Stadt fair teilen - was kann Planung beitragen?
Unsere Städte sind über Jahrhunderte gewachsen, darin spiegelt sich auch die Geschichte der städtischen Gesellschaft, wer hatte das Sagen, für wen waren welche Berufe zugänglich. Stadt ist ein...
Internationales Fachmagazin für Spiel-, Sport- und Freizeitanlagen
Vor der Corona Pandemie ließen sich zwei gegensätzliche Tendenzen bei den körperlichen Aktivitäten, Bewegung und Sport erkennen:
Das Spektrum an individuellen sportorientierten Aktivitäten in den öffentlichen Freiräumen ist sichtbar gewachsen - die Vielfalt und Menge dieser neuen Bewegungsarten hat klar zugenommen.[1] Anders als vom Vereinssport gewohnt, organisieren sich diese Initiativen dazu oft spontan, ‘bottom-up’ und in losen Verbünden: verabredet wird sich zu Calisthenics, Yoga oder Slacklining über soziale Netzwerke; Treffpunkt ist der nahegelegenen Park. Das gemeinsame Tun wird in Selfies festgehalten und in den gleichen Netzwerken kommuniziert. Als Flächen werden dazu vor allem Stadtparks und Grünzüge in Anspruch genommen, d.h. die ohnehin oft knapp bemessenen öffentlichen Freiräume müssen zusätzliche Belastungen verkraften. Mittelfristig verschiebt sich dabei das Verhältnis zwischen nutzungsoffenen zu zweckbestimmten Bereichen. Anstelle eines offenen und großzügigen Eindrucks werden die Flächen ‘zerlegt’ in ein Patchwork aus spezifischen Erholungsangeboten für ausgewählte Nutzergruppen. Diese Belegung erfolgt oft ohne Rücksicht auf die vorhandene Gestaltung und ohne den ursprünglich planenden Landschaftsarchitekten.
Diesem sichtbaren Plus an individuell ausgeübtem Sport, steht eine Entwicklung gegenüber, die zeigt, dass ein großer Teil der Bevölkerung sich nicht ausreichend bewegt: Laut einer Studie der Deutschen Krankenversicherung von 2018 (DKV) folgen lediglich 43% der Bundesbürger der Empfehlung zur Mindestaktivität am Tag - sie bewegen sich mehr als 30 Minuten täglich.[2] Bei Kindern und Jugendlichen sieht es nicht viel besser aus: “Laut KiGGS Welle 2 (2014–2017) sind nur noch 26 % von ihnen in Deutschland pro Tag mindestens 60 Minuten körperlich aktiv und erreichen damit die Mindestempfehlung der WHO.” Seit der letzten Untersuchung (2009–2012) deutlich gestiegen ist dabei vor allem der Anteil der Jugendlichen, der gering körperlicher aktiv ist.[3] Diese Entwicklung hat sich seit Beginn der Pandemie in beide Richtungen noch einmal verstärkt.
Freiräume im ‘Lockdown’
Im ersten Lockdown ab März 2020 ersetzten Parks und Plätze die geschlossenen Fitness-Studios, die Sporthallen und -plätze, kompensierten die inaktiven Vereine. Hauptsächlich als Erholungs- und Aufenthaltsorte konzipiert, nahmen Parks und Plätze also auch all jene Nutzungen auf, denen sonst eigentlich spezialisierte Flächen zur Verfügung stehen. Erste Schätzungen gehen von zusätzlichen Nutzungen in Höhe von 30% aus. Dieser Andrang ließ sich an Platzmangel und Gedränge sowie an starken Abnutzungserscheinungen ablesen. Damit gerieten einige städtische Freiräume an ihre Belastungsgrenze. In Berlin Friedrichshain musste der Boxhagener Platz an Ostern 2020 wegen Überfüllung geräumt und gesperrt werden. Mit etwa 150 Personen konnten auf der Fläche die Abstandsregeln nicht mehr eingehalten werden.
