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02.12.2021 - Ausgabe: 6/2021

Der inklusive Spiel- und Begegnungsraum „Schulweg“ in Ennigerloh

Von Wiebe Erdmanski-Sasse (Dipl.-Ing. Landschaftsplanung/-ökologie / Stadt Ennigerloh)

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© Die Glocke / Schraeder, Inderlied, Schomakers


Am letzten Märzwochenende 2019 bei strahlendem Sonnenschein krempeln große und kleine Freiwillige die Ärmel hoch und bauen am Schulweg in Ennigerloh einen inklusiven Spiel- und Begegnungsraum auf einem alten Spielplatz.

Insgesamt haben 44 Personen an zwei Tagen mitgewirkt unter Anleitung der Ideenwerkstatt Lebens(t)raum e.V. Überwiegend Familien mit Kindern, z.T. mit Migrationshintergrund, aber auch Kinder und Jugendliche ohne Begleitung sowie Menschen mit Behinderung. Viele hatten bereits an der Planungswerkstatt teilgenommen. Bezeichnend der Ausspruch eines Passanten: „Die bauen ja wirklich mit“.

 Für die kleine finanzschwache Stadt Ennigerloh (19.000 Einwohner) im Zementrevier im ländlich geprägten Kreis Warendorf im Münsterland ist es das erste Projekt dieser Art und eine echte Herausforderung. Denn der Anspruch an den inklusiven Beteiligungsprozess bei Bedarfsanalyse, Standortsuche, Planungswerkstatt und Mitmachbaustelle ist hoch. 

Doch „Inklusion – wir sind dabei“ ist in Ennigerloh nicht nur ein Motto. Es wird gelebt.

Das große ehrenamtliche Engagement der Inklusionsbeauftragten, unterstützt durch den Arbeitskreis Inklusion vor Ort, bildet einen Rahmen aus vielen Einzelprojekten auch mit Schulen, in dem das Projekt inklusiver Spiel- und Begegnungsraum möglich wurde. Außerdem ist Inklusion im Innenstadtgefüge fest verankert. Neben einem Wohnheim für Menschen mit Behinderungen und einer externen Wohngruppe befindet sich hier eine Kurzzeitpflege für Kinder mit Behinderungen, die einzige im Kreis Warendorf und auch bundesweit eher selten.

Diese insgesamt 13 sozialen Einrichtungen in der Kernstadt (d.h. Kindergärten, auch mit heilpädagogischer Gruppe, Grund- und Gesamtschule, Jugendzentrum, Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen sowie Senioren) wurden bei der Bedarfsanalyse von Beginn an mit eingebunden.

Mit Ratsbeschluss vom Dezember 2015 zur „Spielplatzentwicklungsplanung für Ennigerloh-Mitte“ hatte die Stadt einen Beteiligungsprozess zur Aufwertung ihrer Spielplätze gestartet. Insgesamt wohnen in der Kernstadt rund 1.000 Kinder im Alter von drei bis zwölf Jahren. Gemäß Ratsbeschluss soll das Angebot auf den Spielplätzen attraktiver werden hinsichtlich Bewegung, kreatives Spiel und Naturerleben. Neue Nutzergruppen wie U3-Kinder, Menschen mit Behinderungen, Mehrgenerationen sollen angesprochen werden. Denn die meisten Spielplätze wurden in den 1980er/90er Jahren mit robusten Holzgeräten des Standardprogramms (Schaukel, Wippe, Sandbaugerüst, Reck) ausgestattet. Seitdem erfolgt Bestandserhaltung.

Um sich der Aufgabe Inklusion auf Spielplätzen zu stellen, gelang es der Inklusionsbeauftragten, eine Gruppe Master-Studierende der Technischen Universität Dortmund, Fachbereich Rehabilitationswissenschaften, für ein Projekt im Wintersemester 2016/17 zu begeistern. In einer Bedarfsanalyse wurden 98 Menschen in den 13 sozialen Einrichtungen zu ihren Wünschen ausführlich und altersgerecht befragt (42 Kinder, 22 Jugendliche, 6 Menschen mit Behinderungen, 7 Senioren und 21 Mitarbeiter) und die Ergebnisse öffentlich präsentiert. Ein Aufwand, der seitens der Verwaltung nicht hätte geleistet werden können.

