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Internationales Fachmagazin für Spiel-, Sport- und Freizeitanlagen

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02.12.2021 - Ausgabe: 6/2021

Spielend barrierefrei und inklusiv

Von Lothar Köppel (Köppel Landschaftsarchitekt)

Photo
© Lothar Köppel


Schön Klinik Vogtareuth Obb.

Die Schön-Klinik ist ein international anerkanntes hochspezialisiertes Krankenhaus im Herzen des oberbayerischen Chiemgaus. Schwerpunkte bilden das Wirbelsäulen- und Skoliosezentrum sowie die Neuro- und Epilepsiechirurgie. Die pädiatrischen Fachzentren für Kinderorthopädie und Neuropädiatrie, neurologische Rehabilitation und Epileptologie sind national und international führend. Das neuropädiatrische Fachzentrum ist eines der größten im deutschsprachigen Bereich. Hier werden Kinder mit unterschiedlichsten neurologischen Krankheiten betreut. Der Verein Silberstreifen e.V. fördert und unterstützt die Patienten-Kinder in der Neuropädiatrie. Ehrenamtlich und auf Spendenbasis hilft der Verein, die Familien schnell und unbürokratisch zu unterstützen. 

 

Projektbeschreibung

Spielplätze sind Orte, an denen sich Kinder begegnen. Sie dienen dazu, Zeit mit Freunden zu verbringen. Sie regen zum Spielen an und stecken voller Herausforderungen und Abenteuer (Prellwitz & Skär, 2007). Für Kinder mit Behinderung ist der Zugang zu Spielplätzen oder die Nutzbarkeit von Spielgeräten aufgrund von physischen Barrieren jedoch häufig eingeschränkt oder gar nicht möglich (Prellwitz & Tamm, 2000; Prellwitz & Skär, 2007; Ripat & Becker, 2012; Moore & Lynch, 2015). Kindern mit Behinderung werden die Spielmöglichkeiten und die Teilhabe an spielerischen Aktivitäten genommen. Dies beinhaltet, sich zu bewegen, sich regelmäßig im freien Spiel zu engagieren und gemeinsam mit Gleichaltrigen zu interagieren. Es besteht daher für Kinder mit Behinderung der Bedarf Möglichkeiten zu schaffen, in ein barrierefreies Spiel mit anderen Kindern zu gelangen (Birkner, Eitel & Menek 2019). Um dem gerecht zu werden, erarbeiteten die Ergotherapeutinnen Corinna Eitel (Schön Klinik Vogtareuth, Abteilung Neuropädiatrie) und ihren ehemaligen Kommilitoninnen Lisa Birkner und Lale Menek in ihrer Bachelorarbeit „The way to play – ein inklusiver Spielplatzentwurf“  ein Konzept für die Gestaltung eines inklusiven und barrierefreien Spielplatzes auf dem Außengelände der Schön Klinik. Die Arbeit wurde 2019 mit dem Wissenschaftspreis der Stiftung Leben pur ausgezeichnet. 

Das im Rahmen der Bachelorarbeit entwickelte Konzept wird von einer interdisziplinären Arbeitsgruppe im Projekt “Einfach spielen!” realisiert. Die Arbeitsgruppe besteht aus Ergotherapeutinnen (Hessenauer & Eitel), einer Erzieherin (Dobler), dem Gebäudemanagement (Wurzer) und der Klinikentwicklung (Karl). Der Verein Silberstreifen e.V. (Kuhn) und das renommierte Landschaftsarchitekturbüro Köppel in Mühldorf a.Inn, mit seinem Seniorchef Lothar Köppel unterstützten das Team.

 

Planungsanforderungen

Bedingt durch die Internationalität, ethnische Herkunft, Religion, Weltanschauung, sexuelle Identität, Sozialstatus, Betroffenheit und Fähigkeiten der Kinder ist Inklusion verbunden mit Barrierefreiheit die Basis für das gesamte Spielplatzprojekt.

Ganzheitlich betrachtet war es die Planungsanforderung, einen inklusiv bespielbaren Therapiefreiraum zu schaffen. Freies und betreutes Spielen mit und ohne Hilfestellung sollte ermöglicht werden. Da die kleinen Patienten überwiegend auf Gehhilfen, Rollatoren und Rollstühle, die auf die Nutzergrößen abgestimmt sind, angewiesen sind, musste dies in der Planung berücksichtigt werden.

