Stadt fair teilen - was kann Planung beitragen?
Unsere Städte sind über Jahrhunderte gewachsen, darin spiegelt sich auch die Geschichte der städtischen Gesellschaft, wer hatte das Sagen, für wen waren welche Berufe zugänglich. Stadt ist ein...
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„Inklusive Bildung ist zu einem globalen Ziel geworden. Dieses Ziel wird durch die Anerkennung des Menschenrechts auf Bildung für alle und die Vision einer demokratischen Gesellschaft unterstützt, die Vielfalt in all ihren Facetten wertschätzt“ (Powell/ Merz-Atalik 2020).
Universelle Menschenrechte und Menschenwürde „für alle“
Bis vor dem 2. Weltkrieg ist “die Diskussion um Menschenrechte mindestens zwei Jahrhunderte ganz ohne den Begriff der Menschenwürde ausgekommen. In den revolutionären, nordamerikanischen und französischen Verfassungsentwürfen des 18. Jahrhunderts, die heute gemeinhin als die ersten Menschenrechtserklärungen betrachtet werden, sucht man danach vergebens“ (Zeitschrift für Menschenrechte, 2010). Erst mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (UDHR[1] 1948) kam es zur Verknüpfung der beiden Konzepte, jener der Menschenwürde mit den Menschenrechten. Die UDHR basieren im Wesentlichen auf drei Leitideen: Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit und sie gelten unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft oder anderen Dispositionen. „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen“ (UDHR 1948). Nach Eichholz (2015) ist „in Deutschland [...] das Verständnis der Menschenwürde nachhaltig geprägt von der Erfahrung des Nationalsozialismus. `Du bist nichts, dein Volk ist alles´, hieß es. Das war die Voraussetzung für die Entwürdigung und Entrechtung des Einzelnen und nicht zuletzt auch für die Abstumpfung des persönlichen Gewissens“ (ebd., o.S.). So konnte es zu der massenhaften Ermordung von Menschen kommen, die nicht den rassenideologischen Vorstellungen entsprachen, wie jüdische Mitbürger und andere ethnische Gruppen. Darunter auch mehr als 200.000 Menschen, die krank waren oder eine Behinderung hatten, jene die als „unwertes Leben“ betrachtet wurden. Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus war es deshalb ein tiefes Bedürfnis, zu einer Wiedergesundung des Rechts zu kommen und die Würde des Menschen wiederherzustellen. 1949 hat die Abkehr von dem Nationalsozialismus auch den ersten Artikel unseres Grundgesetzes geprägt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“ (Art. 1;1949 BGBl). Erst im Jahr 1994 wurde der Zusatz zum Grundgesetzartikel 3 gewährt: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Bis heute jedoch wird das gleichwertige Lebensrecht von Menschen mit Behinderungen durch Gesetzgebungen in Frage gestellt (bspw. Gesetzgebungen im Schwangerschaftsfall), die Tatsache einer Behinderung wird häufig als `belastender Kostenfaktor´ für die Gesellschaft gewertet (vgl. bspw. Dokumentation Bayern 3, Juli 2019), Inklusion, Teilhabe und Benachteiligungsverbot sind noch nicht umfassend gewährt. Daher ist die Frage nach den gleichen Rechten und der gleichen Würde nach wie vor virulent.
Das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe an Erholung, Freizeit, Spiel und Sport
Die Allgemeinen Menschenrechte wurden 1989 in der Kinderrechtskonvention spezifiziert. So heißt es in Artikel 2, Absatz 1: „Die Vertragsstaaten achten die in diesem Übereinkommen festgelegten Rechte und gewährleisten sie jedem ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Kind ohne jede Diskriminierung unabhängig von der Rasse, der Hautfarbe, dem Geschlecht, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen, ethnischen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, einer Behinderung, der Geburt oder des sonstigen Status des Kindes, seiner Eltern oder seines Vormunds“ (UNCRC[2] 1989).
Bereits die Kinderechtskonvention von 1989 forderte für alle Kinder die Bereitstellung geeigneter und gleicher Möglichkeiten für aktive Erholung und Freizeitbeschäftigung.
