Inklusion ist Teilhabe: Partizipative Formen des Planens mit Menschen mit Behinderung
Von Professorin Sonja Hörster (Institut für Partizipatives Gestalten GmbH)
Wäre es eine Selbstverständlichkeit, dass sich Menschen mit ihren individuellen Fähigkeiten und Einschränkungen frei an der Gestaltung ihres eigenen Lebensumfeldes und -alltags beteiligen könnten, so bräuchte es weder spezielle Inklusionsprojekte noch Literatur zu der Thematik.
Jede Fachrichtung blickt aus einer speziellen Perspektive auf ein Thema. Inklusion wird im Bereich der räumlichen Planung – Architektur, Freiraumplanung oder auch Innenarchitektur – oft vor allem mit dem Thema „Barrierefreiheit“ gleichgesetzt. Barrierefreie Räume, verstanden als gebaute Freiräume und Gebäude, können entstehen, indem Fachplaner*innen diese in ihren Büros entwerfen. Ist eine solche Planung inklusiv?
Bei der Gestaltung von Räumen geht es im besten Fall um die Frage, was die Qualität eines Raumes ausmacht. Planer*innen suchen in ihrer Arbeit nach Entwurfslösungen, die dazu beitragen, dass sich Menschen im gestalteten Raum lebendig fühlen und ihre eigenen Potentiale entfalten können. Orte, an denen Einschränkungen kein Problem, sondern eine individuelle Besonderheit sind; in denen alle Menschen Teil dieser Räume sind.
Auch wir sind über das Thema der fehlenden Barrierefreiheit dazu gekommen, uns intensiv mit Inklusion zu beschäftigen. In unserem Projekt „Gut Sannum – Freiraum für Alle!“ hatten wir das Glück, durch die Offenheit der Einrichtungsleitung in einen
partizipativen Gestaltungsprozess zu geraten, der weit über die ursprüngliche Aufgabe hinausreichte. Anstatt lediglich gemeinsam barrierefreie Freiräume zu entwerfen, haben Menschen mit all' ihren Einschränkungen und Fähigkeiten über mehrere Jahre hinweg miteinander in einer unausgesprochenen Selbstverständlichkeit einen Ort geschaffen, der heute im ganzen Landkreis als geschätzter Ausflugsort bekannt ist.
Die Kraft des Gebauten
Barrieren im Kopf, Barrieren im Raum
Wie in Sannum auch, ist für viele Menschen mit körperlichen, geistigen oder seelischen Einschränkungen ihr Lebensalltag in Deutschland immer noch durch spezielle Einrichtungen geprägt. Menschen mit Behinderungen leben in Behindertenwohnheimen, lernen in Förderschulen und arbeiten in speziellen Werkstätten.
Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen sind dabei oftmals ein in sich relativ geschlossenes System und werden „von Außen“ auch so wahrgenommen. Ein Austausch zwischen diesen Einrichtungen bzw. den Menschen, für die sie geschaffen wurden, und der Öffentlichkeit findet zu wenig statt.
Neben der auf eine zunehmende Inklusion abzielenden ambulanten Betreuung von Menschen mit Behinderungen, stellen sich viele Förder- und Wohneinrichtungen vermehrt die Frage, wie sie sich offener gestalten können, um dem Wunsch nach einem Mehr an Inklusion nachzukommen.
Betrachtet man die relative Kontinuität der systematischen Ausgrenzung von Menschen mit Behinderungen in der Geschichte der letzten Jahrhunderte, so hat in den vergangenen 70 Jahren ein intensiver Prozess des Umdenkens zum Thema
Behinderung stattgefunden. Nach einer langen Phase der Ausgrenzung und dem darauffolgenden Anspruch nach Integration von Menschen mit Behinderungen in die „Normal-Gesellschaft“ lautet unsere gesellschaftliche Erkenntnis heute, dass die Grundlage jeder Gesellschaft Diversität ist, die in einem Alltag mit allen gelebt werden soll. Behinderung ist kein rein individuelles Phänomen mehr, sondern tritt erst in Kombination mit baulichen sowie geistigen Barrieren in unseren Köpfen zutage. Ob Inklusion oder Konversion, das Ziel ist das Gleiche: Wie können wir die Barrieren in unseren Köpfen auflösen, sodass wir uns alle ganz selbstverständlich dieser Gesellschaft zugehörig fühlen und es auch faktisch sind?