 

Planungsgrundlagen

Als Grundlage der Planung dienen die Ergebnisse der Bachelorarbeit “The way to play - ein inklusiver Spielplatzentwurf“. In einer explorativen Studie wurden 47 Teilnehmer:innen (Kinder, Eltern, Therapeut:innen, Erzieher:innen und Pfleger:innen der Neuropädiatrie) nach deren Nutzungserfahrungen und Wünschen auf Spielplätzen befragt (Birkner, Eitel & Menek, 2019). Aus den erhobenen Daten, Informationen aus der Literatur, fünf Experteninterviews und den wissenschaftlichen Einschätzungen der Verfasserinnen entstand der Entwurf für einen barrierefreien und inklusiven Spielplatz. Folgend einige Beispiele aus den Erhebungsbögen: 

Wunsch-Spielelemente: Dabei wurden Rutschen, Schaukeln, Klettergeräte, Sandkasten, Karussell, Wippen und Trampolin primär gewünscht. Die Wünsche waren aber auch nach Spiel mit Wasser und Sand, selbständiges Spiel und Transfermöglichkeiten, barrierefreies Spiel mit Zugänglichkeit und Erreichbarkeit, Hilfsangebote, Rollstuhleignung, Ballspielen.

Wohlfühl-Wünsche: Gemeinsames Spiel, selbständiges Spiel, Spiel mit Wasser, Spielerfolge, Schaukeln.

Mit welchen Materialen spielen die Kinder gerne auf dem Spielplatz? Wasser, Sand, Steine, Holz, Pflanzen, Erde.  Weniger gewünscht waren Plastik, Seile, Sandspielzeug, Metall und Gefäße.

Und was darf auf einem inklusiven und barrierefreien Spielplatz nicht fehlen? Primär: Barrierefreier Sandkasten, Schaukeln und Rutschen, Schattenplätze, Klettergerüste, barrierefreie Spielebenen, Wege, Zugänglichkeiten und Transfermöglichkeiten (Adapter) Weitere Ergänzungen (Aufzählung ohne Wertung) waren: Rollstuhlgeeignete Spielgeräte, Wippen, Verstecke, Tobezonen, Steine, Sitzmöglichkeiten, Sanitäranlagen, Ruhezonen, Spielhaus, kontrastreiche Gestaltung, Herausforderungen, Hängematten, gemeinsame Spiel, Erfolg, Entspannung, Bewegungsmöglichkeiten, auditive Angebote, Platzangebote.

Alle Wünsche wurden gewertet und eine Prioritätenliste, unter Beachtung der Stärken und Schwächen der Studie, für die weitere Planung zusammengestellt:

 

Ergebnis der Bachelor-Arbeit

Wünsche nach Spielmöglichkeiten (in Rangfolge)

 

Rang 1           Rutsche

Rang 2           Schaukel

Rang 3           Klettergerüst

Rang 4           Sandkasten

Rang 5           Karussell

Rang 6           Wippe

Rang 7           Wasserspiel

Rang 8-14

(gleichrangig)       Trampolin, Reifen, Hängematte, Drehplatte, 

                        Brücke, Balancierparcours, Bagger

 

Anregungen zur Bewältigung von Barrieren und Herausforderungen auf Spielplätzen

Anpassung der Umgebung > Erreichbarkeit z.B. das Hinkommen zum Spielplatz und den Spielgeräten sowie barrierefreier Untergrund, Fallschutz.

Anpassung der Zugänglichkeit > Unterschiedliche Zugänge z.B. über Rampen, geringere Haltesprossenabstände, erleichtertes Hoch- u. Hinaufkommen auf Spielgeräte.

Anpassung der Nutzbarkeit > Haltemöglichkeiten und Fixierungshilfen an Spielgeräten, Sitzhilfen, Adapter horizontal und vertikal, Transfermöglichkeiten.

 

Anforderungen

Um die Zugänglichkeit und Nutzbarkeit auf dem inklusiven Spielplatz konstant und nachhaltig umzusetzen, sollte das Design für Alle mit den 7 Prinzipien des Center of Universal Design für die Entwicklung des Spielplatzes angewendet werden.

