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Playground@Landscape

Internationales Fachmagazin für Spiel-, Sport- und Freizeitanlagen

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02.12.2021 - Ausgabe: 6/2021

Die Springsiedlung in Berlin- inklusive Spielräume in einer Großsiedlung der 1960er Jahre

Von Claus Herrmann (hochC Landschaftsarchitekten PartGmbB / www.hochc.de) und Ulrich Paulig

Photo
© Marcus Witte


Die Springsiedlung befindet sich in Berlin- Kreuzberg und ist eingebettet zwischen dem Mehringplatz und dem Jüdischen Museum. Die Außenanlagen wurden in den Jahren 2017 – 2021 von hochC Landschaftsarchitekten geplant und grundhaft wiederhergestellt und erneuert. Die Spielanlagen wurden maßgeblich in enger Zusammenarbeit mit Ulrich Paulig entwickelt, Auftraggeber ist die Deutsche Wohnen SE, Berlin.

Die Springsiedlung ist hinsichtlich ihrer Lage einzigartig in Berlin, da sie nach den Konzepten einer Stadtrandsiedlung in den Wiederaufbaujahren nach dem 2. Weltkrieg nahe der Westberliner Stadtgrenze angeordnet wurde, sich jedoch heute im Zentrum der Stadt, ja sogar in der geografischen Mitte Gesamtberlins befindet. Statt der bis dahin meist typische Blockrandbebauung wurde die Großsiedlung gleichsam am Westberliner Stadtrand im Schatten der Mauer gebaut. Sie ist ausgestattet mit innerstädtisch heute kaum mehr anzutreffenden großzügigen Grünflächen, die um die in offener Bauweise errichteten Wohngebäude fließen. Der damalige Grenzübergang Checkpoint Charlie ist nicht weit entfernt. Als die Springsiedlung in der Hochzeit des Kalten Krieges geplant und gebaut wurde, glaubten die städtischen Bauherren wohl kaum an eine Wiedervereinigung beider deutschen Staaten. Auch nach der Wende wurden die Freianlagen der Springsiedlung kaum modernisiert, die Spielanlagen waren in keinem guten Zustand mehr, die Freianlagen wurden vorwiegend als Transitraum zwischen Parkplatz und Wohnhäusern genutzt. 

Bereits in einer zurückliegenden Ausgabe von Playground@Landscape (06/2020) konnten wir das Revitalisierungskonzept und die Wiederherstellung der Freianlagen der Springsiedlung vorstellen, hier möchten wir uns nun den Aspekten der inklusiven Spielplatzplanung widmen und wie diese am Beispiel der Springsiedlung mit Ihren neuen und großen Spielanlagen umgesetzt wurden.

Obwohl die inklusive Spielplatzplanung seit langer Zeit in der Gesetzgebung verankert ist (Grundgesetz, Gleichstellungsgesetz, UN- Konventionen, Rechte für Kinder, usw.), so gibt uns Planungsbüros erst die Novellierung der DIN 18 034 die entsprechende Handhabe zur gezielten Anwendung. Der Teil 1 der DIN erschien im vergangenen Jahr, mit einem Teil 2 der DIN, als „technischer Report“, wird im kommenden Jahr gerechnet. Im Teil 2 wird der Handlungsbereich einer Umsetzung eines inklusiven Spielplatzes näher beschrieben und wird uns Planungssicherheit im Umgang mit Menschen mit und ohne Behinderungen auf den Spielplätzen vermitteln. Dieser Teil 2 der DIN TR 18 034, die so genannte Matrix, ist noch nicht verabschiedet und somit noch keine Normung und wird von uns im „Praxistest“ angewendet.