Heute fragt man sich, wie es möglich ist, dass selbst Behinderteneinrichtungen teilweise nicht barrierefrei gebaut sind. Neben der fehlenden Barrierefreiheit versprühen viele Einrichtungen den Charme eines Krankenhauses, es fehlen wohnliche Aufenthaltsqualitäten. Die Atmosphäre ist oft wenig lebendig und Außenstehende finden kaum Möglichkeiten, an die Welt innerhalb der Einrichtung anzuknüpfen. Deutlich wird hier: Denknormen der Vergangenheit drücken sich in unserer gebauten Umwelt aus. Die Welt, wie wir sie einmal gedacht haben, bestimmt viele der Räume, in denen wir uns heute aufhalten und die unser Leben prägen. Unsere Gebäude und unsere Freiräume entstammen zumeist einer Zeit, die unserem heutigen Wunsch, eine inklusive Gesellschaft sein zu wollen, nicht entsprechen. Die Aufgabe, Gebäude und Freiräume neu zu gestalten, birgt die große Chance, neuen Denkweisen Form zu geben und auch dadurch inklusives Verhalten zu fördern.
Gut Sannum – Freiraum für Alle
Eine Planungswerkstatt bringt unerwartete Ideen
Auch die Einrichtung der Stiftung Gertrudenheim, die in Sannum am Rande der Wildeshauser Geest in einer reizvollen Landschaft liegt, litt an ihrer fehlenden Barrierefreiheit und dem vorherrschenden Charme eines in die Jahre gekommenen Ortes. Die Einrichtung – damals noch „Haus Sannum“ genannt – ist ein Wohnheim und Arbeitsort für 120 erwachsene Menschen mit einer geistigen, seelischen oder mehrfachen Behinderung.
Im Herbst 2010 führten wir hier eine 3,5-tägige Planungswerkstatt zur Neugestaltung der Freiräume mit 22 Bewohner*innen, Mitarbeiter*innen, der Leitung der Einrichtung sowie der Geschäftsführung des Trägerverbandes vor Ort durch. Die Idee war bei einer gemeinsamen Erkundungstour über das Gelände entstanden. Der Besuch des Sommerfestes hatte uns auf die Idee gebracht, den Einrichtungsleiter anzusprechen. Unser Vorschlag, in einer Planungswerkstatt zusammen mit Vertreter*innen aller Perspektiven zu arbeiten, stieß auf Begeisterung.
Die ersten beiden Tage während der Planungswerkstatt lernten wir gemeinsam als Gruppe, Sannum mit neuen Augen zu sehen und aus planerischer Sicht kennenzulernen. Wir zeigten uns gegenseitig unsere Lieblingsplätze, führten Beobachtungsgänge durch und arbeiteten an Gestaltungsaufgaben, die uns als Gruppe relevant erschienen. Das Einnehmen von unterschiedlichen Perspektiven wie z.B. Sannum aus der Perspektive von Menschen mit Behinderungen, Sannum als Ort für Mitarbeiter*innen, Sannum aus Sicht von Tieren sowie aus Sicht – bisher zumeist vorbeiradelnder – Tourist*innen zeigte sich hierbei als sehr hilfreich.
Nach zwei Tagen gemeinsamer Auseinandersetzung mit dem Ort und der Einrichtung verband uns alle der Wunsch, Sannum aus seinem etwas angestaubten Dornröschenschlaf zu wecken und in seiner potentiellen Qualität stärker sichtbar werden zu lassen: für alle, die in Sannum leben und arbeiten, genauso wie für alle Menschen, die Sannum besuchen. Das ging über die ursprüngliche Intention der Planungswerkstatt, an der Barrierefreiheit der Außenanlagen zu arbeiten, weit hinaus. Wir beschlossen, gemeinsam nach einem Motto zu suchen, welches die Qualität von Sannum zum Ausdruck bringen sollte.