(1) Breite Nutzbarkeit, 

(2) Flexibilität in der Benutzung, 

(3) Einfache u. intuitive Handhabung, 

(4) Sensorisch wahrnehmbare Informationen, 

(5) Fehlertoleranz, 

(6) Geringer körperlicher Kraftaufwand, 

(7) Größe und Platz für Erreichbarkeit, Zugänglichkeit und Benutzung

 

Hervorzuheben ist, dass Wünsche nach Bewegungsspielaktivitäten im Vordergrund standen.

 

Umsetzung / Planung / Realisierung

Im nachfolgenden Entwurfskonzept wurde versucht, soweit die räumlichen und finanziellen Verhältnisse es zuließen, die Ergebnisse der Bachelorarbeit projektbezogen weitgehend umzusetzen.

Für die zur Verfügung stehende, eingefriedete Fläche innerhalb des Klinikgeländes wurde eine Neuordnung in Form eines bausteinartigen Funktionskonzeptes erstellt.

Die Funktionsbereiche wurden mit einem barrierefreien Leitsystem vernetzt. 

Hierfür wurden insbesondere die Beschaffenheit, Farbe, Kontraste und Struktur der berollbaren Böden herangezogen.

Im Bestand wurden die vorhandenen Vegetationsbereiche und Bäume als einrahmende, bespielbare Funktionsbereiche mit Schattenspendung eingebunden.

Dem Spielterrassenbereich wurde eine Bewegungsspielwiese mit einem Mineralien-Wasserspielbereich zugeordnet.

Ein spielerischer Hauptspielbereich soll eine barrierefreie Kletterrutschkombination parallel zur Grundstücksgrenze bilden. Platzsparend bildet eine geschlossene, transparente bespielbare Rückwand der mehrstöckigen Spielhauskombination die Einfriedung des Spielbereiches.

Barrierefrei wird die Sonderkonstruktion aus natürlichen Robinienhölzern von einer rolligerecht bespielbaren Rampe auf eine Höhe von ca. 2,50m erschlossen.

Mit Adaptern aus haltgebenden Hand- und Fußinstallationen, sowie optischen Ausstattungen werden die unterschiedlichen Auf- und Abgänge barrierefrei bespielbar.

In den entstehenden geschützten Spielräumen sind Einrichtungen für Sinnesbetätigungen und Therapie, sowie als Rückzugsbereiche vorgesehen.

Das wirtschaftlich- und designorientierte minimalistisch gestaltete Multifunktionsspielelement kann viele Wünsche und Anforderungen auf engstem Raum in seiner langgestreckten Erscheinungsform erfüllen.

Ruhe- und Sitzmöglichkeiten begleiten die organisch farbig gestaltete wasserdurchlässige Wegeführung, vernetzend zu den weiteren Funktionsbereichen.

Bewegungsspielangebote bieten die kontaktorientiert gestaltete Mehrfachschaukel mit speziellen Schaukelsitzangeboten für Kinder mit Mehrfachbehinderungen. Kontrastreiche berollbare Bodenadapter führen barrierefrei und therapiefreundlich zu den Bewegungsmöglichkeiten.

Mit dem Rolli auf das benachbarte, für alle nutzbare, Bodentrampolin zu fahren, ist über eine rampenartige Einfahrhilfe möglich.

Standardkonstruktionen waren auf Grund der therapeutischen Anforderungen und Spielwünsche für den Funktionsbereich Sandspiel nicht gewünscht.

Mit nachhaltig wiederverwendetem Großsteinpflaster wurden unterschiedliche Spielhöhen, mit und ohne unterfahrbare Einzel- bzw. Doppelspieltische, geschaffen, die bedingt durch die Sandtiefe optimal an die differenzierten Spielhöhen angepasst wurden.

Liegebretter verbinden die Spielebenen, die auch als Minirutschen genutzt werden können. Ein wiederverwendetes Sonnensegel beschirmt sonneneinstrahlungsorientiert den Großteil der erhöhten barrierefrei nutzbaren Spielflächen. 

Spielnischen, Ablageflächen sowie abschließbare Materialboxen für mobile Sandspielzeuge und Spielfahrzeuge sind konstruktiv geschickt integriert.