Als die Springsiedlung geplant wurde, konnten wir vor allem auf unsere umfassenden Erfahrungen zurückgreifen, da uns die genannte Matrix in der ausgearbeiteten Fassung noch nicht vorlag. Auch war uns bewusst, dass den Spielplatzanlagen in der Springsiedlung und den wegebegleitenden „Informellen“ Spielangeboten eine hohe identifikationsstiftende Bedeutung zukommen würde und möglichst vielschichtige auch inklusive Begegnungsmöglichkeiten innerhalb der Springsiedlung geschaffen werden sollten. Von der Bauherrin wurde und wird die Umgestaltung und Weiterentwicklung der Freianlagen der Springsiedlung als ein modellhaftes Projekt für nachhaltige Siedlungsentwicklung betrachtet und die Planungsprozesse entsprechend unterstützt.

Der innerstädtische Spielplatz ist einer der sozialen Orte, auf dem vor allem Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen gemeinsam spielen, sich Begleitpersonen mit und ohne Behinderungen treffen und austauschen und gemeinsame schöne Momente in vertrauter Umgebung erfahren können. Es handelt sich im besten Fall um Spielräume mit gemeinsamen Erlebnispotential, die sich durch eine Spielplatzplanung und keine „Möblierung“, einem inklusiven Spielangebot und einer hohen Spielwertplanung auszeichnen. 

Unter Begegnungsmöglichkeiten verstehen wir Bereiche, die gezielt die Begegnung von Menschen mit und ohne Behinderungen fördern. Ob und inwieweit Menschen mit Behinderungen in der Springsiedlung als Mieterinnen und Mieter leben, war uns im Vorfeld im Detail nicht bekannt. Diese Frage ist aus unserer Sicht auch nicht erheblich, da alle Menschen durch gewisse Umstände in ihrem Leben Einschränkungen erleiden können und auch in diesen Umständen das nutzbare Umfeld vorhanden sein muss, sofern ein selbstbestimmtes Leben möglich ist. 

In der inklusiven Spielplatzplanung sind die sozialen Aspekte zu berücksichtigen. Dazu zählen Kommunikation, Selbstwahrnehmung, Gruppenspiel, Einzelspiel und Begegnung.

Hilfreich für die Planung war, dass die fünf kleinen Spielplätze in der Springsiedlung schon in der Vorentwurfsphase zu zwei größeren Spielbereichen zusammengefasst werden sollten. Dadurch erlangten wir einen größeren Handlungsspielraum in der Umsetzung und konnten gezielt und großzügiger planen.

Das Spielplatzhighlight stellt eine unikate Spiellandschaft auf dem zentralen Spielplatz dar, die ein vielseitiges Angebot an Herausforderungen bereitstellt, wie z. B. eine hohe Röhrenrutsche, verschiedene ineinander verschachtelte Türme, mit unterschiedlichen Aufstiegen, die so in der Springsiedlung weitgehend erstmalig entwickelt und gebaut wurden. Die Türme erhielte Anreize zur Sinneswahrnehmung: So konnte das Sehen über unterschiedliche Farbfenster gefördert werden, die das Licht der Innenbereiche der Türme in unterschiedlichen Farben erscheinen lassen. In Bereichen, die speziell barrierefrei erreichbar sind, stehen Angebot von Zerrspiegeln und verspiegelten Deckenelementen zur Verfügung. Das Tasten wird durch die Verwendung von unterschiedlichen Materialien erreicht und die Sinneswahrnehmung Fühlen über Gefühlsduschen gefördert. Auf die Sinneswahrnehmungen Riechen und Schmecken gehen wir noch gesondert ein.

