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Internationales Fachmagazin für Spiel-, Sport- und Freizeitanlagen

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15.10.2020 - Ausgabe: 5/2020

Bewegung vom Kind bis ins hohe Alter

Von PD. Dr. Monika Siegrist, Nina Schaller (Lehrstuhl für Präventive und
Rehabilitative Sportmedizin, TU München) / Prof. Dr. med. Martin Halle
(Präventive Sportmedizin und Sportkardiologie Universitätsklinikum
rechts der Isar, Technische Universität München)

Photo
© Jörg P. Urbach (KWA) und Hags mb Spielidee GmbH

Die World Health Organization (WHO) empfiehlt, sich jeden Tag mindestens eine Stunde körperlich zu betätigen. Über 80 Prozent aller Jugendlichen weltweit schaffen das einer Studie zufolge jedoch nicht. Ein Grund soll die digitale Revolution sein. Univ.-Prof. Martin Halle setzt sich für mehr Bewegung ein: vom Kind bis ins hohe Alter. Außerdem fordert er mehr Unterstützung durch die Städte und Gemeinden - etwa durch das Öffnen der Schulhöfe bis zum Abend sowie mehr kostenfreie Sportmöglichkeiten und Sportplätze mit Tischtennisplatten, Basketballplätzen etc. „Davon haben wir viel zu wenig!“

 

Viele Kinder bewegen sich zu wenig. Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass sich viele Kinder weltweit und auch in Deutschland zu wenig bewegen. Insbesondere in den Industrienationen müssen die wenigsten Kinder einen längeren Fußweg zurücklegen, um in die Schule zu kommen, sondern fahren mit dem Bus oder der Bahn bzw. kommen mit dem Eltern-Taxi zur Schule. Damit fällt bereits ein wichtiger Teil der regelmäßigen körperlichen Aktivität – die Aktivität im Alltag – weg.

Parallel dazu geht auch das freie Spielen am Nachmittag an der frischen Luft bei vielen Kindern zurück. Dies liegt zum Teil daran, dass immer mehr Kinder den ganzen Tag in der Schule, in der Kita oder im Hort verbringen. Zusätzlich trägt auch das vielfältige Angebot an digitalen Medien wie Fernsehen, Computer, Handy und Internet, dazu bei, dass Kinder immer mehr Zeit sitzend verbringen und nicht mehr nach draußen gehen, mit Freunden spielen oder regelmäßig Sport treiben. Auch die zunehmende Berufstätigkeit von beiden Elternteilen trägt dazu bei, dass Kinder weniger Zeit im Freien verbringen, da viele Eltern Angst haben, dass den Kindern etwas passieren könnte, während sie noch in der Arbeit sind. Bei einem Teil der Kinder fehlen auch attraktive Bewegungsräume, die zum Spielen, Toben und Sport treiben im Freien motivieren. Dies trifft besonders auf Kinder in Großstädten zu, denen häufig naturnahe Bereiche oder frei zugängliche Bewegungs- und Sportangebote im Wohnumfeld fehlen.

 

Bedeutung von Bewegung für eine gesunde und ganzheitliche Entwicklung von Kindern

Bewegung spielt eine zentrale Rolle in der ganzheitlichen Entwicklung von Kindern. Bereits ab der Geburt erobern sich die Kinder über das Sitzen, Stehen und Laufen lernen Schritt für Schritt ihre Umwelt von der Wohnung über das nahe Wohnumfeld bis hin zur Selbständigkeit. Vielfältige Bewegungserfahrungen ermöglichen den Kindern, ihren Körper und die Umwelt kennenzulernen, Risiken und die eigenen Fähigkeiten richtig einzuschätzen, Handlungskompetenzen und damit Selbstsicherheit zu gewinnen. Über umfangreiche Materialerfahrungen lernen die Kinder sich mit der dinglichen Umwelt auseinanderzusetzen, und erleben physikalische Gesetzmäßigkeiten hautnah. Bewegungserfahrungen wie Schwingen, Rutschen oder Schaukeln ermöglichen umfangreiche Raumerfahrungen und schaffen damit wichtige Voraussetzungen für schulische Kompetenzen wie z.B. Mathematik.

Daneben haben die körperliche Aktivität und der Sport im Kindes- und Jugendalter eine umfassende Bedeutung für die gesunde Entwicklung von Kindern. Regelmäßige sportliche Betätigung trägt zum Training des Herz-Kreislauf-Systems und der Muskulatur sowie zur Prävention von Übergewicht und Adipositas bei. Muskelkräftigende Aktivitäten und Sprungübungen wie beim Trampolinspringen, beim Ballett oder in der Leichtathletik haben zudem positive Effekte auf die Knochenentwicklung und tragen damit bereits im Kindesalter zur Prävention der Osteoporose im späteren Leben bei.

 

Bewegungsmöglichkeiten – Bewegungsräume für Kinder

Da viele Kinder immer mehr Zeit in der Kita und in der Schule verbringen, müssen gerade hier vielfältige Bewegungsangebote im Tagesablauf verankert sein.