In Artikel 31 heißt es so: „(1) Die Vertragsstaaten erkennen das Recht des Kindes auf Ruhe und Freizeit an, auf Spiel und altersgemäße aktive Erholung sowie auf freie Teilnahme am kulturellen und künstlerischen Leben. (2) Die Vertragsstaaten achten und fördern das Recht des Kindes auf volle Beteiligung am kulturellen und künstlerischen Leben und fördern die Bereitstellung geeigneter und gleicher Möglichkeiten für die kulturelle und künstlerische Betätigung sowie für aktive Erholung und Freizeitbeschäftigung.“ (UNCRC 1989). Die UN Konvention zu den Rechten von Menschen mit Behinderungen (UNCRPD 2006[3]) spezifiziert wiederum in Artikel 30: „Teilhabe am kulturellen Leben sowie an Erholung, Freizeit und Sport“, Absatz 5: „Mit dem Ziel, Menschen mit Behinderungen die gleichberechtigte Teilnahme an Erholungs-, Freizeit- und Sportaktivitäten zu ermöglichen, treffen die Vertragsstaaten geeignete Maßnahmen,
Kontextfaktoren für inklusive Schulentwicklung in Deutschland
Im internationalen als auch europäischen Vergleich steht die inklusive Schulentwicklung in den deutschen Bundesländern vor besonders großen Herausforderungen. Während in der absoluten Mehrheit der europäischen Länder bereits seit vielen Jahren ein Gemeinschaftsschulsystem entwickelt wurde und alle Kinder bis einschließlich der Sekundarstufe 1 nach einem gemeinsamen Bildungsplan (vgl. Eurydice 2019) unterrichtet werden, zählt Deutschland zu den ganz wenigen Ländern in denen am Übergang von Grund- zu Sekundarstufe in verschiedene Schultypen selektiert wird (in 6 Ländern, darunter die 4 deutschsprachigen). In der Mehrzahl der europäischen Länder lernen alle SchülerInnen bis zur achten, neunten oder gar zehnten Klasse und damit i.R. die gesamte Pflichtschulzeit gemeinsam in einer Schule (ebd.). Nur in Deutschland, Österreich und Ungarn wird bereits ab der 4. Klasse in differente Schulformen selektiert (kürzeste gemeinsame Schulzeit). Und so verwundert es kaum, dass auch bei dem Vergleich der Beschulungsquoten in Sonderschulen Deutschland eine führende Position einnimmt, indem im Durchschnitt der Bundesländer 4,3 % der Gesamtschülerschaft (Klasse 1-10) an Sonderschulen unterrichtet wird (Bildungsbericht Bundesregierung 2018). Damit sind wir an dritter Stelle von 30 europäischen Ländern, in denen im Durchschnitt nur 1,82% aller Schüler Sonderschulen besuchen (EASNIE 2017).
Daraus resultiert nicht nur, dass Lehrkräfte in Deutschland vergleichsweise weniger gut vorbereitet sind und weniger Erfahrungen haben im Umgang mit Heterogenität, sie haben auch vielfach noch ein ungebrochenes Normalitätskonzept, welches von einer weitest möglichen Homogenität von Lerngruppen als positive Ausgangsbedingung für das Lernen ausgeht. Neben der wichtigen Professionalisierung von Lehrkräften für den inklusiven Unterricht jedoch, bedarf es auch einer Umsteuerung von Ressourcen, einer klaren rechtlichen Vorrangstellung von inklusiver Bildung in den Schulgesetzen und der finanziellen und personellen Unterstützung von inklusiver Schulentwicklung, um hierbei international wieder anschlussfähig zu werden. Dazu zählen auch die Infrastruktur, wie die Schulgebäude und die Umgebung.
Gestaltung von Schulen und Schulhöfen für Inklusion und Teilhabe
Worum geht es vorrangig bei der Gestaltung von Schulgebäuden und -geländen für Inklusion? Um eine umfassende Teilhabegerechtigkeit von allen SchülerInnen zu ermöglichen, bedarf es einer größtmöglichen Barrierefreiheit. Dabei geht es nicht nur um Kinder und Jugendliche mit einer festgestellten Behinderung, sondern um den Zugang und die Teilhabe für alle. Die fehlende bauliche Infrastruktur und die mangelnde Barrierefreiheit der Regelschulen, die trotz lange bestehenden Vorgaben im Baurecht unter anderem wegen der in Deutschland tradierten und immer noch dominierenden Segregation von SchülerInnen mit Behinderungen an spezielle Sonderschulen aufrecht erhalten werden konnte - wird vielfach als Argument gegen die Inklusion herangezogen (vgl. Merz-Atalik 2018b). Die Barrierefreiheit ist sicherlich ein wesentlicher Bestandteil auf der durch die UNCRPD geforderten „Umsetzung eines inklusiven Bildungssystems“, jedoch bedarf es darüber hinaus vielfältige Reformen und Modifikationen auf allen Ebenen in Bildungspolitik, -verwaltung, in der Professionalisierung von PädagogInnen und in der Praxis.
Mit einer Orientierung an dem 4-A-Schema bzw. den Leitideen für Bildung für alle von Katarina Tomasevski (UN Sonderberichterstatterin zum Recht auf Bildung; 2002), sollen die verschiedenen Aspekte von Barrierefreiheit und Teilhabe exemplarisch für die Gestaltung von Schulgebäuden, -höfen und Spielplätzen aufgezeigt werden. Das 4A-Schema wurde gewählt, weil es eine systematische Struktur für die Entwicklung von Indikatoren für das Recht auf Teilhabe bietet, und es damit ermöglicht, das gesamte Spektrum der Menschenrechtsverpflichtungen im Zusammenhang mit dem Recht auf Teilhabe an Bildung, Erholung, Freizeit, Spiel und Sport umfassend zu überwachen und zu bewerten.
