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Internationales Fachmagazin für Spiel-, Sport- und Freizeitanlagen

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15.06.2016 - Ausgabe: 3/2016

Optimierter Außengelände- und Spielplatzbau für bessere Bildungsförderung

Von Jun. Prof. Dr. Rolf Schwarz, Dipl. Päd., Institut für Bewegungserziehung und Sport (IfBS), Pädagogische Hochschule Karlsruhe

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Was hat die pädagogisch-räumliche Gestaltung des Außengeländes einer Kindertagesstätte und von Spielplätzen zu tun mit der Evolution des Menschen? Die klare wissenschaftliche Antwort ist: einfach alles!

Die Geschichte des Menschen wird vor allen Dingen über die Art und Weise geschrieben, wie er sich im Freien bewegt: Nur wenige Lebensformen können sich so weit und so ausdauernd fortbewegen wie der Mensch, nahezu keine Spezies vermag die Hand unter Rekonstruktion vorhandener (Spiel-) Materialien so filigran zu nutzen wie er, und keine Art ist bislang in der Lage, ausnahmslos jeden Lebensraum der Erde zu besiedeln, in der Breite wie in der Höhe (Schwarz, 2014).

Auf Basis von Knochendichtemessungen im Zuge paläoanthropologischer Studien sowie der aktuellen Beobachtung von technologiefernen Gesellschaftsformen wie z.B. den kanadischen Amischen (Bassett, Schneider & Huntington, 2004) ist bekannt, dass der erwachsene Mensch aufgrund seiner ihm typischen Lebensart auf natürliche Weise täglich zwischen 15.000 bis 25.000 Schritte zurücklegt. Dies ist weit über den modernen Empfehlungen der Weltgesundheitsbehörde (WHO, 2010) und alleine der Tatsache geschuldet, dass sich der Mensch auch und vor allem ohne technische Mobilitätshilfen (Auto, Treppen, Fahrstühle) räumlich enorm aktiv zeigt.

Und auch bei Kindern in Deutschland können aktuelle Studien feststellen, dass sie sich im großen Umfang bewegen könnten, wenn ihnen nur die Möglichkeit dazu gegeben würde. So zeigt eine Krippenstudie (Schwarz, Ungerer-Röhrich & Przybilla, 2016), dass bereits 2,5-jährige Kinder 6.000 bis 8.000 Schritte am Tag gehen, hochgerechnet auf die Wachzeit von rund 11 Stunden. Bei einer alterstypischen Schrittlänge von durchschnittlich 40 cm (+ 5 cm) entspricht dies einer Wegstrecke von rund 2,4 bis 3,2 km täglich! Die Anzahl der Schritte steigert sich mit zunehmendem Alter bei 3,5-jährigen auf rund 9.000, 4,5-jährigen auf 10.000 und 5,5-jährigen auf bis zu 12.000 Schritte jeden Tag (Schwarz, 2015). Die 6,5-jährigen können diesen Schnitt mit abnehmender Tendenz maximal halten, da sie in der Umbruchsituation zum Schulkind sind, was vermehrtes Sitzen mit sich bringt, so dass mit beginnendem 7. Lebensjahr eine reduzierte Anzahl an Schritten einsetzt.

Klar zu erkennen ist, dass die Spezies Mensch nicht nur entwicklungsgeschichtlich, sondern auch individualgeschichtlich, also im Zuge seiner ganz persönlichen Entwicklung, ein Organismus ist, der über körperliche Fortbewegung (Lokomotion) seine Lebensräume weitläufig zu erkunden und explorieren vermag. Doch neben dieser zweibeinigen, große Distanzen zurücklegenden Bewegungsart des Menschen, schafft er es andererseits sehr ortsgebunden durch seine einzigartige, hochkomplexe Handmotorik und unter Nutzung elaborierter Werkzeuge den Raum seinen Bedürfnissen gemäß baulich zu verändern und zu gestalten. Wo auch immer der Mensch agiert, er baut und gestaltet sich die Umwelt so, wie es seinen Lebensbedürfnissen in optimaler Weise entspricht. Der Mensch ist somit in doppeltem Sinne ein bewegender Raumwandler: Als homo movens ist er einerseits ein Architekt und »Sozialräumer« seiner natürlichen Umwelt, der sich auf seine spezifisch bipedische Art durch den Raum (Lokomotion) bewegt. Andererseits bewegt er mit einem dafür eigens ausgestatteten Körper den Raum selbst, indem er baulich-gestalterisch (Handmotorik) aktiv wird. Als bewegter, aktiver Architekt seiner Räume, die umgekehrt aber auch ihn selbst verändern, kann von einem sozialen »Mototekten« respektive »Aktivitekten« gesprochen werden. Bewegung baut Räume und bildet Menschen - und je besser die Räume, desto leichter (beweglicher) die Bildungsförderung!

