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Playground@Landscape

Internationales Fachmagazin für Spiel-, Sport- und Freizeitanlagen

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19.02.2016 - Ausgabe: 1/2016

Was sagt das Spiel älterer Menschen über das Kinderspiel?

Von Henning Eichberg, Süddänische Universität

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Im Jahr 2014 wurde in LaMarque, Texas, ein „senior playground“ eröffnet. Als ein “motion wellness system” soll er älteren Anwohnern Gelegenheit zum Ertüchtigen bieten. Zu diesem Zweck dienen Geräte wie ein Reck für Klimmzüge, Fitnessstufen und eine Brücke aus Tauen. Außerdem gibt es eine Streckbank, Knäufe und Bolzen, und einen schwankenden Balancierbalken. Die Idee war nicht neu, sondern lag in der Luft. Auch der Londoner Hyde Park bietet einen Senior Playground, dessen Planung bereits um 2008/09 begann. Die Einrichtung besteht aus sechs Übungsgeräten “um den Benutzern Gelegenheit zu geben, Stärke, Beweglichkeit und Balance zu verbessern”. Ähnliche Projekte wurden im Dam Head Park (Manchester), Heathfield Recreation Ground (Whitton) und Hampton Common (Richmond) eingerichtet.

Diese “Spielplätze” wenden Muster von Kinderspielplätzen des funktionalistischen Typs an und kombinieren sie mit Fitnessgeräten der bekannten Art, die dem Bedarf älterer Personen angepasst sind. Sie scheinen trotz ihres Namens mehr auf Fitness und physische Reproduktion als auf Spielen eingerichtet zu sein.

Wie auch immer, die Einrichtung der Senioren-Spielplätze fordert in zweifacher Weise heraus. Er stellt einerseits unsere herkömmlichen theoretischen Vorstellungen vom Spiel infrage und wirft andererseits Fragen nach unserem empirischen Wissen über das Spiel der Alten auf.

 

Was ist Spiel? Die “progressive” Deutung infrage stellen

Der theoretische Zugang zum Spiel ist in der Regel bestimmt von der Perspektive, Spiel sei vor allem eine Sache der Kinder. Denn warum spielen Menschen? Weil Kinder durch das Spiel ihre Kompetenz für das künftige Leben entwickeln: Spiel diene dem Lernen, der Entwicklung und der Progression. Das vergleicht man oft mit jungen Hunden, die einander spielerisch beißen, um für ihr Leben zu lernen. Die Erklärung scheint einfach – aber bei genauerer Betrachtung ist sie nicht ganz so selbstverständlich.

In der Tat ist das Spiel zentral für das Kinderleben. Aber das genügt nicht, davon die allgemein-menschliche Bedeutung des Spiels abzuleiten. Kritische Forschung hat die Deutung des Spiels als Lernprozess als zu eng und im Übrigen als biologisch-naturalistisch gekennzeichnet – als eine “Rhetorik des Fortschritts”, wie sie das westliche Denken seit etwa 200 Jahren beherrscht hat. Im historischen Prozess wurde Spiel zum Ausdruck einer pädagogischen, qualifizierenden ”Funktion”: Spiel wies ”vorwärts” im menschlichen Leben, als eine Art Training für zukünftige Produktivität. (Senioren-Spielplätze für Fitness und Reproduktion sind insofern eine Rückseite des produktivistischen Paradigmas). Diese Deutung geschah nicht im luftleeren Raum. Die Konfiguration der Progression entwickelte sich Hand in Hand mit dem Aufkommen der industriell-kapitalistischen Kultur und ihrer Muster von Wachstum, Produktivität, Entwicklung und Vorwärtsbewegung.

Mit der Annahme des Fortschritts ist es jedoch schwierig zu verstehen, warum und wie alte Menschen spielen. Und genau das ist es, was sie tun. Die Spielwelt älterer Menschen ist reichhaltig, aber sie wartet noch darauf, genauer erforscht zu werden. Alte Menschen spielen gern allein, zum Beispiel Kreuzworträtsel, Puzzles, Sudoku und Patience. Ein ganzer Sektor des Medienmarkts hat sich auf diese Zielgruppe hin ausgerichtet mit dem Angebot von Rätselzeitschriften und ähnlichem speziell für die Altersgruppe 65+.

Aber auch soziale Spiele sind weit verbreitet, wie Rommé, Canasta, Bridge, Doppelkopf, Domino und Bingo.

Während viele dieser Spiele körperlich nicht besonders herausfordernd sind, gibt es jedoch auch eine Reihe von Bewegungsspielen, die gerade von Älteren gespielt werden. Dazu gehören Petanque, Golf, Gesellschaftstanz, Boule oder Boccia in Südeuropa und andere traditionelle Spiele in verschiedenen Regionen Europas. In Flandern sind ältere Männer unterer sozialer Schichten in urbaner Lebenswelt bei den traditionellen Volksspielen überrepräsentiert. Aus dem Osten kam der Tai Chi älterer Chinesen in den Westen. Und es waren meist ältere Frauen, die in China – die Werte des Konfuzianismus und des Parteikommunismus herausfordernd – “Disike” schufen, Altendisco.

