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Internationales Fachmagazin für Spiel-, Sport- und Freizeitanlagen

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13.08.2021 - Ausgabe: 4/2021

Die „durchwachsene Stadt“: klimafreundliches Leitbild für Städtebau und Architektur

Von Alexandra Czerner (czerner göttsch architekten gmbh)

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© czerner göttsch architekten gmbh

Klimagerechter Städtebau und klimaschutzorientierte Gebäudeplanung können Sauerstoff produzieren und die Luftqualität auf verschiedenen Ebenen verbessern. Die Energieeinsparungen von Gebäuden sind schon ab 1976 im Energieeinsparungsgesetz geregelt worden, die aktuelle Fassung stammt von 2013. Die gesetzliche Regelung für das auskömmliche und angemessene Stadtgrün – gerecht geregelt für alle Stadtgebiete und Stadträume - muss diesbezüglich dringend nachziehen. Bisher gibt es keine politische Bewegung, die sich dieses großen Themas nicht mit Nachdruck angenommen hat. 

Die Entmischung der unterschiedlichen Funktionen des Lebens war in Bezug auf Klimaschutzaspekte eine der großen Fehlentwicklungen des letzten Jahrhunderts. Lange Wege insbesondere zwischen Arbeiten und Wohnen erzeugen großen Energieverbrauch mit einhergehenden CO2-Emissionen und stellen einen großen Zeitverbrauch – eine Zeitverschwendung – für die Menschen dar. Wie ist ein neuer, grüner, artengerechter und ökologisch ausgewogener Weg für die Städte zu schaffen? Mit umgehenden politischen Entscheidungen für eine klimagerechte Stadtplanung, sowohl auf Bundesebene, als auch auf Länderebene. Dies kann in allen Ländern des „Spaceship Earth“ mit ambitionierten Regelwerken und Gesetzen so geschaffen werden, dass die Städte beginnen, im Rahmen ihrer alten und neuen Strukturen, deutlich grüner zu werden. Gehen wir also mit gutem Beispiel voran. Wir haben die Möglichkeiten und das Know-how. Wer hat die Courage zu grüner Stadtpolitik, die den Menschen langfristig bessere Lebensbedingungen in den immer mehr wachsenden Städten sichert? 

Die Welt verstädtert stetig. Global tragen die steinernen Städte - erkennbar u.a. an negativen Luftkennwerten und Überhitzung – zur Klimakatastrophe bei - und sind gleichzeitig von deren Folgen direkt betroffen. Die Sicherung vorhandener Grünflächen in Städten reicht nicht aus, um bedrohliche Luftkennwerte und Überhitzungen sowie die Grundwasser- Problematik ganzheitlich in bestehenden Stadtgebieten zu lösen. 

Die Stadtplanung der Zukunft arbeitet für ein ökologisches Gleichgewicht mit klaren Begrünungsregeln und gegen den Klimawandel. Hierfür erkennen wir folgende Notwendigkeiten: 

1. Die urbane Verantwortung für den Klimawandel durch mangelnde Grünflächen in den Städten grundsätzlich reflektieren. 

2. Urbane Möglichkeiten zur Naturvernetzung umgehend organisieren. 

3. Erkenntnisse auf Bundes- und Landesebenen umsetzen und durch verbindliche Regulierungen langfristig sichern. 

 

Naturbewusste Stadtplanung für Klimaschutz 

Die Natur zurückholen in alle Stadträume. Kühlung von Dächern, Fassaden und Aufbruch von versiegelten Bodenflächen, Luftfilterung und Sauerstoffproduktion, Wasserkreisläufe unterstützen durch Versickerung und bodengebundenes Grün sind wichtige Aspekte der grün-durchwachsenen Klimaschutz-Stadt. 

 

  • Eine Ausgewogenheit pro Grundstück und Gebäude schaffen, mit intensiv-grünen Oberflächen, denn Eigentum verpflichtet. Dies geregelt mit einer verbindlichen Grünflächenzahl, gesichert in der Baunutzungsverordnung und in den Landesbauordnungen: die GRÜNFZ mit einem zugkräftigen Regelwerk einsetzen. 

 

  • Städtebau: Der Anteil von intensiven Grünzonen pro Straßenraum ist im Verhältnis zur Gesamtsumme der Oberflächen zu definieren und nachzuweisen. Einfache und leicht prüfbare Berechnungsmethoden sind zu entwickeln. 

