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Internationales Fachmagazin für Spiel-, Sport- und Freizeitanlagen

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15.12.2016 - Ausgabe: 6/2016

Wie sich die Normen und Baumusterprüfungen auf die Sicherheit von Spielplätzen ausgewirkt haben.

Von Franz Danner (Produktspezialist Kindersicherheit beim TÜV Süd)

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Entwicklung der Spielgerätenormen

 

Aus den frühen 1960er Jahren existierten teils grobe Schätzungen, wonach auf Spielplätzen und zum Spielen verwendeten Brachflächen teilweise 10 bis 20 tödliche Unfälle jährlich zu verzeichnen waren.

Die Gründe für diese massiven Unfallzahlen bei einer viel geringeren Anzahl von öffentlichen Spieleinrichtungen als heute sind wohl auf drei Faktoren zurückzuführen:

 

  • Eine technische Regel für die Gestaltung solcher Plätze oder vor allem deren Geräteausstattung war nicht vorhanden. So waren weder der Fallschutz, Gerätehöhen, Absturzsicherungen, Öffnungsmaße oder Materialeigenschaften reglementiert.

 

  • Die Geräte wurden häufig von Laien gebaut und aufgestellt.

 

  • Eine systematische Überprüfung der Geräte und daraus resultierender Pflege und Instandsetzung war praktisch kaum etabliert.

 

Anfangs der Siebziger Jahre setzten sich dann erstmals Hersteller, Pädagogen und Sicherheitsexperten in Deutschland zusammen, um aus den bekannten Unfallmustern eine Sicherheitsnorm für Spielgeräte zu erarbeiten. Die erste Veröffentlichung der DIN 7926 – Kinderspielgeräte fand dann im Dezember 1976 statt. Auf nur acht Seiten wurden die wichtigsten Schutzziele beschrieben. Neben Mindestanforderungen für Geländer und Barrieren wurden eine maximale Fallhöhe und eine Mindestbodenqualität gefordert. Zudem war eine regelmäßige Kontrolle durch geeignete Personen gefordert. 1981 fand das erste Mal eine teilweise Überarbeitung statt. Diese Neuausgabe wurde vom Gesetzgeber erstmals im Anhang zum GTA (Gesetz über technische Arbeitsmittel) als eine vermutlich wirksame Sicherheitsnorm erwähnt. Sie war damit nicht verpflichtend in der Anwendung, stellte aber in den Augen des Gesetzgebers eine vernünftige Grundlage für den Bau von Spielgeräten dar.
Eine weitere Überarbeitung erfolgte im Jahre 1985. Diese Ausgabe der DIN 7926 mit wiederum nur 8 Seiten für den Teil 1 stellte dann die letzte rein deutsche Fassung einer Spielgerätenorm dar. Gleichzeitig war diese Fassung das Ausgangsdokument für den Beginn der europäischen Normung im Jahr 1989.

Nach langem europäischem Ringen wurde im September 1998 die europäische Spielgerätenorm EN 1176 veröffentlicht. Der Umfang war gegenüber der DIN 7926 stark angewachsen, der Teil 1 besaß 65 Seiten. Eine geringfügige Erneuerung der EN 1176 wurde im Jahre 2003 durchgeführt, der Umfang wuchs auf 71 Seiten. Die derzeit letzte Fassung wurde 2008, jetzt mit 88 Seiten, erstellt.

 

Entwicklung des Unfallgeschehens

Durch die Erwähnung der DIN 7926 im Anhang zum GTA im Jahre 1981 erfolgte recht schnell eine Übernahme der technischen Regeln bei den Herstellern. Zusätzlich setzte sich immer mehr das 1977 ins Leben gerufene GS-Zeichen (Geprüfte Sicherheit) bei den Spielgeräteherstellern durch. Aber auch die regelmäßige Kontrolle und Wartung der Spieleinrichtungen wurde, wenn auch nicht flächendeckend, so zumindest in den großen Städten und Kommunen systematisiert, da einige Gerichtsurteile in den 1980er Jahren dies einforderten.