 

Altersgruppen-spezifisches Spiel

Das macht darauf aufmerksam, wie ungleichgewichtig die empirische Spielforschung ist. Während Literatur über Kinderspiel, Bildung und Lernen einen gewaltigen Umfang hat und ganze Bibliotheken füllt, wissen wir über das Spielen alter Menschen nur sehr wenig.

Das Spielen der Alten macht auf die Vielfalt und Dynamik des Spiels in verschiedenen Altersgruppen aufmerksam. Nach einer Kindheitsperiode mit Spiel als Hauptaktivität – später auch diszipliniert als Sport, distanzieren sich Jugendliche vom „Spiel“ als „kindisch“. Allerdings wenden sie sich dann hin zu spielerischem Fest und Party. Sie tanzen und experimentieren mit Sex und Drogen. Viele engagieren sich in neuen Spielen wie Computergaming und in Street sports wie Skateboard und Parkour, oder sie malen Graffiti. Wenn Menschen dann erwachsen werden, gehört es zum “reifen” Habitus, fürs Spiel “keine Zeit zu haben”. Aber man nutzt gern Formen von “Unterhaltung” und “Erholung”, darunter ein spielerisches ”Hobby”. Man beschäftigt sich mit Kunst und religiösen Ritualen, beides spielaffine Aktivitäten. Man interessiert sich für die Spielformen der Politik – Machtspiel und die Lotterie der Wahlen. Und nicht zuletzt ist das Glücksspiel eine Erwachsenentätigkeit – und solche Spiele sind Grundlage eines riesigen Markts, der zum Beispiel in US-Amerika an Größenordnung dem Militärbudget gleichkommt.

Party, Hobby, Kunst, Entertainment, Glücksspiel – Spiel wird also im Laufe des Lebens immer wieder umbenannt. „Wir hören nicht auf zu spielen, sondern wir werden alt, wenn wir aufhören zu spielen“, sagte George Bernard Shaw. Aber hören wir wirklich auf? – Alte spielen auch, und sie fallen damit nicht einfach auf das Kinderspiel zurück, sondern sie spielen auf eine andere Weise. Wir dürfen daran zweifeln, dass sie spielen, um für ihr späteres Leben zu lernen.

 

Vergleich: Warum und wie nutzen Kinder und Alte die grüne Natur?

Man kann das Spiel mit der Bewegung in der grünen Natur vergleichen. Ältere Menschen lieben es zu wandern. Und Stadtplanung kommt dem nun schrittweise entgegen. Allerdings ist die Nutzerforschung noch vielfach auf junge Leute ausgerichtet, Pfadfinder etc. Forschung mit älteren Menschen hat gezeigt, welche große Bedeutung es hat, grüne Farbe zu sehen, einem Baum zu begegnen, einem Bach am Wegesrand zu lauschen, den Vogelflug zu beobachten …

Auch hier sieht man also den Altersunterschied. Wenn man Kinder in die grüne Natur führt, wollen sie oftmals nicht mitspazieren und wandern – sie spielen lieber hier und jetzt am Wegesrand. Jugendliche ziehen Action vor – Geländespiele, adventure race, Lagerfeuer, Singen – wie Woodcraft und Pfadfinderwesen sie entwickelten. Erwachsene tendieren dazu, dem Wanderweg zu folgen. Ältere ziehen ruhige und meditative Bewegungen vor – Wandern, Radfahren, Golf, Nordic Walking – manchmal in Gemeinschaft, mit Picknick. Solche Unterschiede verdienen es, näher untersucht zu werden.

 

Spiel als seine Art, Fragen an die Welt zu richten?

Zurück zur Philosophie des Spiels: Das Spiel der Senioren kann der alte Frage, was denn Spiel eigentlich sei, eine neue Wendung geben. Wenn Spiel nicht nur ein quasi-biologisches, instinktives “Lernen für das Leben” ist, muss es andere Triebkräfte enthalten. Diese theoretische Herausforderung betrifft dann auch das Kinderspiel. Es mag zu eng sein, Kinderspiel nur als ein Training für Fortschritt und Produktivität anzusehen (ebenso wie das Spiel der Alten als Fitness-Reproduktion).

Stattdessen können wir mit Sally Brown (Peanuts) fragen: Was ist eigentlich lustig an einem Ballon? Lustig ist weder das Ding an sich, hier der Ballon, noch das Design des Spielplatzes, noch das Innere des einzelnen Spielers. Spiel entfaltet seine beherrschende Kraft in der Beziehung, als spielerische Neugier und Streben nach dem Anderen. Das gilt nun keineswegs nur spezifisch für Kinder. Spielerische Neugier, Suchen und Erwartung machen möglicherweise ein alternatives Verständnis des Spiels aus, das also damit verbunden ist, Fragen an die Welt zu stellen.

All dies ist nicht nur reine Theorie. Es betrifft auch das praktische Design des Spielplatzes. Wie verhalten sich die Fitness-Maschinen des Senior Playground und die funktionalistische Ausstattung des Kinderspielplatzes zu unserer spielerischen Neugier? Zu den Fragen, die wir an die Welt haben, an einander und an uns selbst?

 

Foto: Playfit

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