Stadt fair teilen - was kann Planung beitragen?
Unsere Städte sind über Jahrhunderte gewachsen, darin spiegelt sich auch die Geschichte der städtischen Gesellschaft, wer hatte das Sagen, für wen waren welche Berufe zugänglich. Stadt ist ein...
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Mehrfachnutzungen sind selbstverständlich
In Zeiten der baulichen Verdichtung wird der innerstädtische Freiraum immer knapper – und gleichzeitig gilt es, immer mehr Ansprüche und Bedürfnisse zu befriedigen. Bereiche zur schadlosen Regenwasserrückhaltung bei Starkregen und Kaltluftschneisen gegen die Überhitzung sind da nur die im Rahmen des Klimawandels genannten Begriffe.
Dazu kommen die angestammten Funktionen von (Spiel)-Plätzen und Grünbereichen. Hier treffen sich Menschen aller Altersgruppen, erholen sich und können miteinander in Kontakt kommen.
Gerade Kinder brauchen den Raum, um im Spiel soziale und motorische Fähigkeiten zu entwickeln. Jede Form von Spiel verbindet Menschen – jung und alt, arm und reich.
Wo liegen Freiraum-Reserven?
Dagegen stehen die Raumansprüche durch die bauliche Verdichtung und die Mobilität.
Dabei sollte es doch ganz einfach sein – wie es auch viele andere europäische Städte zeigen:
Verringerung des individuellen Autoverkehrs durch optimale Angebote für Nutzung des ÖPNV, für Car-Sharing und für Fußgänger*innen und Radfahrende. Dazu gehört dann auch das Thema parkende Autos. Jeder PKW braucht ca. 20 m² für den Stellplatz und die notwendige Bewegungsfläche. In Wohnquartieren sind diese Bereiche zumeist ebenerdig an Straßenrändern untergebracht – und bergen damit große Flächenreserven.
Aus der Geschichte
In früheren Zeiten war es für alle Generationen deutlich einfacher. Die Wohnstraßenräume waren zumeist frei und konnten daher für (Ball-) Spiele, Rollschuhlaufen, Fahrradfahren, Hüpfekästchen, Gummitwist u.a. genutzt werden. Daneben gab es immer wieder Bereiche wie Brachen, wo frei gespielt werden konnte. Spielplätze schufen besondere Angebote mit Schaukeln, Rutschen u.a..
Heute ist die Nutzung des Straßenraums durch die Blockierung mit den parkenden Autos schwierig bis unmöglich. Denn wenn der erste Ball ein Auto trifft, ist zumeist Schluss mit dieser Bewegungs- und Spielform.
Warum ist der Freiraum wichtig?
Kinder brauchen die Begegnung mit anderen Kindern. Sie sind Bewegungswesen – und wir Erwachsenen ja eigentlich auch. Kinder müssen vielfältige Erfahrungen machen, Abenteuer bestehen, Freiheit erleben – und all das braucht Platz.
Kinder ohne diese Bewegungsmöglichkeiten sind prädestiniert für soziale und motorische Störungen, Aufmerksamkeitsdefizit, Übergewicht, Gesundheitsprobleme u.a..
Sind die neuen Medien das Problem?
Nun wird die zu geringe Bewegung meist auf die neuen Medien, früher auf zu großen Fernsehkonsum geschoben. Dies ist aber nur die halbe Wahrheit. Vielmehr ist zu beobachten, dass selbstverständliche Bausteine der Bewegung aus einem Sicherheitsbedürfnis der Erwachsenen immer mehr beschnitten wurden.
Fragen Sie mal Eltern, welches Grundschulkind eigenständig zur Schule gehen darf? Vom Spielplatz am Nachmittag ganz zu schweigen. Oder fahren Sie zu Schulbeginn bzw. –ende mal an einer Grundschule vorbei. Hier können Sie das Problem der Überbetreuung massiv erleben – und die Kinder, die zu Fuß oder mit dem Rad kommen, werden gefährdet.