Dies wiederholt sich nun im zweiten Lockdown seit Oktober 2020. Outdoor-Sport als einzige Möglichkeit sich fit zu halten, führt erneut zu hohem Nutzungsdruck: auf den Parkwegen müssen sich Spaziergänger, Jogger und Radler ausweichen, die Calisthenics Stationen sind immer stark frequentiert, coronagerecht paarweise versuchen sich ‘Fitness-Tandems’ gegenseitig zu motivieren, Spielplätze sind mit Eltern und Kinder voll belegt usw... Im Ergebnis fällt es vielerorts schwer, den geforderten Sozialabstand einzuhalten. Die bestehenden Wegegerüste sind dazu oft zu schmal dimensioniert, bei Witterungseinbrüchen fehlen Unterstellmöglichkeiten. Auch ist das Angebot an Sitzmöglichkeiten rasch belegt. Inzwischen sehr voll sind sogar großzügig zugeschnittene Parks wie der Berliner Tiergarten, das barocke Jagdgrün der Hohenzollern oder das Tempelhofer Feld.
Gleichzeitig werden generationsübergreifend die Personengruppen zunehmen, die es jetzt noch weniger schaffen, für genügend Bewegung in ihrem Alltag zu sorgen: Erwachsene, die im zusätzlichen Stress zwischen Job und Kinderbetreuung keine Zeit mehr für Sport finden; Ältere, deren feste Sportgruppen im geschützten Raum des Fitness-Studios ohne Ersatz ausfallen; Jugendliche und Kinder, die nicht mehr in ihren Teams im Verein spielen können und deren Motivation schwindet, den Platz vor dem Bildschirm zu Hause zu verlassen. Ihre tägliche ‘Aktivität’ geht oft nahtlos über vom Homeschooling zum ‘Netflixen’. Im Ergebnis wird sich die Zahl derer erhöhen, die sich gemäß der Empfehlungen nicht genügend bewegen.
Was also tun? Neuaufstellung
Deutlich mehr Sport- und Bewegungsanlagen in unseren Parks zu errichten, die Wege zu verbreitern, die Spielplätze zu vergrößern und - wichtig - dabei das ‘Mitmach-Angebot’ möglichst niedrigschwellig zu gestalten - so einfach wird es nicht sein: Bereits vor Corona waren die innerstädtischen Park- und Platzanlagen starkem Nutzungsdruck ausgesetzt (s.o.), d.h. eigentlich schließt sich die Integration dieser Maßnahmen ohne eine Vergrößerung oder Neuanlage von Freiflächen aus. Eine Neuaufstellung ist also nötig.
Wir bauen unsere Städte stetig um und passen sie an veränderte Bedingungen an - aktuell sind das Anforderungen u.a. aus den Handlungsfeldern Gesundheitsvorsorge und Umweltqualität. Unsere Plätze und Parks übernehmen dabei wichtige Ausgleichsfunktionen. Programme für einen zeitgemäßen Stadtumbau werden vor allem hier ansetzen müssen.
Gesundheitsvorsorge und Schutz vor schädlichen Umwelteinflüssen gehören seit Beginn des 20. Jahrhunderts zu den wichtigsten Motiven von Städtebau und Freiraumplanung. Stellvertretend sei hier erinnert an die Volksparkbewegung, die Berliner Platzanlagen von Erwin Barth oder die Planungen Martin Wagners. In diesem Zusammenhang hat sich über Jahrzehnte hinweg ein feststehendes Repertoire an Freiraumtypen und -programmen gebildet. Unter Berücksichtigung der aktuellen Veränderungen ist zu prüfen, wie sich dieser Kanon erweitern und aktualisieren lässt. Dazu lassen sich eine Reihe von Anknüpfungspunkten identifizieren:
1. Vorhandene Orte aktivieren
Verkehrsinfrastrukturen nutzen
Erfreulich ist, dass mit den bewegungsorientierten Aktivitäten Freiräume neu- oder wiederentdeckt werden und vorhandene Potentiale erschlossen werden. Dazu gehören auch Flächen, die zunächst wenig attraktiv erscheinen wie Verkehrsinfrastrukturen oder brachgefallene Industrieanlagen. Unter Autobahnbrücken finden Platz z.B. der ‘I5 Colonnade Bike Park’ in Seattle, der ‘Underpass Park’ in Toronto oder der ‘Familienpark unter der Zoobrücke’ in Köln. Anregt durch individuelle Aneignung, das Engagement bürgerschaftlicher Akteure oder auch durch Planungsbehörden, werden diese Orte inzwischen als Freiraum genutzt und insgesamt aufgewertet. Zu diesem Freiraumtyp gehören auch umgenutzte Bahntrassen, bekanntestes Beispiel die Highline in New York.
