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15.06.2016 - Ausgabe: 3/2016

TK-Bewegungsstudie 2016: Über Bewegte und Unbewegte

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Es geht ein Riss durch die Republik: das halbe Land ist stillgelegt. Das zeigt die Studie "Beweg Dich, Deutschland!" 2016, die die Techniker Krankenkasse (TK) in Berlin vorgestellt hat.

Danach ist die Hälfte der Menschen in Deutschland sportlich aktiv - in unterschiedlicher Intensität. Die andere Hälfte bezeichnet sich selbst als Sportmuffel oder Antisportler. Und: Wer sich nicht für Sport begeistern kann, bewegt sich auch im Alltag weniger, erledigt auch kurze Wege mit dem Auto, nimmt den Fahrstuhl statt der Treppe und geht weniger ins Freie. Laut der Bewegungsstudie sitzen die Menschen in Deutschland ihren Alltag buchstäblich aus. Peter Wendt, bei der TK für die Umfragen zuständig: „Vier von zehn Befragten arbeiten fast ausschließlich im Sitzen. Und die Menschen verbringen auch in ihrer Freizeit durchschnittlich gut drei Stunden täglich sitzend."

Sportpsychologe Prof. Dr. Jan Mayer von der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement, der unter anderem schon die Fußballprofis der TSG 1899 Hoffenheim betreut hat: „Den Allermeisten ist schon klar, dass ihnen Sport gut täte. Laut den Befragungsergebnissen fehlt es aber jedem Zweiten an Motivation. Der Anreiz, ein langes gesundes Leben zu führen, scheint abstrakter als der Feierabend, der gerade direkt vor einem liegt und gern auf der Couch verbracht werden möchte." Die Studiendaten belegen das: Mehr als 40 Prozent der Befragten, bei den jungen Erwachsenen sogar 55 Prozent, sagen, dass sie den Feierabend am liebsten auf der Couch verbringen. „Jede Aufgabe fällt leichter, wenn man für sich einen Sinn darin erkennt", so der Sportpsychologe. Die Motive können ganz unterschiedlich sein: Gesundheit, eine gute Figur oder Ausgleich zum stressigen Alltag. Fast sechs von zehn Befragten würden aktiv werden, um gesundheitliche Beschwerden zu vermeiden. Auch finanzielle Unterstützung von der Krankenkasse (33 Prozent) oder dem Arbeitgeber (21 Prozent), bessere Karriereaussichten (15 Prozent) sowie Kritik des Partners (28 Prozent) könnten Anreize sein. Aber: 15 Prozent der Teilnehmer sagen, dass sie nichts davon motivieren könnte, sportlich aktiv zu werden.

Und das hat Konsequenzen für die Gesundheit: Eine Analyse der Fehlzeiten, die die TK ebenfalls vorstellte, zeigt, dass sich der gesellschaftliche Stillstand bereits auf die Gesundheit auswirkt: 2015 waren die TK-versicherten Erwerbspersonen durchschnittlich 15,4 Tage krankgeschrieben. Das entspricht einem Krankenstand von 4,23 Prozent, dem höchsten seit Beginn der TK-Gesundheitsberichterstattung. Mit drei Tagen pro Kopf entfällt der größte Anteil dabei auf Krankheiten des Bewegungsapparats. Der TK-Chef Dr. Jens Baas dazu: „Zivilisationskrankheiten wie Rückenbeschwerden, Typ2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Beschwerden nehmen zu. Schon bei den 18- bis 39-Jährigen gibt jeder Siebte an, aufgrund einer chronischen Erkrankung in regelmäßiger Behandlung zu sein." Baas forderte deshalb einen ehrlichen Diskurs über die gesellschaftlichen Folgen.