Ende der 1980er Jahre gingen neuer Schätzungen von etwa 1 – 2 Unfällen mit tödlichem Ausgang oder mit schwerwiegenden bleibenden Folgen aus. Diese Häufigkeit hat sich bis heute praktisch nicht verändert, auch die Einführung der EN 1176 hatte nahezu keinerlei Auswirkungen auf die Häufigkeit oder die Unfallmuster.                    

Mitte der 1990er Jahre machten besonders zwei Unfalltypen Schlagzeilen, die den Experten die Grenzen des technisch Machbaren aufzeigten:

So verunglückten vor allem in Skandinavien eine größere Anzahl von Kindern durch das Beklettern von Spielgeräten oder Bäumen mit Fahrradhelmen. Zudem gab es in ganz Europa eine große Anzahl von Strangulationen mit an der Kleidung befestigten Kordeln, sowohl an Spielgeräten als auch beim Ausstieg aus Bussen oder Zügen oder beim Benutzen von Rolltreppen.

In beiden Fällen zeigte sich, dass hier eine technische Normung im Spielgerätebereich keinen Erfolg bringen kann. Nur durch die Beseitigung der Ursache (Kordel bei Kinderbekleidung) oder Aufklärung der Nutzer und Aufsichtspersonen (keinen Helm am Spielplatz) kann man solche Unfälle vermeiden.

 

Aktuelle Unfallmuster

Wertet man die schweren Unfälle auf Spiel- und Bolzplätzen der letzten 16 Jahre aus, zeigen sich deutliche Schwerpunkte: Die häufigsten Unfälle resultierten aus umstürzenden Fußballtoren (5x), dann folgen umstürzende Einmastgeräte, deren Standpfosten gebrochen sind (3 x). Weiterhin sind Strangulationen mit Fahrradhelmen (2 x), Strangulation mit einem dünnen Seil (2 x) und Strangulation mit Kleiderkordel an einer Rutsche (2x) zu verzeichnen.

Die Hauptursachen für diese Unfälle sind also fehlerhafte Kontrolle von Standpfosten oder der sorglose Umgang mit freistehenden Toren. Dazu kommen mitgebrachte Schnüre, gefährliche Kleidungsstücke oder unzureichende Information der Nutzer über die sichere Verwendung von Fahrradhelmen.

 

Bringen neue Regeln höhere Sicherheit?

Seit etwa sechs Jahren wird an der Neufassung der EN 1176 gearbeitet. Die ersten Entwürfe wurden in den internationalen Gremien recht kontrovers diskutiert, es zeigt sich eine immer stärker werdende Regulierungsabsicht. Viele der neu eingebrachten Forderungen sind häufig auf theoretischen Überlegungen gewachsen, welche denkbaren Unfälle es zu verhindern gilt. Eine konkrete Gefährdung kann in den häufigsten Fällen nicht nachgewiesen werden. Häufig wird damit argumentiert, man wolle unnötiges Leid vermeiden und außerdem schadet ja ein Zuviel an technischen Regeln nicht. Aber stimmt das wirklich so?

 

Die Folgen der Übersicherung

Beobachtet man wissenschaftliche Veröffentlichungen zum Risiko im Spiel, so scheint einhellig die Meinung vertreten zu werden, dass die vielfache Übersicherung bei Kindern deren Entwicklung in körperlicher aber auch geistiger, intellektueller Sicht stark beeinflusst:

Anita Bundy von der Universität in Sydney schreibt: „Es ist ein Risiko, wenn es kein Risiko mehr beim Spielen gibt!“[1].

Ellen Sandseter von der Queen Maud University in Trondheim zeigt in einer Studie, dass Kinder den Umgang mit Risiken dazu nutzen, Ängste abzubauen. So besteht ein direkter Zusammenhang zwischen Klettern an hohen Geräten und der Entwicklung von Höhenangst im Erwachsenenalter.[2]

Die Überreglementierung führt zu immer eintönigeren, langweiligeren Spielangeboten. Große Höhen, loses Material, Steine oder veränderbare Räume werden verhindert, um eine höhere „Sicherheit“ zu erreichen. Als Konsequenz zeigen sich mehrere negative Auswirkungen:

Als erstes ist hier der Verlagerungseffekt zu nennen: Langweilige Spielflächen mit geringen Herausforderungen führen zu einem geänderten Nutzerverhalten: Die Kinder weichen auf angrenzende Bereiche aus, die Herausforderungen darstellen. So geraten Garagendächer, Bushäuschen, Lichtmasten, Baustellen, Trafostationen, Gleisanlagen oder Verkehrsflächen in den Zielfokus der Kinder und Jugendlichen. Die dort auftretenden Risiken sind gravierend und resultieren teilweise in fatalen Unfällen. Sie werden jedoch nicht dem Spielplatz zugeschlagen.