Weniger bekannt ist der ‘I5 Colonnade Bike Park’ in Seattle. Er wird zunächst durch eine Gruppe von Mountainbikern initiiert. Sie entdeckten den brach liegenden Raum unter der Autobahnbrücke der Interstate 5 - ein Unort, der von den Bewohnern der umliegenden Quartiere gemieden wird. Selbstständig und ohne Genehmigung passten die Biker die Fläche an ihre Anforderungen und Sportnutzung an. Mit der Bespielung und Belebung der Fläche ändert sich auch die öffentliche Wahrnehmung und die Konnotation des Ortes. Als Ausflugsziel nutzen ihn inzwischen auch Anrainer und Nachbarn. In der Folge werden weitere Aufwertungsmaßnahmen in Gang gesetzt, die die Qualität des Freiraums verbessern und damit das Nutzerspektrum nochmals erweitern.
Temporäre Umnutzung von breiten Straßen und Stadtautobahnen
Die Minhocão (‘Wurm’ - eigentlich ‘Via Elevada Presidente João Goulart’ - ist eine 3,4 km lange Hochstraße in São Paulo, Brasilien. Sie entstand zwischen 1969-1970 und soll die Innenstadt São Paulos vom motorisierten Verkehr entlasten. Die vierspurige Hochstraße führt aufgeständert auf einem vorhandenen, ehemals repräsentativen Boulevard durch ein dichtes innerstädtisches Quartier und wird täglich von etwa 78.000 Fahrzeugen befahren. Durch die Nutzung des vorhandenen Straßenraums verläuft die Trasse stellenweise mit nur einem sehr geringen Abstand vor Fenstern und Fassaden. Entsprechend wird die Hochstraße aufgrund der starken Emissionsbelastungen ab 1976 an Sonn- und Feiertagen für den Verkehr gesperrt. Seit den 1990er Jahren ist der Verkehr auch unter der Woche zwischen 21:00 und 06:30 Uhr untersagt.
Sobald das 3,4 km lange Viadukt für den Verkehr gesperrt ist, verwandelt es sich in einen Ort für Freizeit, Bewegung und Sport. Es gibt keine Vorgaben für die Nutzung. Entsprechend vielfältig ist die Aneignung. Die vierspurige Trasse verläuft auf der ganzen Länge ohne Unterbrechung und motiviert mit dem glatten, fugenlosen Bodenbelag vor allem Sportarten, die mit linearen Bewegungen zu tun haben - sei es zu Fuß oder auf Rollen. Die Topografie der Fahrbahn, das sanfte Auf und Ab, gibt Schwung und Tempo. Zusätzlich finden viele Veranstaltungen statt, wie Theaterstücke, die an den Fenstern der benachbarten Gebäude für die Zuschauer auf der Straße aufgeführt werden, Tanzabende, Fotoshootings oder der mobile Verkauf von Getränke und Snacks.
Die Minhocão zeigt, dass das temporäre Sperren und Umnutzen von breiten Straßen oder Stadtautobahnen viel Potential bietet und eine sinnvolle und gleichzeitig sehr kostengünstige Intervention ist. Außerdem kann mit dieser Art der Umnutzung auch ein Nachdenken über unsere Mobilitätsformen angestoßen werden. Es ist jedoch auch klar, dass die nur temporäre Öffnung die Schaffung besserer Aufenthaltsqualitäten zum Beispiel durch Sitzgelegenheiten, Schatten oder Vegetation reduziert.
2. Neues Freiraumpotential erschließen
Gebäude mit urbanen Bewegungsräumen auf dem Dach
Gebäudenutzungen können mit öffentlichen Räumen und Angeboten für Spiel- und Sportnutzung kombiniert werden. Gutes Beispiel dafür ist die ‘Scolen y Sydhavnen’ in Kopenhagen - eine fünfgeschossige Schule mit stark terrassiertem öffentlichem Dach, das als Schulhof, Spielplatz und Aufenthaltsort nutzbar ist. In Deutschland bereits häufiger publiziert wurde die Quartiersgarage ‘Park ’n’ Play’ in einem Hafenkonversionsgebiet in Kopenhagen, die ebenfalls über einen sehr attraktiven Dachspielplatz sowie bewegungsfördernde begrünte Fassaden verfügt. Beide Gebäude markieren jeweils das Zentrum im Quartier.