 

  • Hochbau: Der Anteil der intensiven Grünzonen pro Gebäude ist im Verhältnis zur Gesamtsumme der Oberflächen von Grundstück und Kubatur zu definieren und nachzuweisen. Bei geringer Dichte in Ansiedlungen genügen oft noch ökologisch wertvoll begrünte Grundstücksflächen, bei höherer Dichte dienen zusätzlich bodengebundene Fassadenbegrünungen und in größerer Höhe objektgebundene Fassadenbegrünungen, sowie Dachbegrünungen zum Nachweis. Am wertvollsten für langfristige Grünsicherung und am kostengünstigsten im Anschaffungspreis und den Wartungskosten sind jedoch die bodengebundenen Bepflanzungen - diese werden im Nachweis am hochwertigsten eingestuft. 

 

  • Nie wieder reine Grenzbebauungen planen. Bei Neuplanungen sind ökologisch wirksame grüne Vorbereiche in allen Straßenräumen zu berücksichtigen, mit dichter, intensiver Bepflanzung. Keine direkt an vollversiegelte Fassaden angrenzende vollversiegelte Bürgersteige und Straßen schaffen, sondern boden-gebundene Bepflanzungen ermöglichen. Dies verbessert die Atem-Luftqualität – was gerade in Fahrrad-, Fußgänger- und Kinderwagenhöhe dringend notwendig ist. Einige wenige Bäume im Straßenraum und eine Parkfläche einige Straßen weit entfernt schaffen das nicht. Für den Städtebau der Zukunft ist diese Leitlinie (über)lebenswichtig. 

 

  • Fassaden grundsätzlich mit angemessenem Grünanteil planen. Bestände kann man nachrüsten. Alle Nutzungsarten von Gebäuden sind in der Pflicht, ihren Grünanteil zu leisten, da sie u.a. auch alle CO2 produzieren. Gerade rein funktionale Gewerbegebäude gewinnen zudem an Gestaltungsqualität, wenn sie eine grüne Hülle gewinnen. 

 

  • Alle versiegelten Frei-Flächen in der Stadt sind zu prüfen und – sofern nicht durch notwendige Nutzungen fixiert – sind Teilflächen zu entsiegeln und intensiv mit hochwertigem Grün zu gestalten. Bei einem aufmerksamen Spaziergang durch die Stadt werden diverse Möglichkeiten für Sofortmaßnahmen leicht erkennbar. Der Bevölkerung können ggf. solche Flächen zur Begrünung zur Verfügung gestellt werden, z.B. mit Konzeptausschreibungen, um den Umwandlungsprozess zu beschleunigen. 

 

  • Spielplätze in Zukunft nicht mehr großflächig versiegeln, sondern anspruchsvoll und unversiegelt so gestalten, dass Spiel und Naturerlebnis zusammenwirken können. Das Spielen in Beziehung zur Natur stärkt. 

 

  • Straßenneubau Minimieren. Es ist zu prüfen, als Teil der Mobilitätswende, wo tatsächlich neue Straßenzüge benötigt werden. 

 

  • Bestehende Verkehrsflächen prüfen und mit Mobilitätskonzepten reduzieren. Nicht benötigte, entfallende Straßenflächen in intensive Grünflächen umwandeln. (aktuelles Beispiel: „Verfahren Wohnen und was noch“ Hamburg, besondere Würdigung für czerner göttsch arch.Enwurf:Projekt Höpenstraße/Radickestraße. Nachverdichtung mit Erhöhung der Grünflächen u.a. durch Schaffung von einem grünen Park mit Spielflächen durch sinnvolle Verkehrsflächenreduktion)

 

  • Dachgärten zulassen, für intensive Begrünungen auf bestehenden und neuen Dächern, ergänzend zu den einfachen Gründächern, in Kombination mit Solarkollektoren. 

 

Abschließend ein Blick auf die globale Situation: Sterbende Wälder, Brände, verunreinigte Meere etc. reduzieren die Sauerstoffproduktion weltweit, bei gleichzeitigem Wachstum der Bevölkerung, die zusätzlich zu CO2 emittierenden Produktionsprozessen und Verkehrsströmen jederzeit CO2 produziert. Wir atmen, ebenso wie andere Lebewesen, Sauerstoff und produzieren CO2. Je dichter die Stadt besiegelt ist, je mehr Menschen auf begrenzter Fläche leben, desto mehr Grün wird für ein ausgewogenes Gleichgewicht benötigt. Nur durch die Verringerung der Produktion von CO2 in verschiedenen Bereichen- die leider nur schleppend langsam begonnen hat und oft in der Diskussionsphase stecken geblieben ist - werden die Klimaziele voraussichtlich nicht erreicht. Ständig werden uns Diskussionen und politische Schauspiele zugemutet, die so oft ohne wirksame Folgen bleiben. Die Zukunft unserer Kinder steht auf dem Spiel! Die urbane Produktion von Sauerstoff kann mithelfen, diese Lücke zu füllen als ein wichtiger Zukunfts-Faktor für die 

Stadtentwicklung. Die Zeit drängt, da die Etablierung von Natur und ihr benötigtes Wachstum eine sich langsam entwickelnde Maßnahme darstellt. 