Eine unterspielbare, barrierefrei befahrbare Spielbrücke unterteilt räumlich und funktionell den Gesamtsandspielbereich mit speziellen feinkörnigen, formbaren Spielsanden.

Um auch einen zusätzlichen Raum für einen Bereich mit unterfahrbaren Tischspielen wie z.B. Tischtennis zu schaffen, ist im Zufahrtsbereich eine Torverlegung geplant, die ursprünglich als Feuerwehrzufahrt vorgesehen war. Diese wurde auf Grund der neuen Funktionsplanung nicht mehr erforderlich. Die ehemaligen gewidmeten Flächen konnten nun für zusätzliche Spielräume und Spielausstattungen verwendet werden und den Bereichen der gewünschten bzw. explorierten inklusiven, barrierefreien Spielangebote zugeordnet werden.

 

Realisierung

Für die Realisierung wurden, hauptsächlich aus finanziellen Gründen, zwei in sich zusammenhängende Bauabschnitte aus den geplanten Funktionsbereichen für die Zeiträume 2021 und 2022 gebildet.

Für die sicherheitstechnische Überprüfung wurde der TÜV-Süd herangezogen, der für die gefahrlose Benutzung keine Mängel bei der Begutachtung feststellte.

 

Resümee

Bedingt durch die vorbereitende Bachelorarbeit, die aktive Beteiligung der Therapeutinnen, der Träger, des Fördervereins und das fachliche Management, sowie der professionellen Planung bzw. Betreuung, konnte mit einer sehr ehrgeizigen Zeitschiene der 1.Bauabschnitt termingerecht abgeschlossen werden.

Durch die konsequente Anwendung der Inhalte der neuen aktualisierten DIN 18034-1:2020 „Spielplätze und Freiräume zum Spielen“, den die Bachelorarbeit wissenschaftlich bestätigte, konnten planerisch und bautechnisch Spielbereiche geschaffen werden, welche Inklusion und Barrierefreiheit vollinhaltlich berücksichtigen.

Alle freuen sich bereits auf den 2. Bauabschnitt, der hoffentlich alle weiteren Wünsche erfüllen wird.

 

Literaturverzeichnis

Birkner L., Menek L., Eitel C. (2021) The way to play – Spielplatzentwurf für ein Klinik-Außengelände für Kinder zwischen 1,5 und 14 Jahren. In: ergoscience 16 (1): 3-11. 

Center of Universal Design. (1997). Principles of Universal Design. Abgerufen von https://projects.ncsu.edu/ncsu/design/cud/about_ud/docs/German.pdf

Prellwitz, M., & Skär, L. (2007). Usability of playgrounds for children with different abilities. Occupational Therapy International, 14(3), 144-155.

Prellwitz, M., & Tamm, M. (2000). How Children with Restricted Mobility Perceive their School Environment. Scandinavian Journal Of Occupational Therapy, 7(4), 165- 173. doi:10.1080/110381200300008706

Ripat, J., & Becker, P. (2012). Playground Usability: What Do Playground Users Say?. Occupational Therapy International, 19 (3), 144-153. doi:10.1002/oti.1331

 

Weitere Informationen

Die Arbeitsgruppe (Birkner, Eitel & Menek) der Bachelorarbeit von „The way to play- ein inklusiver Spielplatzentwurf“ fungieren weiterhin als Beraterinnen zum Thema inklusiver Spielplatz und Erwartungen, Wünsche und Bedürfnisse der Zielgruppen.

E-Mail: inklusiverspielplatz@gmail.com

 

Planung und Bauüberwachung:

Köppel Landschaftsarchitekt (www.la-koeppel.de)


Ausführung:

Fa. Keuzer GaLaBau 84525 Tittmoning

Fa. Zosseder Erdarbeiten 83549 Eiselfing

Fa. Grossmann Bituarbeiten 83026 Rosenheim

Fa. Bermüller EPDM-Beläge 90451 Nürnberg

Fa. Maier Spielgeräte 83352 Altenmarkt

Fa. Langer Trampoline 16349 Wandlitz

Fa. Ganslmaier GaLaBau-Montagen

Schön-Klinik Eigenleistungen

 

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