 

Regelmäßige Bewegungs- und Sportstunden

Egal ob in der Kita oder in der Schule – durch regelmäßige Bewegungsangebote und Sportstunden können vielfältige Entwicklungsanreize für die kognitive Entwicklung und für die Gesundheit der Kinder gesetzt werden. Neben freien Bewegungs- und Spielphasen für die Kinder können durch den gezielten Einsatz von Materialien und Geräten umfassende Bewegungs- und Materialerfahrungen ermöglicht und spielerisch motorische Grundfähigkeiten trainiert werden. Besonders beliebt in der Kita und auch im Grundschulalter sind Bewegungslandschaften, die die Bewegungsfertigkeiten der Kinder und auch ihre Phantasie herausfordern. 

 

Aktiver Alltag – Bewegte Pause

Bewegungsangebote sollen nicht nur auf den Bewegungsraum oder die Turnhalle beschränkt sein. Auch in den restlichen Tagesverlauf sollen Sitzphasen regelmäßig durch Bewegungspausen unterbrochen sein. Das können ein kurzes Spiel mit einem Partner oder in der Gruppe, eine Denkaufgabe, die mit Bewegungen verknüpft wird, Übungen zur Sinneswahrnehmung oder ein Bewegungslied sein. Auch mit Kleingeräten wie z.B. Jongliertüchern oder kleinen Wurfsäckchen sowie mit Haushaltsgegenständen wie Pappteller oder Papier können Bewegungspausen umgesetzt werden.

 

Bewegung im Pausenhof

Die meisten Kinder sind gerne an der frischen Luft – insbesondere dann, wenn sie durch vielfältige Bewegungsimpulse motiviert werden. Ideal ist hier ein Wechsel aus offenen Flächen, auf denen Kinder Fang- und Ballspiele durchführen können, mit Grünzonen, in denen die Kinder sich zurückziehen oder etwa auch ein Lager bauen können sowie Spielbereichen mit Geräten wie Rutschen, Schaukeln oder Balancier-Kombinationen. Ideal ist es, wenn diese Bewegungsmöglichkeiten für die Kinder nicht nur auf die Pausenzeiten beschränkt sind, sondern auch nach anstrengenden Konzentrationsphasen oder auch am Nachmittag genutzt werden dürfen.

 

Ganztag als Chance und Gefahr für die Bewegung von Kindern

Ganztagsangebote für Kinder bieten grundsätzlich eine große Chance, Kinder zu Bewegung und Sport zu animieren. In der Kita und in der Schule können die Kinder mit ihren gleichaltrigen Freunden gemeinsam spielen und Sport treiben und damit auch vielfältige soziale Erfahrungen sammeln und damit verschiedene Soft Skills entwickeln. 

In den meisten Schulen stehen dazu auch attraktive Bewegungsräume und –geräte zur Verfügung. Allerdings ist es nach wie vor so, dass der Sportunterricht an vielen Schulen häufig ausfällt und die Turnhalle nur während der Sportstunde genutzt werden darf. Nach wie vor gelingt es nicht allen Schulen im Rahmen der Ganztagsbetreuung ein attraktives Bewegungs- und Sportangebot für die Kinder anzubieten. Hier fehlt es häufig an Räumlichkeiten, Lehrkräften und Betreuern. Damit stehen den Kindern am Nachmittag nur eingeschränkte Bewegungsangebote zur Verfügung und diese werden häufig im Klassenverband umgesetzt, ohne dass die Kinder vielfältige Sportarten in Kleingruppen kennenlernen können und die Motivation zum lebenslangen Sporttreiben geschaffen wird. Die Qualität der Bewegungsangebote ist insbesondere im Ganztag von großer Bedeutung, da viele Kinder, die in der Ganztagsbetreuung sind, keine zusätzlichen Sportangebote in Vereinen wahrnehmen und sie damit nur das Ausmaß an körperlicher Aktivität umsetzen, was in der Schule angeboten wird.

 

Zusätzliche Programme auf dem Weg zur Gesunden Schule

Zahlreiche Gesundheitsförderungsprogramme unterstützen die Schulen in ihrer Weiterentwicklung zur Gesunden Schule. Ein Beispiel dafür ist JuvenTUM, das an der TU München mit Unterstützung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege an Grund-, Mittel- und Realschulen durchgeführt wurde. Im Mittelpunkt des Programms stehen die Kinder selbst, die zu Gesundheitsexperten ausgebildet werden und die Bedeutung von Bewegung, einer ausgewogenen Ernährung und Aktivitäten zur Stärkung ihres Wohlbefindens kennen lernen. Auf kindgerechte Art erleben die Kinder vielfältige Möglichkeiten, wie sie selbst für ihre Gesundheit aktiv werden können. Zugleich werden über regelmäßige Projektgespräche mit den Lehrkräften verhältnispräventive Maßnahmen an den Schulen umgesetzt und z.B. die Angebote im Pausenverkauf optimiert, Pausenhöfe bewegungsfreudiger umgestaltet oder neue Spielgeräte für bewegte Pausen im Unterricht angeschafft. Auch die Eltern sind bei diesem Projekt gefragt. Sie bekommen regelmäßig Impulse und Anregungen für einen aktiven und gesunden Familienalltag und können in Elternabenden vielfältige Bewegungs- und Spielangebote selbst ausprobieren oder auch Rezept-Ideen in gemeinsamen Kochabenden umsetzen. Auch eine Vernetzung der Schulen und der Kinder mit Vereinen sowie eine Übersicht über die vielfältigen Bewegungsangebote in der Wohnumgebung der Kinder bilden wichtige Bestandteile des Projekts.