 

Statement Dr. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse zur Vorstellung der TK-Bewegungsstudie 2016 am 13. April 2016 in Berlin

„Nach 2007 und 2013 hat das Meinungsforschungsinstitut Forsa für uns zum dritten Mal einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung befragt, wie viel er sich bewegt oder - falls nicht - was ihn davon abhält. Wir haben nach den Trendsportarten gefragt, wie es mit der Bewegung im Arbeitsalltag und nach Feierabend aussieht, und natürlich wie es den Menschen gesundheitlich geht. Warum machen wir das? Unser Lebensstil, wie wir uns ernähren, wie wir arbeiten, für Ausgleich sorgen und wie viel wir uns bewegen, hat direkten Einfluss auf unsere Gesundheit. Wenn wir uns als Krankenkasse darum kümmern wollen, dass die Menschen möglichst lange gesund bleiben, ist es also durchaus sinnvoll zu schauen, wie sie leben.

 

Jeder Zweite hat ein bewegtes Leben

Eine gute Nachricht vorweg: Nachdem die Inaktiven, also diejenigen, die sich nach eigener Auskunft als Sportmuffel oder sogar Antisportler bezeichnen, 2013 noch in der Überzahl waren, können wir heute sagen, dass die Aktivposten in diesem Jahr die absolute Mehrheit zurückgewonnen haben. Exakt 50 Prozent geben an, Sport zu treiben - in unterschiedlicher Intensität. Aber auch dieser kleine Aufwärtstrend ändert nichts daran, dass ein Riss durch die Republik geht, der das Land mittig in "Bewegte" und "Unbewegte" teilt. Ein Fünftel treibt regelmäßig Sport und bezeichnet sich als Freizeit- oder Intensivsportler. Weitere 30 Prozent sind nach eigener Aussage Gelegenheitssportler, die auf ein bis drei Stunden Sport in der Woche kommen. Die Weltgesundheits-organisation (WHO) empfiehlt uns mindestens zweieinhalb Stunden moderates Training in der Woche. Mit viel Wohlwollen könnte man sagen: Das schafft etwa die Hälfte der Bevölkerung.

Mit moderater Bewegung meint die WHO einen erhöhten Puls und dass man dabei aus der Puste kommt. Mit dem Hund zügig um den Block zu gehen, kann dabei schon hilfreich sein. Aber auch um diese Alltagsbewegung steht es nicht gut.

Wir kennen alle die üblichen Ratschläge: öfter mal die Treppe statt den Fahrstuhl nehmen, eine Busstation früher aussteigen oder mit dem Rad zur Arbeit fahren. Das ist alles richtig und wichtig. Die Studie zeigt aber: Wer keinen Spaß an Bewegung hat, vermeidet nicht nur Sport, sondern bewegt sich auch im Alltag weniger. Die Sportmuffel geben deutlich häufiger an, kurze Wege mit dem Auto zurückzulegen und den Feierabend auf der Couch zu verbringen. Die Folge: Jeder Dritte kommt nicht einmal auf eine halbe Stunde Bewegung am Tag, ein weiteres Drittel bleibt unter einer Stunde. Dennoch sagen über 40 Prozent, ihr Alltag sei so anstrengend, dass sie den Feierabend am liebsten auf der Couch verbringen. Bei den 18- bis 39-Jährigen sagt das sogar mehr als die Hälfte (55 Prozent).

 

Woran liegt's?

Häufigster Grund ist die fehlende Motivation. Jeder Zweite, das sind noch einmal fünf Prozentpunkte mehr als in der letzten Umfrage, kann sich nicht aufraffen. Ebenfalls oft genannt: Zeitmangel. 45 Prozent führen das ins Feld. Woher nehmen wir die 150 Minuten, also durchschnittlich 21 Minuten täglich, die es laut WHO braucht, um gesund zu bleiben?

 

Bewegungstagebuch offenbart Zeitsauger

Beim Thema Ernährung empfehlen Experten Abnehmwilligen zu notieren, was sie über den Tag essen und trinken. Sie sollen sich bewusst machen, wie viele versteckte Kalorien sie täglich zu sich nehmen und herausfinden, wo sie am ehesten verzichten oder für gesunden Ersatz sorgen können. Ich glaube, dass das auch beim Thema Bewegung helfen kann. Anders als bei Michael Endes Momo sind es nicht die grauen Herren, die uns die Zeit stehlen, sondern bunte Bildschirme, vor denen jeder vor uns gut drei Stunden täglich verbringt. Jeder Fünfte kommt sogar auf fünf Stunden und mehr. Nun ist der Bildschirm an sich nicht gesundheitsschädigend. Die Digitalisierung führt dazu, dass wir uns viele Wege sparen können. Und in der Folge wird auch der Aktionsradius vieler Menschen immer kleiner.