Die Motto-Suche begann mit dem Austausch und Sammeln aller Worte und Vorschläge, die in den verschiedenen Köpfen entstanden waren. Das war zäh und schwierig. Nach und nach näherten wir uns dem Kern dessen, was wir während der vergangenen zwei Tage (und zwei Nächte) in der Auseinandersetzung mit Sannum als Ort und als Einrichtung, als wesentlich wahrgenommen hatten. Die Begriffe verdichteten sich nach und nach. Das Motto „Gut Sannum – ein Ort für Alle“ schien unter allen Vorschlägen am treffendsten. Doch irgendetwas stimmte noch nicht, die Gruppe wirkte noch nicht wirklich zufrieden. Die Atmosphäre war nach wie vor angespannt, die Arbeit anstrengend. Erst durch den Vorschlag, das Wort „Ort“ durch „Freiraum“ zu ersetzen, sodass das Motto nun „Gut Sannum – Freiraum für Alle“ hieß, machte sich Entspannung breit: Plötzlich wurde wieder gelacht, Nebengespräche begannen sich zu entwickeln, Kaffee wurde nachgeschenkt, die Toilette wurde aufgesucht. Der Durchbruch war merklich geschafft, alle wollten schnell mit der Arbeit weitermachen. Das Motto war gefunden.
Die nun startende konkrete Planungsarbeit fand in einem fast als rauschhaft zu bezeichnenden Arbeitsmodus statt. Es bildeten sich Planungsgruppen nach Interesse, die sich mit verschiedenen Teilbereichen wie z.B. den Höfen, dem Garten, den Wegen, aber auch dem Gesamtkonzept auseinandersetzten. In den Planungsgruppen spielte es keine Rolle mehr, ob man Planer*in, Mitarbeiter*in, Bewohner*in oder Leitung war. Die Ergebnisse, die so entstanden, bildeten die Grundlage für das Gesamtkonzept, was im Nachgang von uns als Planungsbüro professionell erarbeitet wurde. Dieses Gesamtkonzept ermöglichte es uns, zusammen mit dem Träger und der Einrichtung über die folgenden vier Jahre Fördergelder im hohen sechsstelligen Bereich einzuwerben und somit das Konzept zu einem großen Teil umzusetzen sowie weitere Projekte auf den Weg zu bringen.
Zwei Seiten einer Münze: Gestaltung und Prozess gehören zusammen
Die Erfahrungen, die wir in Sannum gemacht haben, führten zu einer einfachen Erkenntnis: Inklusion entsteht durch Inklusion. Inklusive, lebendige Räume entstehen durch inklusive, lebendige Prozesse. Partizipative Formen des Planens, in denen alle interessierten Akteure mit ihren jeweiligen Fähigkeiten, ihrem Wissen und ihren Perspektiven zu einer Lösung beitragen können, sind eine passende Arbeitsform. Inklusive Prozesse müssen Anstoß zu Haltungsänderungen und baulichen Maßnahmen zugleich geben. So führen sie zu mehr Lebensqualität. Mitwirkende erfahren sich als Teil eines gemeinsamen Entwicklungsprozesses in ihrer Selbstwirksamkeit, erleben das gebaute Resultat und die daraus erneut entstehende Wirkung von größerer Barrierefreiheit und Inklusion.
So hat die Planungswerkstatt in Sannum und das dort gefundene Motto „Gut Sannum – Freiraum für Alle!“, welches zugleich vielschichtig, sehr einfach und gut verständlich ist, einen Prozess in Gang gesetzt, der bis heute andauert. Einen Prozess, der das Verständnis für Inklusion durch Inklusion schärft, der Zwischenzustände akzeptiert, nicht Perfektes zulässt, Dinge neu definiert und Grenzen verschiebt. Er zeigt auf, was gelebte Inklusion bedeuten kann.