Gemischt genutzte Gebäude
Ein besonderes Potential liegt bei den gemischt genutzten, hybriden Gebäuden: alle folgenden Beispiel übernehmen die Rolle der Zentrumsbildung in den jeweiligen Quartieren - wie ‘SESC 24 de Maio’ in Sao Paulo, das ‘Sport- und Kulturzentrum St. Blaise’ in Paris und das ‘Streetmekka’ in Viborg. Mit ihrem niedrigschwelligen und öffentlich nutzbaren Mix aus sportlichen, sozialen und kulturellen Angeboten, bilden sie Ziel und Anlaufpunkt für sehr viele unterschiedliche Sozial- und Altersgruppen. Da diese Nutzungen in der Regel zeitgleich stattfinden, erhöhen sich Attraktivität, Angebots- und Besucherdichte: Das ‘SESC 24 de Maio’ z.B. zog vor der Pandemie täglich rund 10.000 Personen an.
Gleichzeitig sind die Gebäude indoor wie outdoor sehr kompakt organisiert und benötigen durch die Stapelung der verschiedenen Nutzungen im Vergleich nur sehr wenig Platz. Hier liegen sicher große Chancen, selbst in sich verdichtenden Stadtzentren derartige Angebote zu etablieren.
Umbau von Sportplätzen
Innerstädtische normierte Sportanlagen stellen eine große Flächenressource dar. Ihr Umbau zu mehrfach nutzbaren Freiräumen mit einem erweiterten Bewegungs- und Aufenthaltsangebot sowie eine Öffnung auch für nicht vereinsgebundenen Sport scheint naheliegend.
Dazu ist anzumerken, dass rund 230.000 Sportanlagen in Deutschland Erneuerungs- bzw. Sanierungsbedarf haben.[4] Das BMI stellt dafür rund 110 Mio. Euro zur Verfügung. Hier gibt es also eine große Chance, mit der Neuinterpretation der Anlagen auf die aktuellen Anforderungen zu reagieren und sie gleichzeitig besser in das Gefüge der städtischen Freiräume einzubinden. Leider sind die Gelder des BMI bislang nicht gekoppelt an die Umsetzung derartiger übergeordneter freiraumplanerischer Ziele.
Dagegen zeigt ein Beispiel aus Mexiko, welche Chancen in einer offeneren Auffassung bei der Sanierung von Sportanlagen liegen: Der Fußballplatz ‘La Doce’ befindet sich in Valle de Chalco, einem ärmeren Quartier im Randbereich von Mexiko City. Aufgrund seiner ungünstigen Lage in einer Sackgasse sowie seines vernachlässigten Zustands galt der Ort insbesondere am Abend als sehr gefährlich und wurde trotz des Mangels an öffentliche Freiräumen gemieden. Nach der Umgestaltung öffnet sich der Platz jetzt mit einer neuen öffentliche Wegeverbindung zum Quartier. Entlang des Weges, neben dem Fußballfeld, sind zusätzlich neue Aufenthaltsbereiche entstanden: In einem Pavillon befinden sich Verwaltungs- und Sanitärräume, ein Boxbereich sowie ein großer Mehrzweckraum. Hier werden ganztägig Workshops, Kurse und Veranstaltungen organisiert. Inzwischen wird der Ort von der ganzen Nachbarschaft genutzt und als öffentlicher Treffpunkt für alle Generationen sehr wertgeschätzt. Dabei trägt die höhere Frequentierung zur besseren sozialen Kontrolle und zur Sicherheit bei.
Dieses kollaborativ entstandene Projekt zeigt beispielhaft, wie über das Sportangebot hinaus ein neuer gemeinschaftlicher Freiraum und ein soziales Zentrum entstehen kann. Unterstützt wird das Projekt von ’love.fútbol’, einer gemeinnützigen Organisation, die sich dafür einsetzt, brach gefallene Fußballplätze herzurichten und damit Anknüpfungspunkte für öffentliche Sport- und Freiraumnutzungen zu schaffen.