Neben der Verlagerung des Spiels in nicht kontrollierbare Bereiche führen langweilige Spielflächen aber auch zu Verhaltensänderungen. Langeweile erzeugt Aggressionen gegenüber anderen Kindern und diese Aggressionen erzeugen neben Vandalismus unwägbare Gefahren, die mit technischen Mitteln nicht beherrschbar sind.

Zusätzlich werden aber durch die übermäßige Absicherung falsche Signale an die Kinder gesendet: Sie lernen eine scheinbare Sicherheit kennen, die es nicht nötig macht, das eigene Verhalten der Situation anzupassen. Eine Entwicklung von Sicherungsstrategien unterbleibt, da ein Fehlverhalten ja keine Konsequenzen einfordert.  So stellt ja auch der Sprung von der höchsten erreichbaren Stelle am Spielgerät keine Herausforderung mehr dar, der Boden verzeiht scheinbar alle Handlungsweisen. Ein Erlernen von realen, selbstsichernden Verhaltensmustern ist so nicht mehr möglich, sondern erzeugt unter Umständen sogar gefährliche Verhaltensmuster.

Die geringe Attraktivität von Spielflächen verringert den Wunsch nach Aktivität bei den Kindern. Im Zuge von Ganztagesschulen und neuen Medien nehmen die Zeiten der physischen Bewegung drastisch ab, mit deutlichen Zunahmen von Übergewicht und Erkrankungen wie Diabetes II.[3]

Daneben ergeben sich aber auch weitere, unbeachtete Folgen, die mit den wirtschaftlichen Konsequenzen der Anforderungen zu tun haben. Dies kann am Beispiel der Stoßdämpfung von Aufprallflächen gezeigt werden.

Eine in der Diskussion stehende Verringerung des HIC-Wertes (Head Injurie Criterion, Kennzahl der Stoßdämpfungsqualität) bei gleichzeitiger negativer Bewertung von Naturböden erzeugt massive Kostensteigerungen für die Spielplatzgestaltung und auch den Unterhalt. Bereits heute tendieren Kommunen verstärkt dazu, Spielflächen zu verkleinern oder teilweise ganz zu schließen, um mit vorhandenen Geldmitteln auszukommen. Gerade kleine, nahe den Wohnungen angesiedelte Spielflächen werden daher dem Rotstift zum Opfer fallen. Bereits jetzt erkennt man eine Tendenz zu sogenannten „Leuchtturmspielplätzen“, also zentrale Plätze mit überregionaler Bedeutung.
Das bedeutet aber auch: Die Wege zu Spielplätzen werden weiter, die Flächen sind für Kinder nur noch mit Hilfe ihrer Eltern und deren Transporthilfe (Auto) oder dem Fahrrad erreichbar. Daraus resultieren wesentlich geringere Aufenthaltszeiten, lange Transportwege, massive Bewegungsabnahme, höhere Umweltbelastungen und nicht zuletzt auch mehr Unfälle als Autopassagier oder Radfahrer! Nicht hinzugerechnet werden hier die Unfallopfer, die aus dem erhöhten Verkehrsaufkommen stammen.

 

Wie gefährlich sind Spielplätze im Vergleich?

Um Unfälle im Arbeits- und Freizeitbereich vergleichbar zu machen, hat sich im englischsprachigem Raum die sog. FAR (Fatal Accident Rate) etabliert. Man bezieht dabei die Todesfälle auf jeweils 100 Millionen Stunden der Tätigkeit.