Neben der großen Spielanlage befindet sich ein Erlebnisspielbereich für kleine Kinder, der durch einen Holzsteg mit Gefühlsduschen unterbrochen ist. In Kreissegmenten sind unterschiedliche Sandspielbereiche angeordnet, die auch für Rollstuhlfahrer anfahrbar sind. Die Podeste sind in unterschiedlichen Höhen gestaffelt und bieten somit einen optimalen Umsitzbereich für Rollstuhlfahrer mit verschiedenen Körpergrößen. Die Sandaufzüge sind innerhalb dieser Sandbaustellen für Umschüttspiele von verschiedenen Standorten sehr gut erreichbar. Neben Sandssieben befinden sich weitere große Löcher in den Kreissegmenten. Diese sollen das Spielen für Menschen mit und ohne Behinderungen erleichtern. Oben auf dem Podest sitzen die Kinder, die die Podeste als Umsitzpodeste aus dem Rollstuhl benutzen und unterhalb der Podeste gelangen die Kinder zu den oberen Spielebenen. Um den Sandbereich befindet sich ein „Pumptrack“, als kleine „Offroad- Strecke“ für Rollfahrzeuge, wie Rollstuhl, Rollatoren, Fahrräder, Dreiräder, Roller, Bobbycars, usw. Der „Pumptrack“ wurde aus unterschiedlichen Materialien hergestellt und besteht aus Wegeabschnitten aus Holz, aus Holzpflaster, aus steil aufgestellten Holzleisten, aus Rundhölzern, aus Terrassenbereichen mit unterschiedlichen Verlegerichtungen und aus Terrassenbereichen mit eingebauten so genannten „Nupsis“. Hierbei handelt es sich um kleine Bodenwellen, die z.B. Schiefstellungen von Rollstühlen innerhalb einer Fläche verursachen und damit die Herausforderungen provozieren, ohne jedoch das Unfallrisiko zu erhöhen. 

Abseits dieser Spielflächen befinden sich mehrere große Podeste als Sitz- und Liegepodeste, Naschgärten und Riechgärten. Hier werden die Sinneswahrnehmungen Riechen und Schmecken gezielt angesprochen. Die Podeste sind rund, erhöht und verfügen über eine besitzbare Einfassungskante. Sie stehen innerhalb von Rasenflächen, die als berollbar gelten und somit auch von Rollstühlen anfahrbar sind. Innerhalb der Flächen befinden sich unterschiedliche essbare Pflanzen, wie z.B. Walderdbeeren und Johannisbeeren. Die ersten realen Nutzungserfahrungen haben gezeigt, dass diese Bereiche von den Mietern sehr gut angenommen respektiert und akzeptiert werden, sodass Zuversicht besteht, weitere Nutzpflanzen in der Springsiedlung implementieren zu können. 

Ein separater Sitzplatz mit einem Tisch steht im lichten Schatten eines riesigen Zuckerahornbaumes zur Verfügung. Sonnen- und Schattenbereiche wechseln sich ab, da auch ein kleiner Birkenhain gepflanzt wurde. Ausweichmöglichkeiten stehen durch einen weiteren Spielbereich zur Verfügung, der aus Steinen, Holz und Wasser geplant wurde.

Aus unseren Erfahrungen der beiden vergangenen Jahre, die auf Grund der Corona- Pandemie einen erheblichen Nutzungsdruck auf die Flächen ausgelöst hat, können wir feststellen, dass das Konzept hervorragend angenommen wird und die Spiellandschaften eine zentrale Bedeutung für das Quartier erlangt haben und zu wichtigen sozialen Orten der Begegnung geworden sind.
 Besonders gefreut hat uns auch, dass die Anwohnerinnen und Anwohner insbesondere im Umfeld der Spiellandschaften in Eigeninitiative eine Aktionsgruppe gegründet haben, die dazu beiträgt, dass „ihre“ Spielanlagen gepflegt und nicht verunreinigt werden. Ein schönes Zeichen für die gelungene soziale Aneignung der Freianlagen. Regelmäßig finden Müllsammelaktionen der Anwohner statt, die aufgrund der starken Nutzung der Spielanlagen auch aus den benachbarten Kiezen einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung der Attraktivität leisten. 

Die gezielt eingesetzte Ausstattung der Spielangebote mit hohem Spielwert fördern das Zusammensein aller Menschen. Es handelt sich vollumfänglich um ein inklusives Spielangebot, dass durch eine Matrix so auch bestätigt werden würde. Die Umsetzung dieses inklusiven Spielraums hatte keine höheren Kosten im Vergleich zur Herstellung herkömmlicher Spielanlagen zur Folge.

 


Weitere Informationen: 

Podcast 13 Let´s talk Landscape mit Uli Paulig: https://www.hochc.de/podcast/beitraege-podcasts/podcast-folge-13-spielraeume-mit-ulrich-paulig.html

  

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