Erreichbarkeit von Spielplätzen
Stellen wir uns kurz den schönsten Spielplatz der Welt vor – und keiner könnte hinkommen! Die in der DIN 18034 als Erreichbarkeit beschriebene Norm fordert...
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Als die russische Philosophin Svetlana Boym 1999 nach Leningrad zurückkam, fand sie kaum noch das, was einst ihre Kindheit geprägt hatte: die „Sputniks“ aus Stahlrohr, die auf jedem Spielplatz anzutreffen waren. Die Raketen zum Klettern drückten den Stolz der Sowjetunion aus, als sie 1961 mit Yuri Gagarin vor den Amerikanern den ersten Mensch im Weltall hatten. Nun kannte der Weltraumeroberungsdrang der Sowjetunion keine Grenzen. Und das machte sich schließlich ganz deutlich auf den Spielplätzen bemerkbar.
Während diese einst so charakteristischen Stahlrohrraketen zumindest in St. Petersburg wie vom Spielplatz-Erdboden verschluckt zu sein und von Burgen und Schlössern aus farbigem Kunststoff ersetzt zu sein scheinen, tauchen die Raketen neuerdings im so genannten Westen (wieder) vermehrt auf .
In Luxemburg-Stadt trifft seit Sommer 2017 der „Weltraum auf die Parkanlage“ (P@L 2/2018), so wie auch in Düsseldorf seit Sommer 2017 sich die Kinder auf den „Weg zu den Sternen“(www.cube-magazin.de/magazin/duesseldorf/artikel/auf-dem-weg-zu-den-sternen; 15. Mai 2019) begeben können. Und „intergalaktischen Spielspaß“ gibt es für die Kinder in Hamburg-Harburg seit Oktober 2018.
Ist das nun reiner Zufall? Oder lässt sich hier womöglich ein neuer Trend hin zum Weltraum ablesen? Falls ja, was hätte uns das nun zu sagen?
Ob wirklicher Trend ja oder nein, die Rakete sei nun der Anlass sich über Vorlieben in der Gestaltung der Spielplätze im Allgemeinen zu machen.
In all der derzeitigen Vielfalt lässt sich mit Sicherheit ein Trend identifizieren: dass Spielplätze meist einem ganz bestimmten Thema gewidmet sind, von der Feuerwehr über die Ritterburg bis hin zum Dschungel.
Vor allem letzterer erfreut sich auffallender Beliebtheit. Kaum eine Stadt, die nicht einen „Dschungelspielplatz“ aufweisen würde. In Berlin gibt es mindestens einen in Berlin-Steglitz, in Saarbrücken lädt der „Kletterdschungel“ zum Spielabenteuer ein und in Hamburg finden sich gleich zwei Dschungel-Spielplätze (im Lindenpark in Altona und in Steilshoop).
Der Dschungel und das All sind zwei Themen, die gegensätzlicher kaum sein könnten. Was einerseits die oben genannte Vielfalt belegt, kann andererseits aber auch dazu dienen, den inneren Widerspruch aufzuzeigen, der dem Kinderspielplatz seit Anbeginn innewohnt.
Während der Kinderspielplatz einerseits Möglichkeiten bereitstellt, die Kinder so ohne ihn nicht hätten, wird der Spielplatz aber auch gerne als eine Art „Notlösung“ für verloren gegangenen natürlichen Spielraum bewertet. Dass aber der Kinderspielplatz bereits entstand, als es noch keinen vermeintlich verloren gegangenen Raum zu ersetzen galt, zeigt, dass der Spielplatz mehr ist als eine „Notlösung“. Er ist Ausdruck von Vorstellungen, die sich eine Gesellschaft hinsichtlich der Erziehung der Kinder macht.
So nimmt es nicht wunder, dass die Geschichte des Kinderspielplatzes in die Aufklärung zurückreicht, jene Epoche, als die Pädagogik als wissenschaftliche Disziplin entstand.
Zunächst ging es beim Kinderspielplatz hauptsächlich um das, was wir heute auch als „Kindergarten“ bezeichnen, um die gemeinsame, öffentliche Erziehung.