Sportanlagen, die niedrigschwellig zu Bewegung motivieren
Hier schließt sich ein weiteres Thema an: Die normierte Gestaltung von Sportanlagen wirkt auf Menschen mit Bewegungsdefiziten oft nicht sehr einladend: DIN-gerechten Sportfelder mit typischen Ballfangzäunen, Ausstattungsgeräten und Linienmarkierungen machen sofort den Wettkampfgedanken im Sport deutlich. Um mit Bewegungsaktivitäten überhaupt zu starten und die eigenen Unsicherheiten oder erwarteten Unzulänglichkeiten zu überwinden, sind das nicht die besten Voraussetzungen.
Dagegen zeigt sich, dass anregend für Bewegung und Sport insbesondere Courts und Anlagen sind, die teils deutlich von normierter Gestaltung abweichen: Das können leuchtend graphische Farbgestaltungen von Wänden und Sportbelägen sein, die der eigentlichen Ballspielnutzung teils vollständig entgegenstehen. Sehr beliebt und stark frequentiert sind z.B. der bunte Basketballplatz ‘Pigalle Duperré’ in Paris oder das runde Basketballfeld auf dem ‘Israels Plads’ in Kopenhagen. Darüber hinaus regen untypische Abmessungen und Spielfeldzuschnitte wie zu kleine Tennisfelder oder zu niedrige Basketballkörbe an, die angebotenen Räume kreativ und anders zu bespielen: ‘Basketball-Fußball’ oder ‘Tennis-Fußball’ werden z.B. gespielt im ‘Stadium Charlemange’ in Paris. Es scheint - je mehrdeutiger oder verfremdeter die Sport- und Bewegungsangebote gestaltet sind, desto eher fühlen sich auch Menschen angezogen, für die Bewegung und Sport im Freiraum nicht - oder noch nicht - Routine sind. Die anstehenden Sanierungen unserer Sportanlagen könnten hier mit entsprechenden Neuinterpretationen einen wichtigen Beitrag leisten.
3. Neuanlage von Freiräumen
Bei der Neuanlage von Freiräumen bietet sich die Chance, bereits beim Entwurf den Bedarf nach urbanen Bewegungsräumen mitzudenken. Gut geeignet sind multifunktionale Platzflächen wie der stark frequentierten ‘Israels Plads’ in Kopenhagen und der ‘Landhausplatz’ in Innsbruck. Wie dies überzeugend in den Entwurf grüner Freiräumen integriert werden kann, ist noch offen. Die Schwierigkeiten sind wie oben beschrieben u.a. das Verhältnis zwischen nutzungsoffenen und zweckbestimmten Bereichen und der Erhalt eines großzügigen und von Vegetation geprägten landschaftlichen Eindrucks.
4. Stadtweite Konzepte
Auch auf städtebaulicher Ebene wird das Thema inzwischen in einigen Städten als Handlungsfeld erkannt: Die Stadt Hamburg wirbt seit 2018 mit dem Label ‘Global Active City’. Die Bezeichnung kennzeichnet Angebote zu einem aktiven und gesundheitsbewussten Lebensstil. Sie wird zertifiziert durch die ‘Active Well-being Initiative’. Städte, die sich wie Hamburg ‘Global Active City’ nennen wollen, müssen sich erfolgreich einer unabhängigen, detaillierten Überprüfung ihrer Sport- und Bewegungsstrategien unterziehen.
Die Stadt Stuttgart stellt aktuell den ‘Masterplan urbane Bewegungsräume’ auf, um konkrete Lösungsansätze zusammenzutragen. Zwei Ziele stehen dabei im Fokus: Vorgaben für eine Gestaltung von Stadträumen, die ‘Alltagsbewegung’ und urbane Bewegungsangebote unterstützt sowie mittelfristig ein schrittweises Anreichern des Gefüges an öffentlichen Räumen. Dabei sollen die Maßnahmen ressortübergreifend implementiert werden. Grundlagen dafür waren eine umfangreiche Bürgerbefragung im Frühling 2019, die Beauftragung eines Planungsteams sowie die Durchführung des Fachtags ‘Urbane Bewegungsräume’ am 11.10.2019 im Rathaus Stuttgart, um einen gemeinsamen Informationsstand alle Beteiligten zu schaffen.
