis von Gebautem und gelebtem Raum, analysiert Richard Sennett sehr vielschichtig in seinem Buch „Die offene Stadt“ (2018). Er fragt, wie eine offene Stadt aussehen kann, die Vielfalt, Unordnung und Veränderung nicht nur zulässt, sondern die Voraussetzung dafür schafft. Dieser Aspekt der offenen und hybriden Nutzung lässt sich auf die Freiräume beziehen, aber auch auf die Gebäude - in den Wohnungen findet mehr denn je Homeoffice - und auf die Straßen und Verkehrsräume - die autoarmen Innenstädte sind während des Lockdowns ohne offiziellen Erlass erprobt worden. 

Eine widerstandsfähige und krisenfeste (resiliente) Stadt der Zukunft ist so robust, dass sie die Widersprüche unterschiedlicher Interessen aushält, weil sie Vielschichtigkeit und Differenzierung räumlich ermöglicht und zugleich offen für Unvorhersehbares ist. In resilienten Städten bilden die Bedürfnisse der Menschen und eine Orientierung auf das Gemeinwohl den Fokus des Planens und Handelns. Corona-Pandemie und Klimawandel haben uns gezeigt, dass wir mehr denn je vielfältig nutzbare, wandelbare und offene Räume benötigen, die Lebensqualität erzeugen.

 

Die Wiederentdeckung der Ästhetik als Nachhaltigkeitsfaktor 

Die zu Recht eingeforderte Offenheit im Sinne von Möglichkeitsräumen, die auf Unvorhergesehenes reagieren können, darf nicht gegen die Ästhetik ausgespielt werden. Der Aspekt der Ästhetik geht nicht nur einher mit dem Anspruch an Schönheit und qualitätsvoller Gestaltung, sondern dieser ist eng mit dem der Nachhaltigkeit verbunden. Denn je ästhetischer etwas ist, umso erhaltenswerter ist es und umso umsichtiger gehen wir von vornherein damit um. Wir tun uns schwer, etwas, das als schön empfunden wird, abzureißen und neu zu bauen. Gebäude und Stadträume, die schön sind, werden meist erhalten und gut gepflegt. Ästhetik gehört sogar zu den „elementaren Bedürfnissen des Menschen“, so Christian Illies in einem Spiegel-Interview (Koerth 2018). 

Zugleich trägt die Ästhetik zur Lebensqualität bei, denn ein attraktives und schönes Umfeld beeinflusst – bewusst oder manchmal auch unbewusst – unser Wohlbefinden. Im Städtebau und in der Stadtentwicklung finden die gesellschaftlichen Herausforderungen ihre gebauten Antworten; diese müssen Aspekte wie Bezahlbarkeit und Funktionalität in den Blick nehmen, aber auch den Anspruch an Gestaltqualität einlösen. Ästhetik ist demnach kein Widerspruch zu der gewünschten Offenheit und Resilienz, ist aber vor allem ein Beitrag zur Nachhaltigkeit. 

Dieser Anspruch wird auch mit dem Konzept des „Neuen Europäischen Bauhauses“ (NEB) verfolgt, das von der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen 2020 initiiert worden ist. „Mit dem Neuen Europäischen Bauhaus soll ein neuer Lebensstil geschaffen werden, der Nachhaltigkeit mit gutem Design in Einklang bringt, weniger Kohlenstoff benötigt und inklusiv und erschwinglich für alle ist." (Kooperation international 2021). Ästhetik, Nachhaltigkeit und Inklusion, wie vom „Neuen Europäischen Bauhaus“ einfordert, bedingen sich gegenseitig und stellen das Anliegen der Attraktivität in den Mittelpunkt unseres Handelns. Attraktivität bedeutet schönere, nachhaltigere und inklusivere Formen des Zusammenlebens. 

Qualität gebührt Vorrang gegenüber Quantität. Qualitätsvolle öffentliche Räume und eine anspruchsvolle Architektur erhöhen die Attraktivität einer Stadt und einer Region und leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Lebensqualität. Eine gute Gestaltung erhöht zugleich langfristig die Werthaltigkeit von Immobilien und die Stadtrendite.

 

Wie kann eine nachhaltige Transformation gelingen? 

Multidisziplinarität und ganzheitliche Lösungsansätze schaffen die Grundlagen, um die anstehenden komplexen Planungsprozessen hin zu Resilienz, Ästhetik und Offenheit von Städten und ländlichen Räumen zu gestalten. 