Der Kinderspielplatz war der sprichwörtliche Platz, wo die Kinder zusammenkamen. Gestaltungelemente spielten noch keine Rolle. Es ging in erster Linie um den Schutz vor Gefahren, denen die Kinder beim sonstigen Spielen ausgesetzt wären, wie es beispielsweise der Theologe und Pädagoge Peter Villaume (1746 – 1806) 1793 in einer Veröffentlichung vorschlägt:
"In jeder Stadt, in jedem Viertel der größeren Städte wir ein freier, geräumiger Platz sein, der so verzäunt sein muss, dass die Kinder vor Pferden und Wagen und allenfalls auch vor Hunden, wenn man will sicher sind. Ein Vertreter der Stadt führt hier Aufsicht, um allen Schaden und alle Unordnung zu verhüten und im Notfall die Kleinen aufzumuntern, ihnen Spiele vorzuschlagen und ihre Vergnügungen zu dirigieren." (zit. in Hahn-Lotzing 2011: 33).
Dass bei den ersten Spielplätzen aber nicht nur der Schutz FÜR die Kinder im Vordergrund stand, sondern auch der Schutz VOR den Kindern, geht aus einem Bericht über einen der ersten Spielplätze in Deutschland hervor. So berichten beispielsweise die „Lübeckischen Blätter“ im Januar 1827 darüber, dass der „Stadtrath" in Weimar hat etwas einrichten lassen, das besser ist, als ein Tanzsaal, nämlich einen zweckmäßigen, wohleingerichteten Spielplatz für Kinder“. Die „Lübeckischen Blätter“, die keine weitere Beschreibung dieses Spielplatzes liefern, sind aber deswegen von dieser neuartigen Einrichtung so begeistert, weil es nur mit einem Spielplatz möglich sei, den „Kindern das Spielen auf öffentlichen Straßen“ zu verbieten (Lübeckische Blätter 1827,2:18). Nur wenn es die Möglichkeit für die Kinder gebe, weiter zu spielen, würde ein solches Verbot auch tatsächlich Sinn machen.
Es eint alle Initiativpersonen der frühen Spielplätze im 19. Jahrhundert, dass sie den Kindern und Jugendlichen in ihren Augen geeignetere Spiel-Plätze anbieten wollten als Straße und Hof.
In Hamburg richtete beispielsweise ein Zusammenschluss Hamburger Bürger-Vereine an den Senat 1885 die Eingabe, Spielplätze einzurichten mit der Begründung, dass die Jugend in „Gefahr sie, zu verwildern“, weil sie zu „ihrer Erholung meist nur auf den Straßen und Plätzen der Stadt angewiesen sei“ (Zit. in Hahn-Lotzing 2011: 40)
Dass bereits 1909 viele Städte in Deutschland Spielplätze eingerichtet haben, geht aus einer Untersuchung des dänischen Sozialpolitikers Hans Dragehjelm über das „Spielen der Kinder im Sande“ hervor. An all die Städte, die noch keine Spielplätze aufwiesen, richtete Dragehjelm den Appell, „eine so gesunde Zerstreuung zu schaffen, wie sie das Sandspielen bietet“.
War bislang hauptsächlich vom freien Platz die Rede, der nicht genauer beschrieben wurde, kommt mit Dragehjelm bereits ein klassisches Element des Spielplatzes „ins Spiel“, der Sand.
Wer indes damit anfing, Sand auch außerhalb des Strandes zum Spielen zu benutzen, lässt sich nicht wirklich rekonstruieren. Fest steht, dass die internationale Forschung von den „sand gardens“ spricht, die von Deutschland in andere Länder, so in den USA und Japan übernommen worden wären (www.pgpedia.com/s/sand-gardens; 15. Mai 2019).
Was wir heutzutage darüber hinaus mit Kinderspielplätzen verbinden – Geräte aller Art – kam aus zwei verschiedenen Richtungen auf den Spielplatz. Da war der vom so genannten Turnvater Jahn 1811 eröffnete Turnplatz auf der Berliner Hasenheide, auf dem Hangelbögen und Kletterwände zur Bewegung aufforderten.
Bis heute lebt seine Idee auf vielfältige Weise auf Kinderspielplätzen in all jenen Geräten weiter, an denen die Kinder turnen und ihre Körperkoordination trainieren können.
Solche spielplatztypischen Geräte wie Schaukel, Karussell und Rutschbahn haben dagegen eine andere Geschichte. Sie führen in die Parks des Adels, wo in landschaftlicher Umgebung für entsprechende Vergnügungen gesorgt war. Als die einst nur dem Adel vorbehaltenen Parks ab Mitte des 18. Jahrhunderts nach und nach auch dem „gemeinen Volk“ geöffnet wurden, bekamen diese auch Zugang zu den einst adligen Vergnügungsgeräten. Was einerseits zu solchen Vergnügungsparks wie dem Prater und dem Tivoli geführt hatte, bereicherte zunächst im Kleinen auch Gaststätten, und wanderte schließlich weiter auf den Kinderspielplatz.