Diese Einzigartigkeit seiner Bewegungs- und Aktivitätsweise tritt in besonderer Weise zu Beginn seiner individuellen Entwicklung hervor, in der Kindheit. Denn dort werden bauliche Veränderungen in der Umwelt nicht aufgrund des Ernsts des Lebens wie Wohnen und Jagen vorgenommen. Ihr Umgang mit der Umwelt ist spielerisch, kreativ und konstruktiv. Darum müsste es das größte Anliegen einer Gesellschaft sein, sowohl die Rahmenbedingungen (z.B. öffentliche Spielräume, Außengelände einer Kita) als auch das konkrete Bewegungsverhalten (Bewegungsspiele) von Kindern optimal zu fördern. Dennoch haben sich die Entfaltungsmöglichkeiten kindlicher Bewegung in den letzten 30 Jahren rapide verschlechtert. Zunehmende Verbauung und Zerschneidung von Spielräumen, wachsende digitale Medienangebote und labilere Familienstrukturen stellen Risikofaktoren einer gesunden Entwicklung dar, wie die nachfolgenden Zahlen am Beispiel der Raumverengung zeigen:

  • Rund 75% aller Einwohner Deutschlands leben in urbanen, stark verdichteten Siedlungen, wovon 80 Städte im Ausmaß einer Großstadt von >100.000 Einwohner sind (Statista, 2016; Destatis, 2016).
  • Die Binnenwohnfläche hat sich in den letzten 13 Jahren um 20% auf 46,7 m²/Kopf (Statista, 2014b) erhöht. Noch nie in der Geschichte der BRD war der Wohnraum pro Einwohner so groß. Der Trend geht zur inhäusigen Lebensweise, insbesondere bei Schülern (Vortisch et al., 2016).
  • Die Fahrzeuge dieser Menschen brauchen Raum: Allein das kommunale Straßennetz nimmt 3,8% der Gesamtfläche der BRD ein (Statista, 2014a) mit stetig steigendem Kfz-Zuwachs auf 53,7 Mio. zugelassenen Einheiten (Kba, 2015) bei 10,65 Mio. Kindern (Destatis, 2014). Das entspricht fünf Kfz pro Kind. Rund 23 Stunden pro Tag stehen jedoch die Fahrzeuge, so dass die länder- und kommunalspezifischen Garagen- und Stellplatzverordnungen den privaten und öffentlichen Platzbedarf regeln. Pro Kfz kommt zusätzlich eine Fläche zwischen rund 11-20 m² zustande, verteilt auf ca. 4,8 Mio. Einheiten (Quantum, 2012).
  • Dies führt zu einem steigenden Bedarf nach Wohn-, Straßen- und Wirtschaftsfläche, der zu einer Flächenumwandlung ("Flächenfraß") von derzeit rund 8m² pro Sekunde oder 104 Fußballfeldern pro Tag in der Bundesrepublik geführt hat (BMU, 2013).

 

So nimmt es nicht Wunder, dass sich reduzierte Bewegungsmöglichkeiten unter anderem auf die körperliche Konstitution von Kindern und Jugendlichen auswirken können: Gemäß der Übergewichts- und Adipositasdefinition der AGA (2014) und den aktuellen epidemiologischen Daten der KiGGS-Studie entfallen auf die 3-6jährigen deutschen Kinder 6,2 % übergewichtige (BMI-Perzentile > 90 - 97) und 2,9 % adipöse Kinder (BMI-Perzentile > 97 - 99,5). Dies  steigt  bei den 7-10jährigen auf 9,0 % Übergewichtige und 6,4 % Adipöse bis hin zu 17 % Übergewichtigen und 8,5 % Adipösen bei den 14-17-jährigen (Kurth & Schaffrath-Rosiario, 2007).

Fragten sich die Bewegungs- und Sportwissenschaften bislang primär, wie viel (Umfang), wie oft (Häufigkeit) und wie stark bzw. heftig (Intensität) sich Kinder körperlich-sportlich aktiv zeigen, sollte der Fokus nunmehr auch auf die weitaus näher liegende Frage gerichtet werden, wo sich diese Kinder und Jugendlichen überhaupt bewegen können und dürfen.

Deshalb kommt Spiel- und Bewegungsräumen, wie es öffentliche Spielräume oder das Außengelände von  Kindertagesstätten darstellt, in Zukunft eine außerordentlich große Rolle zu. Institutionalisierte Außengelände haben den entscheidenden Doppelvorteil, dass hier nicht nur ein gesetzlich vorgeschriebener Aktivitätsraum vorhanden sein muss, sondern dass er auch unter professioneller Betreuung und Erziehung zum hoch wertvollen Bildungsraum werden kann. Bewegung sollte gleichwohl nicht nur um ihrer selbst willen gefördert werden (viel und vielfältig Bewegen), sondern immer mit ganzheitlicher Absicht: Wer menschliche Aktivität fördert, legt die gedeihlichen Grundlagen für seine kognitive, sozial-sprachliche, emotionale und körperlich-sinnliche Gesamtentwicklung.