Dass die Standortwahl auf den alten Spielplatz Schulweg nahe am Markplatz fiel, war konsequent, aber nicht unumstritten. Im Zuge der städtebaulichen Erneuerung der Innenstadt hätte man sich auch eine Verkleinerung der 1.900 m² großen Spielplatzfläche zugunsten von Bauprojekten vorstellen können.

Im Beteiligungsprozess der TU Dortmund zeigte sich, dass ein Inklusionsspielplatz mit großflächigem Gummibelag für den Spielplatz Schulweg wegen des alten Baumbestands weder bautechnisch umsetzbar ist, noch gewünscht wird. Gerade die Kindergärten, die den Spielplatz regelmäßig nutzen, legen Wert auf eine naturnahe Gestaltung.

Mit dem Konzept „inklusiver Spiel- und Begegnungsraum mit Funktion eines kleinen Stadtparks“ bewarb sich Ennigerloh im Herbst 2017 am Programm „Zukunft Stadtgrün“ und bekam eine Zusage für 60.000,- Euro Städtebauförderung. Bei einem Eigenanteil von 40.000 Euro wurde die Bausumme damit auf 100.000 Euro festgeschrieben.

Das eingereichte Konzept sah einen befestigten Weg über den Spielplatz vor, bisher eine reine Rasenfläche. Die vorhandenen Geräte sollten überwiegend erhalten bleiben (d.h. Seilbahn; eine von zwei Doppelschaukeln; Holzspielkombi mit zwei Türmen, Rutsche und Wackelsteg; Stufenreck).

Neu geplant wurden: ein Wasser- und Sandspiel mit unterfahrbaren Tischen bzw. Becken, ein kleines Rollstuhlkarussell, ein kleines Rollstuhltrampolin, eine Gurtsitzschaukel, eine Sitzgruppe mit einem unterfahrbaren Tisch, ein Naturspielerlebnisraum für kleinere Kinder als Mitmachbaustelle und räumlich getrennt davon einer für größere Kinder.

Für die weitere Planung mit Mitmachbaustelle konnte die Ideenwerkstatt Lebens(t)raum e.V. beauftragt werden. Die inklusive Planungswerkstatt fand im Juni 2018 mit 30 Teilnehmenden statt. Diese bauten in Gruppen drei Modelle. Als Anregung stellte die Ideenwerkstatt die vorhandene Seilbahn in Frage, da sie viel Platz einnimmt. Zwei Gruppen stimmten gegen den Erhalt der Seilbahn, nur eine dafür. Dadurch konnte die räumliche Gestaltung völlig neu konzipiert werden.

Das Freiraumkonzept, das die Ideenwerkstatt in der Planungswerkstatt skizzierte, sieht im Zentrum einen weiträumigen naturnahen Bachlauf mit großen Steinen vor, der aus dem barrierefreien Wasserspiel gespeist wird, den Hauptweg in einer Furt kreuzt und schließlich in einer Rigole versickert. Die Schaukeln werden ersetzt durch eine große inklusionsgeeignete Vogelnestschaukel. Unter den Laubbäumen soll ein Hüttendorf entstehen und unter den Nadelbäumen Sitzpodeste. Im Übergang dieser beiden Bereiche gibt es einen Niederseilgarten – soweit der nördliche Bereich und spätere erste Bauabschnitt. Im Süden schließt sich unter der großen Platane ein Stämme-Mikado zum Beklettern an und eine naturnahe Hügellandschaft mit Kletterrampe.

Dass die von vielen Kindern geliebte Seilbahn der Neuplanung geopfert wurde, ließ die Verantwortlichen nicht ruhen. Es wurde ein Gerät gesucht, dass sowohl inklusionsgeeignet wie auch attraktiv für größere Kinder ist. Eine Internetrecherche führte zu einer kanadischen Schule, die ihr großes, bekletterbares Karussell gefilmt hat, in das die Kinder aus dem Rollstuhl hineingehoben werden können. Tatsächlich konnte ein vergleichbares Produkt in Deutschland gefunden werden – die Weltraumkapsel.

Da es sich nicht um ein klassisches Rollstuhlkarussell handelt, wurde das Team der Kinderkurzzeitpflege hinsichtlich einer Einschätzung zum inklusiven Spielwert des Geräts befragt. Die Antwort fiel positiv aus: Das Karussell ermögliche gemeinsames Spiel von Kindern mit und ohne Behinderung und Interaktion; z.B. angeschoben werden von anderen Kindern oder als Rollifahrer*in dem Karussell Anschwung geben. Betont wurde die Möglichkeit der Nutzung auch im Liegen, da der Boden als großes Vogelnest ausgebildet ist. So biete es den Kindern Wahrnehmung der Geschwindigkeit, Rotation und veränderten Lage.

