Erreichbarkeit von Spielplätzen
Stellen wir uns kurz den schönsten Spielplatz der Welt vor – und keiner könnte hinkommen! Die in der DIN 18034 als Erreichbarkeit beschriebene Norm fordert...
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Man spricht wieder über sie – Schul- und Pausenhöfe. Lange Zeit ein vergessenes Thema der Stadtentwicklung, mit der Etablierung der Ganztagsschule kommt neues Leben in die Diskussion, wie die Erholungsflächen unserer Schulen gestaltet werden sollen.
„Manche möchten nur den Kopf in die Schule schicken, aber immer kommt das ganze Kind“ – diese Aussage umschreibt pointiert die von vielen Pädagogen festgestellte Diskrepanz zwischen dem Ideal einer ganzheitlichen Erziehung und Bildung und der vorherrschenden Kopflastigkeit unseres Erziehungsverständnisses. Eine Förderung der körperlichen Ausbildung und der Bewegung erhält vor dem Hintergrund schwerwiegender gesundheitlicher Mängel und koordinativer Schwächen bei unseren Kindern gesteigerte Bedeutung.
Die Ballungszentren, aber auch schon Kleinstädte bzw. Städte mittlerer Größe sind zu Spielwüsten verkommen, in denen die Spuren spielender Kinder fehlen. Vor diesem Hintergrund stellt u.a. die Öffnung und Umgestaltung von tristen, asphaltierten Pausenhöfen zu vielfältig nutzbaren, attraktiven und an den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen orientierten Bewegungs-, Begegnungs-, Lern- und Erfahrungsräumen eine wertvolle Bereicherung dar.
Bedeutung der Schulhöfe im städtischen Kontext
Insbesondere in verdichteten urbanen Räumen stellen Schulhöfe oftmals eine der wenigen zur Verfügung stehenden Flächen dar, auf denen Spiel, Sport und Bewegung möglich ist. Die Außenbereiche von Schulen sind vergleichsweise großzügig dimensioniert, frei von Gefahren und meist auch frei zugänglich. Zudem sind Schulhöfe in nahezu jedem Stadtquartier vorhanden und somit über die ganze Kommune verteilt, so dass sie einen wichtigen Baustein im Gesamtkonzept einer spiel- und bewegungsfreundlichen Stadt darstellen. Dass Kinder ihren Schulweg genau kennen, ist ein weiterer positiver Gesichtspunkt: Auch jüngere Schüler können diese potentiellen Spiel- und Bewegungsräume schon selbständig aufsuchen.
Jedoch sind die Schulhöfe oft komplett asphaltiert, grau, kahl und langweilig, so dass sie keinen Aufforderungscharakter für das freie Spielen und Bewegen besitzen und deshalb nicht als Spiel-, Bewegungs- und Begegnungsräume wahrgenommen werden. Im Zuge der Bemühungen um eine sport- und bewegungsfreundliche Schule werden Schulhöfe zunehmend umgestaltet, so dass sie vielfältige Funktionen als Bewegungs-, Kommunikations-, Lern- oder sinnliche Erfahrungsräume sowie ganz allgemein als öffentliche Begegnungsstätten für den Stadtteil wahrnehmen können (Hahn & Wetterich, 1998). Die Umgestaltung „toter“ Pausenflächen stellt nicht nur eine außerordentliche Bereicherung für alle am Schulleben Beteiligten dar, sondern schafft eine zusätzliche Sportgelegenheit für die außerschulische Nutzung.
Die Bedeutung von Spiel und Bewegung für die kindliche Entwicklung
Spiel-, Sport- und Bewegungsaktivitäten wirken sich nicht nur positiv auf den motorischen Bereich aus, sondern auch auf die kognitive, soziale und emotionale Entwicklung von Kindern. „Unter pädagogischen Gesichtspunkten sollte also möglichst allen Kindern – u.a. durch entsprechende Bewegungsräume in der Wohnumgebung – die Teilhabe an informellen Bewegungs-, Spiel-, und Sportaktivitäten ermöglicht werden“ (Burrmann, 2008).
In der Sportpädagogik gibt es eine ganze Reihe von Untersuchungen, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven dem Sujet „Schulhof“ nähern. Ohne im Einzelnen auf die pädagogisch-anthropologischen, entwicklungspsychologische und psychomotorische Überlegungen einzugehen: Sehr viele Untersuchungen deuten auf eine Verschränkung von Bewegung, Wahrnehmung, Umwelterfahrung und Lernen sowie auf die Bedeutung von Körper- und Bewegungserfahrungen für eine ganzheitliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen hin. Zusammenfassend ist festzustellen, dass Bewegungsräume mitbestimmen, „welche informellen Bewegungs-, Spiel- und Sportaktivitäten bei den Kindern zustande kommen, welche Bewegungserfahrungen dabei erworben und welche Orientierungen und Kompetenzen entwickelt werden können“ (Burrmann 2008). Dies zeigt die große Bedeutung für die Bereitstellung und die entsprechende Gestaltung anregender und vielseitiger Bewegungsräume auf.
