Von Christian Freudrich (Dipl.- Ing. (FH) Landespflege), Stadtverwaltung Görlitz)
Die Entstehung von individuellen Spielangeboten ist in der Stadt Görlitz eng mit der Entwicklung der öffentlichen Grün- und Parkanlagen verbunden. Mit dem Beginn der Industrialisierung entwickelte sich Görlitz auch zu einer beeindruckenden Parkstadt, wodurch Spielräume für Kinder entstanden.
Bereits mit der gärtnerischen Gestaltung der einstigen Viehweide zum heutigen Stadtpark ab 1829 werden Aufenthaltsbereiche für Kinder genannt. Nachweislich ist ab 1840 ein den Kleinen zugewiesener, mit Reifen eingefriedeter „Kinderplatz“ überliefert. Über einhundert Jahre später wurde zum Internationalen Kindertag im Jahr 1979 eine durch den damaligen VEB (K) Stadtgrün selbst entworfene und gebaute Kletterkombination eröffnet. 1991 folgte die bis dahin einmalige, individuelle Herstellung einer Spiellandschaft aus der Feder der Künstlerischen Holzgestaltung Jürgen Bergmann. Die einzigartigen Spielkombinationen und Kletterfiguren sind dank einer grundhaften Erneuerung im Jahr 2010 bis heute ein Höhepunkt innerhalb der Görlitzer Spielplatzlandschaft.
Heinrich Diekmann, Görlitzer Gartendirektor in den Jahren 1913 bis 1932 schrieb über einen im Zuge der gärtnerischen Gestaltung des Ölberggartens im Jahr 1923 entstandenen Spielplatz: „Der Spielplatz ist für Kleinkinder konzipiert, die ohne öffentliche Fürsorge leicht in dumpfen Wohnungen verkommen.“ Eine Wippe, ein Sandkasten und ein Unterstellhäuschen gehörten zu den Spielangeboten dieser Zeit, die dem dringenden Bedarf und dem damaligen Verständnis nach Freiräumen für Kinder inmitten der Enge der Stadt entsprachen sowie individuell mit den zur Verfügung stehenden Mitteln hergestellt wurden.
Situation heute
Neben der Beschaffung der finanziellen Voraussetzungen für Bau und Unterhalt der öffentlichen Spielplätze in Görlitz, gehören im Hinblick auf die Entwicklung einer vielfältigen Spielplatzlandschaft die fehlende Flächenverfügbarkeit für bestimmte Angebote und die bis heute ungleichmäßige Verteilung der Spielplätze innerhalb des Stadtgebietes zu den großen Herausforderungen. Schaut man auf die aktuell erarbeitete Bedarfsermittlung, so werden zu den vorhandenen 43 Spielplätzen weitere fünf bis sechs Spielplätze mittlerer Größe vorwiegend in der Görlitzer Alt- und Innenstadt benötigt.
Eine Möglichkeit, um vorhandenen Defiziten zumindest teilweise zu begegnen, sehen wir in der Schaffung unterschiedlicher und häufig auch individuell hergestellter Spielangebote mit hohem Spielwert und großer Erlebnisdichte. Bei Sanierung oder Neubau wird jeweils situationsbedingt geschaut, mit welchen Mitteln das für alle Kinder beste Angebot entstehen kann. Die Beteiligung am Planungsprozess und die Erarbeitung einer individuellen Aufgabenstellung mit Kindern und Eltern gemeinsam, sind dabei wichtige Voraussetzungen zur Schaffung spannender Freiräume geworden. Auf das gesamte Stadtgebiet bezogen, soll dabei eine vielfältige und bunte Spiellandschaft mit unterschiedlichen Materialien, Spielthemen und ganzheitlichen Angeboten entstehen.
Ein Beteiligungsprozess mit Kindern kann zum Ergebnis führen, dass die freiraumplanerische Aufgabe des Spielplatzbaus unter Berücksichtigung von Standardgeräten erfüllt wird. Sehr oft werden jedoch durch die Kinder phantasiegeladene und einzigartige Angebote und Orte gewünscht, die sich ausschließlich durch den Bau individueller Spielgeräte realisieren lassen. Mit Blick auf die Kinderwünsche und die daraus resultierende Aufgabenstellung, haben wir uns beim Bau individueller Spielangebote seit einigen Jahren zur Durchführung von Realisierungswettbewerben entschieden.
Ausschreibung und Vergabe individueller Spielangebote
Als bewirtschaftendes Amt sind wir für die Entwicklung und die Bewirtschaftung der vorhandenen öffentlichen Spielplätze der Stadt Görlitz verantwortlich. Gerade im Hinblick auf den Bau individueller Spielangebote beschäftigt uns seit langer Zeit die Frage, wie durch ein mit dem Vergaberecht konformes Ausschreibungsverfahren das für die Kinder „beste“ Spielangebot ermittelt werden kann. Bereits vor zehn Jahren gab es Überlegungen und Versuche, die Wirtschaftlichkeit eingereichter Angebote nicht ausschließlich über den Angebotspreis sondern mithilfe weiterer Kriterien zu ermitteln.