Blieb noch ein Problem. Es sollte mit Montage durch eine Fachfirma 13.600,- Euro kosten zzgl. 20.000,- Euro für den vergossenen Fallschutzbelag. Das war in der Bausumme von 100.000,- Euro nicht mehr drin.

 Aber Aufgeben war keine Option, insbesondere nicht für die Inklusionsbeauftragte. Es wurde beschlossen, das inklusive Karussell komplett aus Spenden zu finanzieren. Auch fand sich ein Weg, die Kosten zu senken, indem fallschutzgeeignete Rasengitterplatten eingeplant wurden. Die durch Spenden aufzubringende Summe sank damit auf 18.800,- Euro.

Nach der erfolgreichen ersten Bauaktion im März 2019 mit guter Presse ließ sich das Einwerben von Spenden durch die Inklusionsbeauftragte vielversprechend an.

Für den 8. Mai 2020 plante der Arbeitskreis Inklusion ein Begegnungsfest mit verschiedenen Spendenaktionen auf dem Spielplatz Schulweg anlässlich des Europäischen Tages der Menschen mit Behinderungen. Doch dieses wurde wegen der Corona-Pandemie abgesagt, wie auch die für Juni 2020 geplante zweite Bauaktion. Das erforderte eine neue Strategie. Statt lokaler Spendenaktionen wurden nun überregional Stiftungen angeschrieben. Und wieder überzeugte das Konzept aus Ennigerloh. Im Sommer 2020 waren die Spenden für das inklusive Karussell komplett.

Zur Fertigstellung der Mitmachbaustelle kam die Kolpingsfamilie Ennigerloh tatkräftig zu Hilfe. Dabei stellte sich heraus, dass es bereits im „Jahr des Kindes“ 1979 eine Bauaktion der Kolpingsfamilie auf dem Spielplatz Schulweg gegeben hatte. Über den Arbeitseinsatz hinaus spendete die Kolpingsfamilie 2020 auch eine große Infotafel. Damit kann vor Ort über die Projekte berichtet werden, die den inklusiven Begegnungsraum mit Leben erfüllen.

Nach einer gemeinsamen Pflanzaktion im Herbst 2019 von Gesamtschule und dem Gartenteam der Freckenhorster Werkstätten, einer Werkstatt von Menschen mit Behinderungen, wurde im Herbst 2020 ein inklusives Baumpatenprojekt für zehn neu gepflanzte Bäume auf dem Spielplatz Schulweg gestartet. Möglich wurde dieses über mehrere Jahre angelegte Projekt zu Umwelt- und Klimaschutz, weil die Stadt inzwischen eine Stelle für ein freiwilliges ökologisches Jahr (FÖJ) geschaffen hat.

Für den 3. Dezember 2021 bereitet der Arbeitskreis Inklusion eine Veranstaltung zum internationalen Tag der Menschen mit Behinderung vor einschließlich Einweihung des inklusiven Karussells. Als Weltraumkapsel wird sie dem berühmten Physiker Stephen Hawking gewidmet. Schülerinnen und Schüler der Gesamtschule erarbeiten eine Ausstellung zu diesem besonderen Menschen, der sich trotz fortschreitender körperlicher Behinderung nicht in seinem Lebenswillen einschränken ließ.

Und es geht weiter mit inklusivem Spielen in Ennigerloh. Im Dezember 2020 hat der Rat die Aufwertung weiterer Spielplätze mit neuen Geräten beschlossen. Darunter sind eine Vielzahl inklusionsgeeigneter Geräte, insgesamt 16 kleine Vogelnestschaukeln, 12 Sandspieltische, 4 kleine Karussells. Außerdem wurde in Abstimmung mit der Inklusionsbeauftragen ein weiteres überwiegend aus Spenden finanziertes Projekt in Lebens gerufen, das zum Ziel hat, jeden Ortsteil mit einem Rollstuhlkarussell auszustatten.

Aber natürlich geht es nicht nur um Rollstuhleignung. So lieben diejenigen Kinder mit Behinderungen in der Kurzzeitpflege, welche nicht im Rollstuhl sitzen, besonders den Niederseilgarten am Schulweg. 


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