Die bauliche Öffnung der Freiflächen hat zu einem stärkeren Kontakt mit den vorbei radelnden Tourist*innen geführt, die das Café Sannum besuchen, im Senkgarten spazieren gehen oder den Naturerlebnispfad erkunden. Die Gemeinde richtet zusammen mit Gut Sannum Feste auf dem nun zugänglichen Hof aus. Der Kontakt zwischen Besucher*innen und Sannumer*innen ist selbstverständlicher geworden.
Über die vergangenen Jahre sind einige der Mitmacher*innen aus der Einrichtung selbstbewusster geworden. Exemplarisch äußerte einer der Mitstreiter, dass die Neugestaltung und damit einhergehende Wahrnehmung von Sannum von vielen als starke Wertschätzung empfunden werde, die er die ganzen 20 Jahre zuvor nicht erlebt habe. Ein junger Mann, der sich an allen Workshops und Bauaktionen beteiligt hatte, erlebte eine solche Selbstbewusstseinserweiterung, dass er bei der Eröffnungsfeier vor 250 geladenen Gästen auf der Bühne über seine Erfahrungen berichtete.
Das Erleben der eigenen Selbstwirksamkeit konnte dabei auf verschiedene Arten gemacht werden: So entwickelten manche Bewohner*innen mit uns zusammen in verschiedenen Werkstätten die Konzepte zur Freiraumplanung, zum barrierefreien Orientierungssystem für Sannum oder zum Naturerlebnispfad. Andere wiederum, ermutigt durch die einladende Atmosphäre, fingen während der Bauphasen an, dem beauftragten Bauunternehmen zur Hand zu gehen. Sie wurden freundlich in das Bauteam aufgenommen und lernten beispielsweise durch das praktische Ausführen Pflastertechniken, die sie seitdem im Gebrauch erleben und stolz präsentieren können.
Auch der Spielplatz auf dem Hof wurde durch ein Bauteam aus Fachleuten, Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen in zehn Tagen gebaut. Der Spaß an dieser Arbeit war so groß, dass das Bauteam beständig wuchs und zum Schluss sogar an Kapazitätsgrenzen stieß. Der Spielplatz, der Besucher*innenkinder ermöglicht, auf dem Hof zu spielen, ist eine Einladung, miteinander in Kontakt zu treten und zugleich gebaute Erinnerung an einen gemeinsamen Prozess, indem das gemeinsame Erleben und das fertige Ergebnis eine große Rolle gespielt hat, wie auch die persönliche Kompetenz, die jeweils individuell eingebracht wurde.
Das Motto „Gut Sannum – Freiraum für alle!“ brachte dabei eine Qualität zum Vorschein, die in Sannum schon seit über hundert Jahren zu finden ist. Anstatt den Einrichtungsaspekt, der mit dem Namen „Haus Sannum“ hervorgehoben wurde, weiter zu betonen, fand eine Hinwendung zur Betrachtung von Sannum als ein seit langer Zeit landwirtschaftlich geprägter Gutshof statt. Diese Vorstellung trifft auch heute noch zu: Hier arbeitet und wohnt eine große Gemeinschaft an einem Ort, der durch Gärtnerei, Landwirtschaft, Handwerk und Kontakt mit Natur vielfältige Möglichkeiten für ein gesundes, aktives und abwechslungsreiches Leben bietet. Der Zusatz „Freiraum für Alle“ weist auf Sannum als einen Ort der Begegnung hin, der Begleitung und der persönlichen Entfaltung, je nach den individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten jedes Einzelnen von uns. Für Menschen mit und ohne Behinderungen und für Menschen jeden Alters.