Eine sehr vorsichtige Kalkulation der FAR für Spielplätze in Deutschland ergibt für die Jahre 2000 - 2016 einen Wert von ca. 0,1. Setzt man diesem Wert die Häufigkeit von anderen Freizeitaktivitäten und Verkehrssituationen gegenüber, zeigt sich sehr deutlich die extrem hohe Sicherheit auf Spielplätzen: Auch in USA gehen Studien von Durchschnittlich einem tödlichen Unfall pro Jahr aus, hier dürften der FAR-Wert wegen der wesentlich größeren Bevölkerungszahl noch darunterliegen.

 

   

Vergleicht man nun die FAR für Spielplatz (0,1) und Radfahren (38), zeigt sich, dass Fahrradfahren etwa 380-mal gefährlicher ist als Spielen auf dem Spielplatz. Wird durch Abbau von wohnnahen Spielflächen und damit weitere Wege zum Spielplatz mehr Verkehrszeit erzwungen, ergeben sich massive Konsequenzen:

Bei einer angenommenen Verlängerung der Anfahrtszeit mit dem Fahrrad von nur einem Prozent der üblichen Spielplatzzeit erhöht sich das Risiko der spielplatzindizierten tödlichen Unfälle um den Faktor 3,8. (1% von 380). Das heißt, dass jährlich statt einem tödlichen Unfall etwa fünf zu verzeichnen sind. Es wird also eine Zahl von ca. 57 zusätzlichen Todesfällen außerhalb des Spielplatzes in 15 Jahren zu erwarten sein! Jedoch wird diese Zunahme an schweren Unfällen in keiner Spielplatzstatistik auftauchen, die Wegeunfälle gehen im Rauschen der Verkehrsstatistiken unter.

 

Spotlight-Denken

Hier wird ein Mechanismus sichtbar, der nach meiner Auffassung ein Grundproblem bei der Sicherheitsbewertung von Spieleinrichtungen widerspiegelt:

Durch technische Maßnahmen werden nahezu alle mit Risiko behafteten oder attraktive Spielaktivitäten verhindert oder entwertet, wodurch rein objektiv betrachtet die Unfallzahlen im Spielplatzbereich auf einen minimalen Wert zurückgedrängt werden.

Durch die Beschränkung der Unfallauswertungen auf den reinen Spielplatzbereich („Spotlight“) ergibt sich zunächst ein scheinbar geringfügig „positiver Effekt“, führt aber tatsächlich zu einer massiven Zunahme von negativen Auswirkungen, die wegen fehlender Wahrnehmung ausgeblendet werden.

 

Fazit

Sowohl die vorhandenen, teilweise sehr restriktiven Normen und Regeln als auch geplante Änderungen der Sicherheitsanforderungen in Spielbereichen müssen sehr kritisch einer umfassenden Analyse unterzogen werden, um negative Seiteneffekte mit massiven gesundheitlichen Risiken zu vermeiden. Dabei ist es unbedingt erforderlich, wissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen, um die Anforderungen für eine gesunde Entwicklung unserer Kinder zu gewährleisten. Die Analyse der bestehenden Unfallsituationen zeigt, dass nicht verschärfte Reglementierungen notwendig sind, sondern dass eine ansprechende, herausfordernde, kindgerechte Gestaltung in Verbund mit einer sachkundigen Wartung der Spielräume das Wohl unserer Kinder verbessert.

 

Foto: Franz Danner

 

[1] Wyver, Bundy et. Al 2010 Safe outdoor play for young children: Paradoxes and consequence, AARE Annual Conference, Melbourne, 2010

[2] Sandseter, E. Children’s Risky Play from an Evolutionary Perspective: The Anti-Phobic Effects of Thrilling Experiences, www.epjournal.net – 2011. 9(2): 257-284

[3] Trost, S.G., Ward, D.S., & Senso, M. (2010). Effects of child care policy and environment on physical activity. Medicine and Science in Sports and Exercise, 42 (3), 520-525.

 

[4] Die Berechnung der FAR für Spielplätze in Deutschland erfolgte unter der Annahme von 160000 öffentlichen Spielplätzen (Kommunen, Schulen, Kindergärten) und ca. 60000 privaten, frei zugängliche Einrichtungen (Wohnungsgemeinschaften, Vereine, Gasthöfe).

 

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