Funktionen von Pausenhöfen
Fasst man die aktuelle (sport-)pädagogische Diskussion zusammen, soll ein Schulhof eine Fülle von verschiedenen Funktionen erfüllen. Die folgende Abbildung gibt einen Überblick über einige dieser Funktionen, die für ein sport- und bewegungsorientiertes Schulhofareal von Bedeutung sind.
Ein zukunfts- und bedarfsorientiertes Spiel- und Bewegungsgelände orientiert sich neben seiner zentralen Funktion als Raum für Spiel, Sport und Bewegung auch an zahlreichen weiteren Funktionen. So hat das Areal beispielsweise eine zentrale Funktion als Kommunikationsraum. Dabei finden Begegnung und Kommunikation auf ganz unterschiedliche Art und Weise statt – einerseits auf dem Spielfeld oder beim Spielen zur gegenseitigen Abstimmung, aber auch in Form von persönlichen Gesprächen und sozialen Interaktionen. Zudem sollten auch Bereiche für Ruhe und Entspannung, für vielfältige Naturerfahrungen und für selbständige Tätigkeiten bzw. Selbstentfaltungen berücksichtigt werden. Wichtig für die Umgestaltung von Pausenhöfen ist folglich, zu erkennen, welch immenses pädagogisches Potential sich aus einer Umgestaltung erschließen lässt.
Der bewegungsfreundliche Schulhof – von der Theorie zur Praxis
Bei der Planung und Umgestaltung von Schulhöfen sind Kenntnisse über standortspezifische Besonderheiten sowie Kenntnisse über die Interessen und Bedürfnisse der Nutzergruppen zwingend erforderlich, um mit möglichst großer Wahrscheinlichkeit sicherzustellen, dass die baulichen Veränderungen auch von den Zielgruppen angenommen werden.
Optimal ist es, wenn bereits bei der Planung ein bürgernaher Weg eingeschlagen wird und möglichst viele Interessen in den Planungsprozess eingebracht werden. Damit minimiert man das Risiko einer Fehlplanung und damit auch von oftmals teuren Nachbesserungen. Der vorgeschlagene kooperative Planungsansatz strebt ein Verfahren der Entscheidungsfindung an, bei dem von vornherein Betroffene, Nutzer, Planungs- und lokale Experten in den Planungsprozess eingebunden werden. Die frühzeitige und kontinuierliche Beteiligung unterschiedlicher lokaler Interessens- und Zielgruppen sowohl bei der Bedarfsbestimmung und Raumplanung als auch bei allen weiteren Planungs- und Umsetzungsschritten bietet die größte Chance, dass bedarfsgerechte Anlagen geschaffen werden, die die Betroffenen auch annehmen. Die Heterogenität der Gruppe stellt damit einen zentralen Bestandteil des Verfahrens dar.
Ein gemeinsames Arbeiten dieser Gruppe erscheint zwar auf den ersten Blick problematisch, da ganz unterschiedliche Perspektiven, Ideen und Bedarfe innerhalb dieser lokalen Planungsgruppe vorherrschen. Demnach ist neben der Heterogenität auch die Arbeitsweise in der Planungsgruppe mitverantwortlich und mitentscheidend für den erfolgreichen Verlauf dieses kooperativen Planungsverfahrens. Bewusst werden Konflikte im Vorfeld nicht unterdrückt, sondern zutage gefördert, um sie zu diskutieren und zu lösen. Hierzu ist ein konstruktives, offenes Gesprächsklima herzustellen, das auf Prinzipien wie Versöhnungsbereitschaft, Ehrlichkeit, Gleichheit, Offenheit, Verantwortung etc. beruht.