Als Messgröße für die Bewertung der Wirtschaftlichkeit kann in den unterschiedlichen Vergabearten (entsprechend Schwellenwert öffentlich, beschränkt oder freihändig) eine Kostenobergrenze festgesetzt und den Wettbewerbsteilnehmern mitgeteilt werden.
Auf der Grundlage der Leistungsbeschreibung, werden die Bieter zur Erarbeitung ihrer Spielidee aufgefordert. Dieses Angebot soll ein Maximum an Spielwert, Inklusion, Spielfunktionen, Erlebnisdichte, Design usw. beinhalten. Das Ziel ist, dass bei vorgegebenem „Aufwand“ (Kostenobergrenze) durch die Bieter ein möglichst großer „Ertrag“ (angebotene Spielidee) angeboten wird.
Möglichkeiten gem. VOB/ A zur Festlegung einer Kostenobergrenze und die Festlegung von Zuschlagskriterien
Gemäß § 16 d Abs. 1 Nr. 4 VOB/A (2019) ist der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen.
Grundlage dafür ist eine Bewertung des Auftraggebers, ob und inwieweit das Angebot die vorgegebenen Zuschlagskriterien erfüllt.
Das wirtschaftlichste Angebot bestimmt sich nach dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis.
Zu dessen Ermittlung können neben dem Preis oder den Kosten auch qualitative, umweltbezogene oder soziale Aspekte berücksichtigt werden.
Des Weiteren ist nun seit 2019 in Abs. 1 Nr. 7 § 16d neu festgelegt worden, dass vom Auftraggeber auch Festpreise oder Festkosten vorgegeben werden können, sodass der Wettbewerb nur über Qualitätskriterien stattfindet.
Auszug aus der Bekanntmachung der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A (VOB/A) . Ausgabe 2019
Nach formaler Prüfung der eingereichten Angebote trifft sich eine Jury, die anhand der erarbeiteten Wertungskriterien eine Zuschlagsempfehlung erarbeitet. Die Jury setzt sich hier in Görlitz aus Fachkollegen der Verwaltung, Pädagogen der offenen Kinder- und Jugendarbeit, Eltern, Bürgerräten und Stadtratsmitgliedern zusammen. Die personelle Besetzung der Jury wechselt entsprechend der Projekte regelmäßig. Die eingereichten Arbeiten werden in anonymisierter Form den Jurymitgliedern anhand der im Verfahren geforderten Unterlagen, wie Entwurfsdarstellungen, Schnitte, Modelle, verbale Beschreibungen u.a. vorgestellt. Im Anschluss erfolgt eine individuelle Bewertung durch jedes Jurymitglied anhand einer erarbeiteten Matrix. Die einzelnen Kriterien sind zum besseren Verständnis mit Unterkriterien versehen und anhand der vorgegebenen Wichtung mit Punkten zu bewerten. Um Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Bewertung zu ermöglichen, ist mit der jeweiligen Punktvergabe auch eine verbale Begründungen ausdrücklich erwünscht.
Der Bieter, welcher im Ergebnis der ausgewerteten Bewertung bestmöglich die Zuschlagskriterien erfüllt und die höchste Gesamtpunktzahl erzielt, hat für den Auftraggeber in diesem Verfahren das wirtschaftlichste Angebot eingereicht und erhält den Zuschlag für den Spielplatzbau.
Anhand folgender Zuschlagskriterien kann das wirtschaftlichste Angebot durch eine Jury ermittelt werden.
Signalwirkung durch Farbakzente und/ oder Baugröße
Formgebung (kantig-schief oder streng formal)
Gestalterischer Gesamteindruck
Wichtung 15%
Tabelle: Bewertungskriterien für eine Juryentscheidung zum individuellen Spielplatzbau in Görlitz. Die Kriterien und deren Wichtung sind projektbezogen variabel.
Kinder können mitreden
Eine Besonderheit von Realisierungswettbewerben mit Juryentscheidungen ist die Einbeziehung der Kinder, die bereits an der Aufgabenstellung für das Spielplatzprojekt mitgearbeitet haben. Die Kinder haben im Vorfeld der Entscheidung durch die Erwachsenen die Möglichkeit, ihre eigene Wertung vorzunehmen. Dabei werden die Arbeiten den Kindern in einer einfachen und verständlichen Weise präsentiert. Es ist spannend zu beobachten, zu welchem Gesamtergebnis die Kinder in ihrer Betrachtung kommen und welche Arbeit die meisten Klebepunkte erhält. Das Ergebnis wird den Erwachsenen mitgeteilt, hat jedoch bisher noch keinen direkten Einfluss auf die Entscheidung.
Fazit
In Görlitz haben die zurückliegenden Juryentscheidungen einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung vielfältiger und spannender Spielräume geleistet. Die Möglichkeit dieser Form des Wettbewerbes stößt auch bei den Spielplatzbauern auf großes Interesse. Hinsichtlich der Wertungskriterien wird zukünftig die Frage nach inklusiven Spielangeboten verstärkt in den Blick zu nehmen sein, so dass der Weg zum Spielplatz für alle weiter gegangen werden kann.
Weitere Informationen:
Stadtverwaltung Görlitz, Amt 68/ SG Straßenbau und Stadtgrün, Herr Christian Freudrich, Hugo-Keller-Straße 14 / 02826 Görlitz, www.goerlitz.de
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