Auf diese Weise wird die Verkörperung der inklusiven Idee zum Ausdruck gebracht. Es wurde ein Prozess in Gang gesetzt, mit dem zu Beginn niemand gerechnet hatte. Das Motto wurde von allen, die davon erfuhren, als so treffend empfunden, dass die Einrichtung innerhalb von wenigen Wochen offiziell umbenannt wurde. Aus „Haus Sannum“ wurde „Gut Sannum – Freiraum für Alle!“
Adler steigen keine Treppen: Partizipative Formen des Planens
Partizipative Verfahren können mehr oder weniger inklusiv angelegt sein und damit sehr unterschiedliche Grade von Teilhabe ermöglichen. Das Format und die Methoden bestimmen, wer mit welchen Fähigkeiten und Kompetenzen mitwirken kann. Der Einbezug aller, möglich gemacht durch eine kontextbezogene Verfahrensgestaltung, bestimmt die Teilhabequalität des jeweiligen Verfahrens.
Arbeitsformate, die vor allem auf eine Methode fokussieren, grenzen all diejenigen aus, die diese Methode nicht gut beherrschen. So können beispielsweise Menschen, zu deren Stärke Sprache nicht zählt, nur schwerlich an Veranstaltungen teilnehmen, deren Schwerpunkt auf verbaler Interaktion liegt. Partizipation in Form von Runden Tischen oder anderen Dialogveranstaltungen sind aus diesem Blickwinkel betrachtet ungeeignet.
Über das „Zuhören“ und „Miteinander Reden“ hinaus kann Beteiligung kollaborativ, also als „Zusammenarbeit“, organisiert werden. In Planungs- und Entwurfswerkstätten werden Akteure mit unterschiedlichem Fach- und Erfahrungswissen zusammengebracht. Es entstehen gemeinsam entwickelte Planungen, Entwürfe und Konzepte als konkrete und realisierbare Lösungen für die jeweilige Aufgabe.
Auch hier gibt es Phasen, in denen Teilnehmende informiert werden oder sie sich dialogisch beteiligen können. Darüber hinaus wird aber auf Ebenen zusammengearbeitet, die nicht nur sprachlich funktionieren: zeichnen und malen, draußen Spazieren gehen, Eindrücke sammeln und beobachten, das Bauen von
Modellen, mit verschiedensten Materialien etwas herstellen oder auch einfach nur dabei sein und durch Anwesenheit wirken. Schon manches Mal haben wir erlebt, dass sich ausschließlich über die Körpersprache eines Teilnehmenden etwas ausdrückte, das eine*n aufmerksame*n Beobachter*in oder sogar die ganze Gruppe auf unverhoffte Ideen gebracht hat.
Genauso wie wir als Menschen aus verschiedenen Perspektiven auf ein und dieselbe Sache blicken, benötigen wir unterschiedliche Zugänge, um zur Lösung eines Problems beitragen zu können. Während die eine von uns gerne nachdenkt oder über Recherche neue Inspiration gewinnt, so zeichnet der andere gerne oder nimmt Eindrücke unmittelbar auf, z.B. durch Gespür und Imagination von Bildern. Jeweils alleine für sich genommen, erhält man lediglich einen begrenzten Eindruck. Im multiperspektivischen Austausch dieser Erfahrungen verdichten sich die zunächst losen Fäden jedoch nach und nach zu einem Strang, der auf eine Lösung weist, der alle zustimmen können.
Diese Form der Zusammenarbeit stellt die intensivste Form der Beteiligung dar. Sie akzeptiert und arbeitet gleichzeitig auf der sprachlichen, sensorischen, emotionalen und kreativen Ebene. Sie erkennt an, dass Räume nicht ausschließlich dialogisch, sachlich oder technisch zu ergründen sind, sondern in ihrer Gesamtheit aus vielen Aspekten bestehen: Strukturen, Elementen, Materialien, Texturen, Geschichten, Menschen, Tieren, Pflanzen und wiederkehrenden Ereignissen. All' das lässt einen räumlichen Kontext, ein Feld entstehen.