Bis aber Hangelbogen, Karussell und Schaukel auf dem Kinderspielplatz anzutreffen waren, dauerte es seine Zeit. Lange vor der gegenwärtigen Übernormierung und den oft zitierten Helikopter-Eltern galt es mannigfache Bedenken auszuräumen.
So stimmte zum Beispiel der Hamburger Senat dem oben beschriebenen Anliegen der Bürgervereine 1885 zwar zu, Spielplätze anzulegen, lehnte die Aufstellung „leichter turnerischer Apparate“ aber ab, weil sie „immer einer sachverständigen Beaufsichtigung“ bedürften (zit. in Hahn-Lotzing 2011: 39).
Und noch knapp 70 Jahre später gab es hinsichtlich der Geräte viele Bedenken. So lehnte beispielsweise 1954 das Gartenamt Essen Geräte ab, „die leicht Unfälle verursachen können, wie Rundlauf, Karussell, Wippen, hohe Klettergerüste“. Zur Verwendung kämen lediglich: „Sandkästen, niedrige Balancier-Rundhölzer, Springpfosten, Turnrecks bis 1,40 m Höhe, niedrige Klettertiere, kleine Rutschen aus Eisenrohr.“ (Garten und Landschaft 1954:13).
Dass aber spätestens in den 1960er Jahren Kinderspielplätze mit allerlei Geräten ausgestattet waren, geht aus vielen Quellen hervor. Zeitgenössische Literatur zum Spielplatz zeigt eine Fülle von Spielplatzanlagen, in der Fachzeitschrift „Garten und Landschaft“ inserieren Spielplatzgerätehersteller und Fotos aus den zuständigen Ämtern dokumentieren eine Vielfalt der Gestaltungen, die schon früh über das hinaus gingen, was vor allem seit den 1970er Jahren kritisiert wird: dass sie lediglich eine „heilige Dreifaltigkeit von Rutsche, Klettergerüst und Buddelkasten“(www.dkhw.de/ueber-uns/geschichte/; 15.05.2019) aufweisen würden.
Das Archiv der für Spielplätze zuständigen Umweltbehörde in Hamburg beispielsweise zeigt sehr individuelle Spielplätze. So weisen die Spielplätze oftmals künstlerisch gestaltete Kletterskulpturen auf, so wie sich auf den Spielplätzen auch ausrangierte Fahrzeuge wie Schiffe und Busse finden. Darüber hinaus bieten nicht nur die in den 1960er Jahren so verbreiteten Stahlrohrgeräte Möglichkeiten zum Klettern. Ebenso verbreitet waren auf den Hamburger Spielplätzen Kletterskulpturen aus Holz.
Wurde der Kinderspielplatz bis in die 1970er Jahre generell für gut befunden und für wichtig erachtet, setzt in einer Zeit des allgemeinen gesellschaftlichen Aufbruchs eine kontroverse Spielplatzdiskussion ein, die bisweilen bis heute anhält.
Wenn beispielsweise Reinhard Witt, wie dies in Playground @Landscape (2/2017) beschrieben wird, in seinem in „Stadt + Grün“(2/2017) veröffentlichten Artikel „Naturnahe Spielräume“ fordert, die „Sicherheitsnetze und Ketten der Spielgeräteindustrie“ zu zerreißen, „in denen man psychologisch geschickt eingefangen wird“, dann steckt darin eine Kritik an Geräten, die sozusagen Tradition hat. Eines der unzähligen Beispiele findet sich im 1975 veröffentlichten „Kritischen Spielplatzlexikon“, das zum Stichwort „Gerätespielplatz“ schreibt:
"So werden Fantasie und Kreativität, Eigeninitiative und Aktivität unterdrückt und eine passive Konsumhaltung - „benutzen und verbrauchen!“ - wird andressiert. Langweilige Gerätespielplätze sind kommunikationsfeindlich und aggressionsfördernd." (zit. in Hahn-Lotzing 2011: 62).