Damit eine nachhaltige Transformation gelingt, muss die herausragende Bedeutung der öffentlichen Grün- und Freiräume in den Städten für das Wohlbefinden der Bevölkerung gewürdigt werden. Diese bietet die Grundlage für einen Paradigmenwechsel in der Stadtplanung: An die Stelle des unbedingten Lobs der baulichen Verdichtung muss ein bedingtes Lob treten, das den öffentlichen und privaten Freiräumen eine größere Bedeutung beimisst, ohne das soziale Anliegen – die Schaffung von Wohnraum – außer Acht zu lassen. Also an der richtigen Stelle verdichten und an anderer Stelle bewusst den Freiraum erhalten und vor Bebauung schützen. 

Und Planer*innen müssen uns darüber bewusst sein, dass alle Strategien und Konzepte, die wir heute entwickeln und entwerfen, die Belange der übernächsten Generationen im Blick haben müssen. Die Umsetzung wird viele Jahre in Anspruch nehmen, in denen sich die Rahmenbedingungen wieder ändern können. 

Für die Städte der Zukunft ist es demnach ungemein wichtig, sich im Sinne der Multidisziplinarität nicht nur auf einzelne Aspekte zu fokussieren, sondern einen entschiedenen Paradigmenwechsel durch einen vernetzen Ansatz zu verfolgen. Durch mehr Offenheit und Ästhetik gelingt der Weg zu einer nachhaltigen und resilienten Stadtentwicklung.

 

Literaturhinweise:

ACE – Architects’ Council of Europe (2021): A sustainable, fair and beautiful built environment to address the climate and biodiversity crisis. Brüssel, 28.10.2021

 

Bowler, D.;  Buyung-Ali, L.; Knight, Tm; Pullin, As (2010): Urban greening to cool towns and cities: a systematic review of the empirical evidence. Landsc Urban Plan 97: 147-155 

 

Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) (2022): Wie grün sind deutsche Städte? 03/2022, Bonn 

 

Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) (2021): Memorandum Urbane Resilienz. Wege zur robusten, adaptiven und zukunftsfähigen Stadt, Berlin 

 

Council of the European Union (2013): Council conclusions on EU approach to resilience, Brüssel 

Difu (2017): Was ist eigentlich...Transformation, Berlin 

 

Empirica Regio (2021): Wohnungsmarktbeobachtung. 

Online verfügbar unter: https://www.empirica-regio.de

 

Neike, C.; Schreier, J.  (2020): Städte müssen smarter und anpassungsfähiger werden. Online verfügbar unter: https://www.bandbreite.io/staedte-muessen-smarter-und-anpassungsfaehiger-werden-a-932056/

 

Koerth, K. (2018): Viele Bauen hässliche Häuser, das ist fatal. In: Spiegel Kultur,   26.08.2018

 

Kooperation international (2021): Neues Europäisches Bauhaus: Verbindung von Nachhaltigkeit mit Stil und Inklusion. Verfügbar unter https://www.kooperation-international.de/aktuelles/nachrichten/detail/info/neues-europaeisches-bauhaus-verbindung-von-nachhaltigkeit-mit-stil-und-inklusion/

 

Reicher, C.; Tietz J. (2022): Atmende Städte. Zukunftschancen für Stadt und Land mit und nach Corona, Wiesbaden (ISBN 978-3-658-37758-8)

 

Sennett, R. (2018): Die offene Stadt. Eine Ethik des Bauens und Bewohnens. Zweite Auflage. Hanser, Berlin

 

Statistisches Bundesamt (2021): Siedlungs- und Verkehrsfläche. Online verfügbar unter: https://www.umweltbundesamt.de

 

Umweltbundesamt (UBA) (2022): Dreifache Innenentwicklung. Definition, Aufgaben und Chancen für eine umweltorientiere Stadtentwicklung, Berlin 

 

Umweltbundesamt (UBA) (2023): Positionspapier Umwelt und Klima schützen – Wohnraum schaffen – Lebensqualität verbessern, Berlin 

 

Autorin 

Univ.- Prof. Dipl.- Ing. Christa Reicher ist seit Oktober 2018 Inhaberin des Lehrstuhls für Städtebau und Entwerfen sowie Direktorin des Instituts für Städtebau und Europäische Urbanistik an der Fakultät für Architektur der RWTH Aachen University. Seit 2023 hat sie den UNESCO Chair „Cultural Heritage and Urbanism“ inne. 

1993 gründete sie das Planungsbüro RHA REICHER HAASE ASSOZIIERTE mit Sitz in Aachen und Dortmund, das international tätig ist. 

2022 ist sie vom Verband Deutscher Architekten- und Ingenieurvereine e.V. (DAI) mit dem Großen Preis für Baukultur ausgezeichnet worden. 

 

 

 

 

 

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