Weitere Argumente, die laut unserer Befragung gegen einen bewegten Alltag sprechen, sind gesundheitliche Beschwerden, familiäre Verpflichtungen - und schlechtes Wetter… Letzteres hat sich übrigens seit unserer letzten Umfrage 2013 dramatisch verschlechtert. Statt seinerzeit 21 Prozent, sind es inzwischen 34 Prozent der Befragten, die aus klimatischen Gründen keinen Sport treiben. Dagegen sind wir machtlos.

 

Was bewegt die Aktiven?

Wir können aber darüber sprechen, was diejenigen bewegt, die ein aktives Leben führen. Gesundheit und Spaß sind quer durch alle Altersgruppen der Hauptgrund, Sport zu treiben. Sport als Ausgleich gegen Stress steht auf Platz drei, verliert aber im Laufe des Berufslebens etwas an Relevanz, und auch der Wettkampfgedanke lässt mit dem Alter nach. Eitelkeit, das heißt der Wunsch nach einer guten Figur, ist für junge Erwachsene zwischen 18 und 29 besonders wichtig. Nicht einmal jeder Zehnte gibt an, dass die Anerkennung von außen wichtig sei. Bei den jüngsten Erwachsenen wird dieses Motiv aber fast doppelt so häufig genannt wie im Durchschnitt.

 

Digitale Selbstvermessung als Lifestyle

Für viele ist Fitness ein Lifestyle geworden. Es gibt immer mehr Laufveranstaltungen, die Mode- und Ernährungsindustrie interessiert sich für die Sportler, und für viele ist die digitale Selbstvermessung so selbstverständlich wie Zähneputzen. Andere lehnen genau das ab. Und auch das ist natürlich ihr gutes Recht.

In der Umfrage gibt jeder Siebte (14 Prozent) an, einen digitalen Trainingsbegleiter zu nutzen, wie zum Beispiel eine Pulsuhr, eine Smartphone-App oder auch ein Online- Coaching, wie wir es anbieten. Anders als man vielleicht zunächst erwarten würde, sind es übrigens nicht nur junge Leute. Bis zum Alter von 60 sind es im Schnitt 17 Prozent der Erwachsenen, die mit digitaler Unterstützung trainieren. Erst ab 60 Jahren sinkt der Anteil auf sechs Prozent.

Laut den Befragungsergebnissen nutzen die meisten die digitalen Trainingsbegleiter allerdings überwiegend aus sportlichen Gründen. Zwei Drittel möchten ihre Trainingserfolge beobachten, gut die Hälfte möchte sicherstellen, dass sie gesund trainieren. Nur drei Prozent sagen, dass sie ihre Trainingserfolge in sozialen Netzwerken teilen. Immerhin: Fast die Hälfte von ihnen ist überzeugt, dass der Fitnesstracker dafür sorgt, dass sie sich mehr bewegen. Hier zeigt sich, dass Digitalisierung nicht zwingend für Passivität sorgt.

 

Der Begriff Bewegungsapparat scheint überholt

Es steht uns als Krankenkasse nicht zu, Menschen zu sagen, was sie zu tun und zu lassen haben. Bei über neun Millionen Kunden liegen uns aber viele Hinweise vor, welche Folgen ein gesunder oder eben auch ungesunder Lebensstil mit sich bringt. Wir verzeichnen seit Beginn unserer Gesundheitsberichterstattung steigende Krankenstände bei den Beschäftigten. Wie sie aus der Fehlzeiten-Preview erkennen können, waren die Beschäftigten im vergangenen Jahr durchschnittlich 15,4 Tage krankgeschrieben. Rückenschmerzen stehen auf der Liste der häufigsten Ursachen auf Platz zwei. Auch in unserer Befragung geben mehr als 30 Prozent an, oft oder ständig Rückenprobleme zu haben. Wenig verwunderlich ist, dass die, die im Job körperlich sehr beansprucht werden, es überdurchschnittlich oft im Kreuz haben (40 Prozent). Aber auch von denen, die im Sitzen arbeiten, klagen deutlich mehr als ein Drittel (36 Prozent) über Beschwerden des Bewegungsapparates: Der Begriff Bewegungsapparat scheint in Anbetracht der vorliegenden Studie fast überholt.