Die massive Spielplatzkritik der 1970er Jahre, die den Spielplatz auch gerne als Ghetto bezeichnete, brachte viele Denkanstöße, die bis heute aktuell sind. Eine der damaligen Neuerungen war beispielsweise der Einsatz von Holz als Material für Spielplatzgeräte.
So war die 1967 gegründete Firma „Richter Spielgeräte“ eine der ersten, die ganz bewusst Holz zum Spielplatzbau benutzte. Zum einen, weil es für die Kinder „tastfreundlicher“ als das bis dahin übliche Stahlrohr sei; und zum anderen weil Holz auch ganz andere Spielskulpturen ermögliche.
In einer Anzeige in „Garten und Landschaft“1971 beschreibt Richter Geräte die Philosophie ihrer Spielobjekte:
"Dafür könnten wir natürlich ebenso ein Gerüst von Stangen entwerfen. Aber warum sollten wir das, wenn wir wissen, dass Räume und Baukörper, die dem Kind gehören, von ihm sehr geliebt werden. In allen Häusern der Stadt, seien sie private oder andere, muss das Kind sich nach den Wünschen der Erwachsenen verhalten. In seinen Türmen oder in seiner Burg, in seiner Hütte, in seinem Haus nicht. Hier sind es seine Räume. Sie sind zu klein für Erwachsene und oft schwierig erreichen für diese." (zit. In Hahn-Lotzing: 2011:74).
Ab den 1990er Jahren gibt es weitere Trends, welche die Spielplätze nachhaltig prägen. Neben der Beliebtheit von Seilspielgeräten gibt es kaum einen neu eingerichteten Spielplatz, der nicht mit Elementen aus Robinienholz bestückt wäre. Besonders gerne, wenn der Spielplatz in einem Neubaugebiet entsteht, in dem es ausschließlich schnurgerade Formen gibt (B 23 und 24). Speziell hier wirkt der Spielplatz aus krumm gewachsenem Robinienholz wie der letzte Aufschrei der stillen Sehnsucht nach mehr Natur in der Zivilisation. Dieses zeitlose Unbehagen an der Kultur ist letztlich das, was sich im verbreiteten Motiv des Dschungelspielplatzes Bahn bricht. Diese Sehnsucht nach mehr Natur in der Kultur ist dabei so alt wie der Spielplatz selbst, der ja, wie oben ausgeführt, bis in die Epoche der Aufklärung zurückreicht. Mit der zunehmenden Modernisierung und Technisierung Ende des 18. Jahrhunderts setzte eine Sehnsucht nach einfacheren Zeiten ein. Rousseaus zivilisationsmüder Aufruf „Zurück zur Natur“ ist das berühmteste Beispiel dafür, das bis heute zeitlose Gültigkeit hat.
Während also einerseits die Sehnsucht nach mehr Natur, nach einfacherem Leben konstant präsent ist, so zeitlos ist das Bedürfnis nach Fortschritt. Nicht umsonst gibt es zum einen den ständig zunehmenden Trend hin zur Stadt. Zum anderen werden auch Kindheiten immer weiter pädagogisiert. Kaum ein Kind, das „einfach so“ spielen dürfte. Auch wenn Erwachsene sich gerne an ihre eigene, freie Kindheit erinnern, sind sie doch beständig um die Zukunft ihrer Kinder bemüht und besorgt.
Wenn Spielplätze unter dem Thema „All“ geplant werden, dann ist das zwar einerseits – siehe oben – Ausdruck der großen Vielfalt von Themenspielplätzen. Es lässt sich aber andererseits durchaus auch als Ausdruck für diesen Blick nach vorne lesen. Während das Thema Dschungel die Nostalgie bedient, kommt im All der Fortschrittsgedanke und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft zum Ausdruck. Umso stärker, je mehr die wirklich wilden Plätze jenseits der angelegten Dschungelspielplätze in unseren Städten immer weniger werden und wir immer dichter zusammen leben. Was liegt da näher als zu sagen: „Auf zu den Sternen“?
Literaturhinweise:
Boym, Svetlana: The Future of Nostalgia. New York 2001.
Dragehjelm, Hans: Das Spielen der Kinder im Sande. Leipzig 1909.
Hahn-Lotzing, Darijana: Spuren im Sand – oder: der Kinderspielplatz als Indikator der Gesellschaft. Aachen 2011.
Spitzer, Klaus / Günter, Janne und Roland (Hg.): Spielplatzhandbuch. Kritisches Lexikon. Berlin 1975.