Die Masse der Oberflächen-Ressourcen der Städte, heute noch „nackt“, können bald aktive Partner bei der Abmilderung des Klimawandels werden - wenn wir dafür sorgen. 

Schauen Sie sich Ihre Städte einmal im Luftbild an: Tausende und Abertausende von Quadratmetern „nackter“ Fassadenflächen, oft dunkel und im Sommer dadurch besonders das Klima aufheizend. Umgewöhnungen von alten Stadtplanungs- und Architekturvorstellungen vorausgesetzt, können wir reichlich Grünflächen daraus machen. Das vielbesungene Prinzip der Freiwilligkeit hat sich dazu in den letzten 30 Jahren nicht als erfolgreich erwiesen, warum also weitere wertvolle Zeit verstreichen lassen? Fördertöpfe blieben teils ungenutzt, Studien und Beispielprojekte gibt es mehr als ausreichend für den Erkenntnisgewinn und die - im Verhältnis zur Masse des Neugebauten - wenigen existierenden Pilotprojekte wirken nicht in der Masse. Sprechen Sie Ihre Politiker*Innen an, stellen Sie Fragen, weisen Sie auf die hier beschriebenen Möglichkeiten hin. Wir müssen laut für die gute Sache werden, um grüne Erfolge zugunsten der Zukunft unserer Kinder und zugunsten von „Mutter Erde“ zu erzielen. Ich zitiere: „Wir sind hier, wir sind laut, weil Ihr uns die Zukunft klaut.“ Das haben wir auf den Freitag- Demonstrationen oft gehört. Hören wir hin. Die Kinder klagen an, wir Erwachsenen sind in der Pflicht, Lösungen zu präsentieren und umzusetzen. Wir, die wir das Wissen haben, müssen couragiert agieren. Wir wissen auch, dass wir damit uns nicht bei jedem beliebt machen: Diese Erfahrung als Stadtplanerin und Architektin hat mich persönlich getroffen. Wer zur den „Stadtplanungsklassikern“, den Vertretern der heutigen „Steinernen Stadt“- Praxis bei den Entscheidern gehört, möchte mich gern aussortieren - und tut es auch, wo er die Macht dazu hat. Mir ist durchaus klar, dass es schwerfällt, umzudenken, Dinge anders zu bewerten als man es früher einmal gelernt hat. Aber Architektur und Stadtplanung sind Kunst- und Berufsarten, die in Verantwortung für das Wohl der anderen, die Gesundheit der anderen ausgeübt werden sollten. Wer seinen eigenen „Geschmack“ und seine erlernten ästhetischen Vorstellungen über die zukünftige Gesundheit der Menschen, über das Wohl der Kinder setzt, handelt der verantwortlich genug? 

Ich möchte jeden und jede unterstützen, die einen Wandel zugunsten der gründurchwirkten sauerstoffproduzierenden gemischten Stadtqualität zur „durchwachsenen“ Stadt wünschen. Mit realistischen Mitteln ist das möglich- ich bin Realistin - das Planen und Bauen wird nicht zwangsläufig teurer. Man verliert weder Arbeitsplätze mit den hier vorgeschlagenen Maßnahmen, noch sind die Grün-Maßnahmen nicht bezahlbar. Wir können die gleiche hohe Dichte urbaner Gebiete produzieren, die man in den Städten der Zukunft benötigt – wenn die Stadtplanungsentwürfe von Anfang darauf ausgerichtet ist. Eine Tatsache! Unbegreiflich, wie viele Neuplanungen noch heute immer wieder Grenzbebauungen für Straßenzüge vorsehen, die damit heiße, trockene, nicht versickerungsfähige und feinstaubelastete Stadträume produzieren. 

Die gerechte Verteilung auf alle Schultern gelingt nur mit der entsprechenden gesetzlichen Fixierung. Ich wiederhole: GRÜNFZ, „Nie wieder Grenzbebauung“, Mobilitätswende und Verkehrsreduzierung. 

Der CO2 Anteil der Luft steigt, der Sauerstoffanteil sinkt. Es ist nur logisch, sich einer Maßnahme zu bedienen, die weder Arbeitsplätze vernichtet, noch zu aufwendig ist. Die Städte zu naturdurchzogenen „durchwachsenen Städten“ im Sinne von Gesundheit und Klimaschutz zu entwickeln, die mit Sauerstoffproduktion für ihre Menschen besser sorgen können, ist nur logisch – und eine erreichbare Vision. Fangen wir an.

 


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