 

Fazit: 5 vor 12

Was ist also zu tun? Um Menschen in Bewegung zu bringen, brauchen wir eine gesellschaftliche Bewegung, die ohne erhobenen Zeigefinger motiviert und aufklärt. Dabei stehen fünf Punkte ganz oben auf der To-Do-Liste:

 

1. Attraktive digitale Angebote

Wir müssen diejenigen abholen, die wir mit guten Präventionsangeboten erreichen können. Das gilt zum einen für die Individualprävention. Neben interessanten Kursangeboten am Wohnort müssen wir unser Angebot an digitalen E-Coachings ausbauen, die unsere Kunden zeit- und ortsunabhängig in ihren Alltag integrieren können. Dazu gehört auch, dass wir denen, die Spaß an Fitness und digitaler Selbstvermessung haben, Angebote machen, um ihren Einsatz zu unterstützen und zu honorieren. Statt "One fits all" wie es in der Prävention über lange Jahr lief, brauchen wir attraktive interaktive Gadgets, die Spaß machen und motivieren.

2. Gesundheit in die Betriebe bringen

Mindestens ebenso wichtig ist unser Engagement im Betrieblichen Gesundheitsmanagement. Denn dort erreichen wir auch diejenigen, die den Weg zu uns nicht von allein finden, und wir können direkt bei den Belastungen und Gesundheits-ressourcen ansetzen, die im Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz der Beschäftigten stehen. Hier ist in den letzten Jahren viel passiert. Ein großer Teil der Unternehmen hat erkannt, dass sich die Investition in die Gesundheit der Beschäftigten lohnt. Auch die Bewegungsstudie zeigt Fortschritte. Aber jeder vierte Beschäftigte ist noch immer ohne betriebliches Bewegungsangebot.

3. Bewegungsdrang in jungen Jahren fördern

Die Daten zeigen, dass Menschen frühzeitig die Weichen für ein mehr oder weniger aktives Leben stellen, es ist eine Frage des Lebensstils. Das bedeutet, wir müssen früh ansetzen, den natürlichen Bewegungsdrang von Kindern und Jugendlichen zu fördern und ihnen zu zeigen, wie viel besser und gesünder ein bewegtes Leben ist. Hier sind Schulen, Kitas und Sportvereine, aber auch Kommunen, die die Infrastruktur dafür bereitstellen müssen, gleichermaßen gefordert.

4. Fehlanreize im Gesundheitswesen abbauen

Auch unser Gesundheitssystem braucht Anreize, Gesundheit zu fördern. Das Verwalten von Krankheit muss unattraktiver sein. Wir haben derzeit im Finanzausgleich eine Situation, in der es für fast alle im Gesundheitswesen interessanter ist, Krankheit zu dokumentieren. Aber es ist ein krankes System, wenn sich niemand mehr um gesunde Menschen kümmert.

5. Gesellschaftliche Debatte

Wir müssen einen ehrlichen Diskurs darüber führen, wie wir damit umgehen, dass wir einen Teil der Menschen trotz aller Bemühungen nicht erreichen. Wir nehmen uns nicht heraus, jemandem zu sagen, was er zu tun und zu lassen hat. Aber es ist absehbar, dass lebensstilbedingte Erkrankungen zunehmen. Das hat Folgen für das Gesundheitswesen und die Gesellschaft, die es finanziert. Und es hat Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Unternehmen, die die steigenden Krankenstände und die damit verbundenen Kosten ebenfalls mitfinanzieren müssen.“

 

Foto: Techniker Krankenkasse (www.tk.de)

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