Praxisbeispiel – bewegungsfreundliche Schulhöfe im Landkreis Groß-Gerau
Der Landkreis Groß-Gerau, im Süden von Hessen gelegen, ist Träger von 27 Grundschulen, einer Haupt- und Realschule, sechs Integrierten Gesamtschulen, fünf Gymnasien, vier Förderschulen und zwei beruflichen Schulen. Im Zuge der landkreisweiten Sportentwicklungsplanung im Jahr 2006 wurden auch Bewegungsräume im öffentlichen Raum thematisiert und ein genauerer Blick auf die Potentiale der Schulhöfe gelegt. Im Schlussbericht heißt es: „Die Schulhöfe der Schulen im Landkreis sollen […] generell für Sport, Spiel und Bewegung außerhalb der Unterrichtszeiten geöffnet werden bzw. offengehalten werden. […] Neben der generellen Öffnung der Schulhöfe empfiehlt die Planungsgruppe die sukzessive Umgestaltung von monofunktionalen Pausenhöfen in bewegungsfreundliche und naturnahe Schulhöfe in allen Schulen. Die Planungsgruppe empfiehlt dem Kreis, sich ausdrücklich zur Umgestaltung von Schulhöfen zu bekennen und hierfür die Verantwortung zu übernehmen.“ Der Kreistag hat die Ergebnisse der Sportentwicklungsplanung im Folgenden zur Kenntnis genommen und auch die Handlungsschwerpunkte, darunter die Schaffung von bewegungsfreundlichen Schulhöfen, anerkannt und beschlossen.
Aufbauend auf diesem politischen Beschluss wurden in der Folge im Landkreis Groß-Gerau zwischen den Jahren 2009 und 2014 14 Schulhöfe neu konzipiert, also etwa drei Pausenhöfe pro Jahr. Begünstigt wurde diese Entwicklung durch ein Schulbausanierungsprogramm, in dessen Zuge oftmals Mensen oder Anbauten an bestehende Gebäude entstanden und die Schulhöfe als Baustelleneinrichtungsflächen in Mitleidenschaft gezogen wurden. Was lag daher näher, bei der Wiederherstellung der Pausenflächen gleich eine Neu- und Umgestaltung vorzunehmen.
Die Planungen wurden und werden aktuell immer noch vom Fachdienst Bau und Technik des Schul- und Gebäudeservice sowie vom Kreissportbeauftragten koordiniert. Die Planungen für die Umgestaltung laufen stets nach einem ähnlichen Muster ab. Um möglichst bedarfsorientiert zu planen, arbeiten in einem mehrstündigen Workshop Lehrer, Schüler und Eltern gemeinsam mit der Standortgemeinde, dem Kreis, dem Schulförderverein Ideen für einen bewegungsfreundlichen Schulhof aus. Die Moderation dabei übernimmt das Institut für kooperative Planung und Sportentwicklung aus Stuttgart. Ein Landschaftsplanungsbüro fasst die Vorschläge dann in einem Masterplan zusammen, der der Runde in einer weiteren Sitzung vorgestellt und dann verabschiedet wird. Dabei legt die Gruppe Prioritäten für die Realisierung der Vorhaben fest.
Sukzessive arbeitet der Landkreis nun die Planungen ab und setzt die Ideen und Überlegungen in die Realität um. So sind beispielsweise für die Jahre 2014 und 2015 insgesamt 2,8 Mio. Euro für die Überplanung und Neugestaltung von Schulhofflächen im Haushalt des Kreises ausgewiesen.
Der Landkreis Groß-Gerau beschreitet mit dem Programm „Bewegungsfreundliche Schulhöfe“ neue Wege und kann als Blaupause für andere Schulträger dienen. Die Bedeutung von Sport, Spiel, Bewegung und Erholung auch in der Schule wurde von der Kreispolitik erkannt und ohne große politische Differenzen in ein Programm überführt, von dem alle Schülerinnen und Schüler profitieren sollen. Für die Bildungsregion Groß-Gerau ist dies ein großer Gewinn, denn mittlerweile haben sich die bewegungsfreundlichen Schulhöfe zu einem Markenzeichen des Kreises entwickelt. Daher soll das Programm in den kommenden fortgesetzt werden, so dass alle Schulen davon profitieren können.
Literaturhinweise
Dietrich, K. (1992). Bewegungsräume. Sportwissenschaft, 16(4).
Burrmann, U. (2008). Bewegungsräume und informelle Bewegungs-, Spiel- und Sportaktivitäten der Kinder. In W. Schmidt (Hrsg.), Zweiter Deutscher Kinder- und Jugendsportbericht. Schorndorf: Hofmann.
Hahn, H. & Wetterich, J. (1998). Bewegungsfreundlicher Schulhof. Bewegung, Spiel und Sport in der Schule (Herausgegeben vom Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden Württemberg). Weilheim/Teck.
Hundeloh, H. (1995). Tägliche Bewegungszeiten als Schutz vor Unfällen. Sportpädagogik, 19(6), 8-9.
Foto: Institut für Kooperative Planung und Sportentwicklung