Akteure
An der Schnittstelle der Themenfelder Freiraum, Gesundheit und Sport gehören Städte und Kommunen zu den Schlüsselakteuren. Sie verfügen meist über ein differenziertes Portfolio an Freiflächen. Zudem können sie anstehende Entwicklungen frühzeitig identifizieren und deren baulich-räumliche Umsetzung planerisch und genehmigungsrechtlich steuern. Allerdings sind in diesem Prozess einige Hindernissen zu beachten: neben fehlenden Ressourcen in der Verwaltung gehören dazu insbesondere isoliert agierenden Fachgebiete und Ämter, z.B. Stadtplanung, Grünflächen, Verkehr, Sport und Gesundheit. Eine für dieses Thema nötige ressortübergreifende Zusammenarbeit ist oft ungeübt und bedarf einer Phase der gemeinsamen ‚Einstimmung’. Ohne diese Zusammenarbeit ergeben sich im Umgang mit Sport- und Bewegungsflächen oft ‚verinselte’ und ‚eingehegte’ Orte, ein Patchwork aus Einzelprojekten.
Gelingt es Städten und Kommunen aber, Flächen für Bewegung und Sport in einen übergeordneten städtebaulichen Zusammenhang einzubetten und in übergreifende, vernetzende Masterpläne zu transportieren, entsteht mit den Projekten ein charakteristischer Mehrwert: über die Zielgruppe hinaus ist es möglich, eine breitere Stadtöffentlichkeit anzusprechen.
Finanzierung
Kommunale Haushaltsmittel reichen aktuell oft kaum für Erhalt und Pflege bestehender Freianlagen aus. Das Integrieren neuer Freiraumangebote ist damit abhängig vom Aktivieren ergänzender Budgets und Förderkulissen. Dabei berühren die beschriebenen Entwicklungsziele neben Fragen der Stadtentwicklung und Freiraumplanung auch benachbarte Themenfelder wie Gesundheitsvorsorge sowie Sport- und Bewegungskultur. Für solche Querschnittsaufgaben sollten Mittel der Städtebau-Förderung mit anderen geeigneten Programmen ergänzt werden. Mittelfristig hilfreich wären auch eigens zugeschnittene Förderprogramme auf Landes- und Bundesebene.
Zusätzlich profitieren auch andere Akteure von einer guten Sport- und Freirauminfrastruktur, insbesondere die Sport- und Freizeitindustrie. Trotz ihrer vergleichsweise großen Umsätze, bringen sie sich bei der Finanzierung dieser Infrastruktur aber kaum ein. Laut aktuellem Positionspapier des Beirats Umwelt und Sport erwirtschaften die im Bundesverband der Deutschen Sportartikel-Industrie e.V. organisierten Unternehmen einen Jahresumsatz von ca. 35 Milliarden Euro.[5] Entsprechend hoch sind die Budgets für Werbung und Marketing. Sie werden zwar inzwischen in Teilen investiert in temporäre, ‘bildmächtige’ Events im urbanen Kontext z.B. für Streetsoccer, Skatingkonventions etc. und dazu werden auch gerne städtische Orte temporär besetzt. Darüber hinaus beschränken sich ‚Raum-Investitionen’ aber überwiegend auf das Aufwerten von Firmenstandorten.
Mit der aktuellen Hinwendung zum ‘Draußensein’ - durch die Pandemie erzwungen oder aus Überzeugung - müsste aber künftig vor allem die Sport- und Freizeitindustrie ein Interesse an einer zeitgemäßen und zukunftsorientierten Selbstdarstellung haben: dazu gehört sicher eine glaubhafte Verkörperung der Schlüsselthemen Urbanität, Lokalität, Diversität und Nachhaltigkeit mit den entsprechenden Investitionen in öffentlichen Freiräume und Sportanlagen.
Abschließend - die grüne Branche sollte das Momentum nutzen: Der Wert der öffentlichen Freiräume ist derzeit erkennbar wie nie - viel mehr Bürger nutzen sie regelmäßig mit wachsender Wertschätzung. Absehbar ist auch, dass sich dieser Trend mittelfristig nicht umkehren wird. Erkennbar werden aber gleichermaßen die Grenzen dieser Entwicklung, d.h. auf die neuen Nutzungsanforderungen und Belastungen der öffentlichen Freiräume, der Parks und Plätze muss auf allen Ebenen reagiert werden. Die Kommunikation darüber und das Wissen, wie es geht, liegt bei uns.