Auf dem Bild sieht man eine Schaukeleinrichtung an einer inklusiven Gemeinschaftsschule in Reykjavik, die ich im Rahmen eines Comeniusprojektes besuchen konnte (siehe: www.tdivers.eu; Merz-Atalik 2018a). Das Besondere an dieser Anlage ist es, dass es den Kindern ermöglicht wird auf verschiedene Arten diese zu nutzen. So gibt es einerseits eine Vielfalt von Schaukeln (Reifen, Reifen mit Netz, traditionelle Schaukel, Hängevorrichtungen für Hängematten oder andere Schaukelgestelle). Die Schaukeln ermöglichen es alleine, zu zweit oder mit mehreren SpielpartnerInnen genutzt zu werden. Sie stehen direkt nebeneinander, so dass die Kinder sich gegenseitig beobachten, helfen, inspirieren können. Der Rasen hat ein eingelassenes Gummi-Netzwerk, so dass man auch mit orthopädischen Assistenzmitteln (Krücken, Prothesen) oder mit Rollstühlen Zugang erhält. Zudem wird damit für alle die Verletzungsgefahr minimiert und die Zugänglichkeit auch bei schlechteren Wetterkonditionen möglich. Die Schule ist erst vor wenigen Jahren neu gebaut worden und liegt im Zentrum des Wohngebietes (die Straßen und Häuser sind kreisförmig um die Schule mit der Sporthalle, der integrierten aber öffentlich zugänglichen Bibliothek und dem Schulschwimmbad herum angeordnet), alle Einrichtungen sind für das Wohnumfeld zugänglich, so dass sie auch nach Schulschluss genutzt werden können.
Die Spielgeräte sind von allen Seiten zugänglich und sie fordern zu vielfältigen Bewegungserfahrungen auf, die allen Kindern ermöglicht werden können. Wiederum können sie auch genutzt werden, um gemeinsame Spiel- und Lernsituationen entstehen zu lassen. Sie sind altersunabhängig und bedürfen wenig Vorerfahrungen um sie zu nutzen.
Mit der nachhaltigen und zügigen inklusionsorientierten und diversitätssensiblen Gestaltung von Spiel-, Sport- und Erholungsangeboten an Schulen würde man eine wichtige Basis für das in der UNCRPD geforderte inklusive Bildungssystem und die dafür erforderliche Schulentwicklung legen. Im Sinne des „Nichts über uns – ohne uns!“ stellt es dabei eine unschätzbare Ressource dar, bei der Planung und Gestaltung von Räumen und Landschaften alle beteiligten Akteure einzubeziehen (Eltern, Kinder, Lehrkräfte, ErzieherInnen, TherapeutInnen etc.). Zudem sollten im frühen Planungsstand `ExpertInnen in eigener Sache´ (z.B. über Verbände oder Selbstvertretungen von Menschen mit Behinderungen wie die Selbstbestimmt leben Bewegung) zur Beratung im Hinblick auf die Barrierefreiheit hingezogen werden. So können Risiken einer mangelhaften Umsetzung von Barrierefreiheit reduziert werden sowie eine weitmögliche Partizipation und Akzeptanz in der Bevölkerung gestärkt werden. Im Hinblick auf Inklusion sitzen wir schließlich alle auf der „Schulbank“!
[1] Universal Declaration of Human Rights.
[2] UN Convention on the Rights of the Child (1989).
[3] UN Convention on the Rights of Persons with Disabilities (2006).
[4] „to the fullest extent possible“ (im Originaltext).
Anmerkungen:
Eichholz, R. (2015). Anthropologische Grundlagen der Inklusion. Zeitschrift Für Inklusion, (1). Abgerufen von https://www.inklusion-online.net/index.php/inklusion-online/article/view/261 (10.10.2019)
Eichholz, R. (2018). Eine Schule für alle: Die inklusive Schule. In: Hurrelmann, K./ Rathmann, K. (Hrsg.): Leistung und Wohlbefinden in der Schule: Herausforderung Inklusion. Beltz Verlagsgruppe. 368-382
Merz-Atalik, K. (2018b). Von einem Versuch „der Integration der Inklusion in die Segregation“?! Länderbericht zur inklusiven Bildung in Baden-Württemberg. Zeitschrift Für Inklusion, (4). Abgerufen von https://www.inklusion-online.net/index.php/inklusion-online/article/view/508
Merz-Atalik, K. & Weber, K. (2018a). "Bringing you inspiring practices for inclusive education" - Das Comenius Netzwerk Projekt TdiverS: Teaching diverse learners in (school-)subjects. In: Mittendrin e.V. (Hg.): Materialien, Kongress 2017 "Eine Schule für alle". S. 33-37
Powell, J .W. & Merz-Atalik, K. (2020). Die Notwendigkeit inklusiver Bildung für die Erneuerung der Governancekonzepte: Deutschland und Luxemburg im Vergleich. In: Budde, J. (Hg): Inklusionsforschung im Spannungsfeld von Erziehungswissenschaft und Bildungspolitik. Leske & Budrich (Eingereicht)
Zeitschrift für Menschenrechte (2010): Philosophie der Menschenwürde. Wochenschau Verlag: Schwalbach i.T.