Dies belegt eine derzeit laufende Studie der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe, welche die notwendigen Planungskriterien für ganzheitliche Förderung von Kindern erfasst. Das globale Fazit: Pädagogisch optimal gestaltete Außengelände haben das Potential, die ganze Persönlichkeit junger Menschen umfänglich zu entwickeln, wenn nur bestimmte Parameter bedacht werden. Nach Auswertung der ersten Ergebnisse gehören hierzu:

  • Büsche, Sträucher und Hecken müssen aktiv ins Konzept eingebaut werden, d.h. sie sollten nicht nur den Zielen Erwachsener dienen wie Sichtschutz, Einfriedungsfunktion oder Ästhetik. Vielmehr müssen sie zupfbar und nutzbar sein, als Materiallager für das hohe Bau- und Konstruktionsbedürfnis der Kinder. Ein erfahrener Galabauer kann hier vielfältige Tipps für geeignete Pflanzen geben.
  • Optimale Gelände brauchen nicht nur einen Hügel der Landschaftsästhetik halber, sondern muss im besten Falle mit anderen Geräten interagieren: Kinder brauchen lohnende Pull-Faktoren auf der Spitze des Hügels, so dass sich dieser als Brückenkopf für die Eroberung weiterer Elemente wie den Spielturm, das Baumhaus, den Sandbereich usw. erweisen kann.
  • Interaktion der Spielgeräte ist elementar: Großgeräte müssen so konzipiert sein, dass sie mit den um- und anliegenden Kleingeräten ergänzend (!) funktionieren: Türme sollten kleine Höhlen, Nischen oder Häuschen beinhalten, so dass man darin den Laster parken kann, der das Holz vom nahegelegenen Busch hereintransportiert und welches über der Schwenkkran auf ein halbhohes Podest auf einem Hügel zur weiteren Verarbeitung gehievt werden kann. Zur Erinnerung: Kinder sind großartige Aktivitekten!
  • Natürliche Geländeformen und künstliche Spielelemente müssen Hand in Hand gehen: quadratisch-flache Gelände mit einer bloßen Sammlung von Spielgeräten werden von den Kindern nicht in der ursprünglichen Gestaltung genutzt. Sie rekonstruieren diese Entwürfe radikal; nicht aus Vandalismustrieb heraus, sondern weil diese nicht kindgerecht sind. Stattdessen braucht es Schaukeln, die Sprünge über angrenzende Hügelterrassen ermöglichen, statt sie mit plumpem Kies zu "sichern", Balken und Brücken, die lohnende(!) Ziele verbinden, statt nur den Luftraum zu überspannen.

Gleichzeitig konnte im Zuge dieser Studie ein Beratungskonzept entwickelt werden, dass nicht nur die Fakten der Wissenschaft vermittelt, sondern die praktischen Bedürfnisse und Vorstellungen von Kindern, Eltern, pädagogischen Fachkräften und nicht zuletzt des Trägers in einem partizipativen Modell berücksichtigt.

Und auch zu den öffentlichen Spielräumen gibt es mittlerweile eine Vielzahl an Daten und Erkenntnissen, die sowohl für Kinder, aber auch deren jugendliche Geschwister, Eltern und Großeltern die Attraktivität steigern lassen (z.B. Herrington & Lesmeister, 2006; Blinkert, 2014):

  • Erreichbarkeit: Ein Spielplatz kann die besten Geräte haben; wenn er aber im Rahmen der Dort-, Kommunal- und Stadtentwicklung nicht an die jeweiligen Quartiere so angebunden wird, dass er zu ohne Barrieren leicht zu erreichen ist, kann kein Generationen übergreifender, wertvollerer Spielraum entstehen. Spielgerätehersteller müssen also zukünftig auch Stadt(mit-)entwickler sein!
  • Riskierbarkeit: Weg von der Sicherheitserziehung, hin zur Risikokompetenz. Bewegungspädagogen kennen genau diesen Unterschied. Im ersten Falle geht es um Vermeidung von Risiken. Im zweiten Falle um die bewusste Schaffung von Herausforderungen, die für das jeweilige Alter lustvoll (!) bewältigbar sind.
  • Zonierung: Geräte sind nur so gut, wie sie mit ihrer direkten Umgebung interagieren, was die klare Definition und Anlage von Zonen (Teilparzellen) bedingt. Menschen brauchen neuronal betrachtet Orientierung; Zonen mit klarer Raumzuweisung aber fließenden Übergängen erzeugen räumliche Geborgenheit.
  • Konnektivität: organische Wege und vielfältige Korridore sollen einerseits diese Zonen verbinden und andererseits den Spielraum gliedern. Ein kompletter Rundweg mit sich verästelnden kleinen Teilwegen, die mitunter wild mäandrieren sind optimal.

 

Literaturliste kann auf Wunsch bei der Redaktion von P@L angefordert werden.

Foto: Rolf  Schwarz

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