 

Bewegung in der Freizeit / mit der Familie

Eine bewegte Kindheit bedeutet auch, mit den Eltern nicht nur gemeinsam Filme anzusehen oder einkaufen zu gehen, sondern aktive Ausflüge zu Fuß oder mit dem Rad zu unternehmen oder abends bzw. am Wochenende gemeinsam Tischtennis oder Federball zu spielen bzw. auf einen Spielplatz zu gehen. Gemeinsame Aktivitäten an der frischen Luft oder der gemeinsame Eintritt in einen Sportverein – davon profitieren Kinder und auch ihre Eltern bezüglich ihrer Gesundheit und ihres Wohlbefindens langfristig. Und es ermöglicht Kindern und Eltern gemeinsam miteinander Spaß zu haben – ein wichtiger Ausgleich zum Schulleben bei den Kindern und zu den beruflichen Herausforderungen bei den Eltern. Viele Kinder, die im Kindesalter positive Bewegungserfahrungen sammeln können, bleiben ihr Leben lang aktiv. 

 

Sport im Alter: Muckis für Fortgeschrittene

Ein Großteil der Erwachsenen bewegt sich aber im mittleren Lebensalter zu wenig, da Beruf und Familie zu wenig Raum und Zeit zum regelmäßigen Sport treiben lassen. Mit dem Eintritt in das Rentenalter verändert sich die Situation bei manchen etwas. Der Erhalt der Gesundheit bekommt eine immer größere Bedeutung und zugleich ist meist wieder mehr Zeit vorhanden, Bewegungs- und Sportangebote wahrzunehmen. Ziehen die älteren Menschen dann in eine Senioreneinrichtung, kommt es bisher in der Regel zu einem deutlichen Rückgang der körperlichen Aktivität, da die Bewohner*innen in den Senioreneinrichtungen meist nur noch eine kleine Wohnung zu versorgen haben, keine Gartenarbeit mehr zu verrichten haben und auch in anderen Alltagstätigkeiten Unterstützung bekommen. Zur Gesunderhaltung können die Senioren zwar in fast allen Einrichtungen an Gymnastikangeboten oder an einem Sturzprophylaxe-Training teilnehmen. Zum Erhalt der Muskelmasse und zur Prävention der Osteoporose reicht hier die Intensität der angebotenen Programme häufig nicht aus. 

Deswegen wurde ein neues Bewegungskonzept entwickelt, das über ein multimodales Kraft-, Koordinations- und Ausdauertraining zum Erhalt der Muskulatur und zur Reduktion des Sturzrisikos beitragen soll. Damit werden wichtige Bausteine eines gesunden Alterns, d.h. die Mobilität und Selbständigkeit sowie das Wohlbefinden der Senioren unterstützt. Trainingsprogramme für ältere Menschen und Hochbetagte scheitern oft daran, dass ältere Menschen nicht mehr in ein Fitness-Studio gehen möchten oder können oder den Weg in einen Sportverein oder zu anderen Sportangeboten nicht mehr bewältigen können. „Unsere Intention ist, Bewegung dahin zu bringen, wo ältere Menschen leben, nämlich in Senioreneinrichtungen“, erklärt der ärztliche Direktor der Sportmedizin der TU München, Univ.-Prof. Martin Halle, der mit seinem Team aus Sport- und Ernährungswissenschaftlern eine neue Studie mit Unterstützung durch die Beisheim Stiftung durchgeführt hat. An der Pilotstudie haben 77 Senioren zwischen 75 und 104 Jahren teilgenommen und über sechs Monate zwei Mal in der Woche etwa 45 bis 60 Minuten trainiert. Die Senioren waren von dem neuen Sportangebot begeistert und konnten spürbare Effekte im Alltag z.B. beim Treppensteigen erleben. „Medizinisch gesehen wäre in jedem Alters- oder Pflegeheim ein Sportraum absolut notwendig, auch als aktive Begegnungsstätte“, fordert Prof. Halle. Deswegen läuft bereits eine Nachfolgestudie in 20 Senioreneinrichtungen, die die Effekte des Trainingsprogramms auf Muskulatur, Sturzrisiko, Herz-Kreislauf-System, Kognition und Wohlbefinden wissenschaftlich untersuchen wird. Doch das ist nur der Anfang. Hinter „bestform. Sport kennt kein Alter“ steckt ein Gesamtbewegungskonzept für Senioreneinrichtungen bzw. für Senioren, das neben dem multimodalen Trainingsraum in Senioreneinrichtungen auch eine Weiterentwicklung der Bewegungsangebote für die Senioren im Freien im Fokus hat und langfristig auch den Alltag in den Senioreneinrichtungen durch Bewegungsimpulse aktiver gestalten möchte.


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