Quellen:
Kontaktbeschränkungen: Polizei sperrt Boxhagener Platz, berlin.de (28.03.20), abgerufen 10.06.20
Leere Innenstädte, vollere Parks, Tagesschau.de (30.03.20), abgerufen 10.06.20
Wie das Virus unseren Alltag verändert, ZEIT ONLINE (22.04.20), abgerufen 10.06.2
DKV Report 2018, Faktenblatt S. 3
RKI AdiMon-Themenblatt Körperliche Aktivität (07.2020)
https://de.statista. com/statistik/daten/studie/150745/ umfrage/
https://www.bmu.de/download/positionspapier-nachhaltiger-sport-2030/
von grau zu grün - grüne infrastruktur, Ulrike Böhm, Cyrus Zahiri, Katja Benfer (Hrsg.), Verlag Dorothea Rohn 2017
urban move - urban spaces, Ulrike Böhm, Cyrus Zahiri, Katja Benfer (Hrsg.), Verlag Dorothea Rohn 2020
Autoren / Autorinnen genannter Projektbeispiele:
Israels Plads Kopenhagen: Cobe Architekten, Sweco Landschaftsarchitekten, Morten Straede Kunst
Landhausplatz Innsbruck: LAAC
Pigalle Duperré Paris: Ill-Studio
Stadium Charlemange Paris: NP2F architecture
La Doce Mexiko City: all arquitectura
Game Streetmekka Viborg: Effect Architekten, Bogl Landschaftsarchitekten
Centre Culturel et Sportif Paris: Bruther Architekten, Louis Choulet Landschaftsarchitekt
SESC 24 de Maio Sao Paulo: Paulo Mendes da Rocha mit MMBB arquitetos
Scolen y Sydhavnen Kopenhagen: JJW Architekten
Garage Park ’n’ Play Kopenhagen: JaJa Architekten
Familienpark unter der Zoobrücke Köln: Lill + Sparla Landschaftsarchitekten
[1] Laut aktuellem Positionspapier des Beirats Umwelt und Sport erhöht sich der Druck auf die innerstädtischen Freiräume: “Die verstärkte Komfort-, Konsum- und Erlebnisorientierung erhält ein umfangreiches Waren- und Dienstleistungsangebot. Nachfrage und Angebot wechseln in kürzeren Zyklen und forcieren die Entwicklung neuer Spielarten. Dadurch wächst der Druck, geeignete Räume noch
intensiver zu erschließen – nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb der Städte. Innerstädtische Park- und Grünanlagen sind oft nicht ausreichend dimensioniert oder ungeeignet, uninteressant oder schlicht zu verstädtert. Dennoch entstehen dort, wo es möglich ist, neben normierten Sportstätten immer mehr „informelle“ Sporträume auf städtischen Grün- und Freiflächen.” S. 8
[2] Nicht einmal die Hälfte der Befragten ist noch ausreichend körperlich aktiv: der Anteil, der die Mindestaktivitätsempfehlungen durch körperliche Aktivität während der Arbeit, dem Transport und während der Freizeit erreicht sinkt von 60% 2010 auf 43% 2018. DKV Report 2018, Faktenblatt S. 3
[3] Laut KiGGS Welle 2 (2014–2017) “erreichen 26 % der Heranwachsenden die WHO-Bewegungsempfehlung (mindestens 60 Minuten pro Tag körperlich aktiv). Mit zunehmendem Alter sinkt der Anteil der Heranwachsenden, die die WHO-Bewegungsempfehlung erreichen. 9 % der Heranwachsenden sind an weniger als zwei Tagen pro Woche für mindestens 60 Minuten am Tag körperlich aktiv.” Aus RKI AdiMon: Bevölkerungsweites Monitoring adipositasrelevanter Einflussfaktoren im Kindes- und Jugendalter.
[4] Laut Positionspapier BMU Beirat Umwelt und Sport: “In Deutschland gibt es weit über 230.000 Sportanlagen, von denen der überwiegende Teil sanierungsbedürftig ist und einen entsprechend hohen Energie- und Ressourcenverbrauch aufweist. Der Beirat „Umwelt und Sport“ geht von einem Sanierungs- und Modernisierungsstau in zweistelliger Milliardenhöhe aus.” S12
[5] Weltweit beträgt laut Statista 2018 der Umsatz von Sportartikelherstellern rund 70 Mrd. EUR.