Dieses Feld lässt sich gemeinsam erkunden, verstehen, in seiner Komplexität intuitiv erfassen und auch verändern. Es drückt sich in der Atmosphäre vor Ort aus, die wir beschreiben können und die wir als mehr oder minder positiv oder auch lebendig wahrnehmen. An Verfahren, die die verschiedenen Aspekte des Kontextes in den Blick nehmen und daher eben auch auf verschiedenen Ebenen angelegt sind, können alle Menschen aktiv teilnehmen.
Gebauter Raum: Ausdruck von Haltung
Die Idee einer inklusiven Gesellschaft muss vielerorts praktisch und alltäglich erprobt werden. Das ist ein schwieriger und auch zeitintensiver Prozess. Partizipation, verstanden als gemeinsamer Teilhabeprozess, ist in sich eine inklusive Form, wie Objekte, Räume oder Abläufe geplant werden können.
Die Gestaltung von Orten spielt dabei eine wichtige Rolle. Wie Räume konzeptionell und materiell ganz selbstverständlich barrierefrei gestaltet werden können, um der öffentlichen Zugänglichkeit für Alle gerecht zu werden, ist eine zentrale Frage. Bei der Gestaltung von Umwelt für Menschen mit sehr unterschiedlichen Teilhabebedürfnissen geht es nicht darum, einen Normenkatalog zu erweitern und anschließend anzuwenden. Es geht vielmehr darum, sich von dem Bild einer Nutzer*in, die normiert gedacht werden kann, zu verabschieden und für die Vielfalt zu gestalten.
Wer im Alltagsverständnis von der Norm abweicht, gilt bei unreflektierter Einordnung als „behindert“ – eine Sicht, die trotz entsprechender Aufklärung immer noch stark verbreitet ist. Partizipationsprozesse, in denen Menschen aus verschiedenen Lebenswirklichkeiten an einer Aufgabe zusammenarbeiten können und Diversität als Potential begriffen wird, tragen nicht nur dazu bei, bauliche Barrieren zu beheben. Sie helfen durch praktisches Erleben, Barrieren im Kopf zu beseitigen. Das macht Spaß, stärkt die Eigenermächtigung der mitwirkenden Menschen und fördert die Entdeckung sich überschneidender Interessensgemeinsamkeiten. Inklusive Partizipation bringt so nicht nur stimmige Ergebnisse hervor, sondern fördert strukturelle Veränderungen auf dem Weg zu einer barrierefreien Zivilgesellschaft.
In Sannum ist die Veränderung nicht nur baulich zu erkennen. Die Öffnung ist zu spüren und schlägt sich in der hohen Anzahl an Besucher*innen nieder, die den Senkgarten, das Café, den Hof, die Wanderwege und die Produkte zu schätzen wissen. Die öffentliche Anerkennung und Wahrnehmung durch Gemeinde und Touristen ist enorm und erfreut alle Seiten. Die Haltung, Andersartigkeit als selbstverständlichen Teil des Lebens anzuerkennen und zu würdigen, lädt dazu ein, sich in der eigenen Andersartigkeit zu entspannen – einen eigenen Freiraum zu erkunden, ein Stück mehr zu zeigen als anderswo. Das ist eine attraktive Qualität. Die Gärtnerin von Sannum drückte es vor einiger Zeit passend aus: „Sind wir nicht alle ein bisschen Sannum?“ Das ist zu hoffen!
Quellen
Stephani, V.: Design for ability. Behinderung, Inklusion und Partizipation.
Unveröffentlichte Diplomarbeit im Produktdesign. Bauhaus Universität Weimar. Weimar 2012.
Autorin
Sonja Hörster, Dipl. Ing. (FH) Landschaftsarchitektin. Mitgründerin und Geschäftsführerin des Instituts für Partizipatives Gestalten (IPG). Sonja Hörster arbeitet seit über 20 Jahren als Planerin, Moderatorin und Begleiterin partizipativer Gestaltungsprozesse im Themenfeld räumlicher Planung. Seit 2010 begleitet sie mit ihrem Team verschiedene Einrichtungen der Wohlfahrtspflege bei der inklusiven Entwicklung und Umsetzung von ganzheitlichen und barrierefreien Gesamtkonzepten.
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