Dass das Elterntaxi eine trügerische Sicherheit darstellt, beweisen Untersuchungen immer wieder: Die meisten Schulkinder, die im Straßenverkehr zu Schaden kommen, sitzen in diesem Moment im Auto der Eltern.
Lösungsgedanken
In autofreien Bereichen wird Kindern zumeist früher von ihren Eltern erlaubt, sich alleine zu Spielplätzen u.a. zu bewegen. Eine entsprechende Untersuchung in Nürnberg zwischen einem autofreien und einem auto-inklusiven Bereich hat ergeben, dass die Kinder im Quartier ohne Autos ca. ein Jahr früher selbstständig sind.
Und wenn man zu den entsprechenden Zeiten mal durch Quartiere geht, wo die Autos nicht überall hin dürfen, trifft man auf Wegen, Freiflächen und natürlich auf den Spielplätzen Kinder, die sich ganz selbstverständlich ohne Erwachsene in diesem Freiraum bewegen. Und auch die Erwachsenen sind hier zu Fuß unterwegs – auf sicheren, da autofreien Wegen.
Lösungen sind möglich
Für den Übergang bis zur umfassenden Mobilitätswende können notwendige Stellflächen durch modulare Kleinparkhäuser zu einem Teil gestapelt und damit Straßenflächen wieder frei gemacht werden.
Beispielhaft sei das Parkraumkonzept der „Autofreien Siedlung“ in Köln-Nippes genannt. Die Initiator*innen der Siedlung wollten umfassend davon profitieren, dass sie kein eigenes Auto haben. So sollten Lärm und Abgase „draußen“ bleiben. Außerdem war klar, dass in den Straßen / Wegen des Quartiers viel Platz für die unterschiedlichste Nutzung frei sein wird, da keine Autos in der Fläche parken.
Der Stellplatzschlüssel beträgt in der Autofreien Siedlung 0,2 = für 400 Wohneinheiten sind 80 Autostellplätze nachzuweisen. Dies erfolgt seit über zehn Jahren durch ein modulares Parkhaus. Dort sind auch zehn Stellplätze für Car-Sharing untergebracht – und weitere zehn gibt es am anderen Ende der Siedlung. Das Parkhaus ist so konzipiert, dass es ein Baufeld einnimmt. Damit kann es bei nicht-mehr-Bedarf einfach abgebaut und der Raum für Wohnbebauung o.a. genutzt werden.
Vernetzung ist angesagt
Bei Wegeplanungen sollte darauf geachtet werden, dass wichtige Punkte für Kinder – aber auch für Erwachsene – gut zu Fuß oder mit dem Rad erreichbar sind. Ein entsprechendes Wegenetz verbindet Spielplätze, die Bushaltestellen, die Wohnungen und mehr.
In Deutschland gibt es viermal so viele Autos wie Kinder!
Dieses Zahlenverhältnis – und bzw. durch die gut funktionierende Autolobby – gilt es für die Zukunft möglichst zu verändern. Denn die Flächen, die durch den motorisierten Individualverkehr in Bewegung und im Stillstand belegt sind, fehlen in den Ballungsräumen für die Freiraumnutzung der Menschen.
Wie viel sicherer sind Wege zu Fuß oder mit dem Rad, wenn Bereiche nicht zugeparkt sind? Oder was wird an Fläche frei, wenn innerstädtisch flächendeckend Tempo 30 gelten würde? Wie viele Spielplätze, Grünzüge, Sitzbereiche u.a. könnten entstehen, wenn wir den Stadtraum ein Stück weit vom Individualverkehr befreien würden? Dass dies möglich ist, zeigen zahlreiche europäische Städte in allen Größenklassen.
Es ist Zeit, die Stadt wieder Kindern, Fußgänger*innen und Radfahrenden umfassend zurückzugeben.
Foto: Yvonne Göckemeyer