Stadt fair teilen - was kann Planung beitragen?
Unsere Städte sind über Jahrhunderte gewachsen, darin spiegelt sich auch die Geschichte der städtischen Gesellschaft, wer hatte das Sagen, für wen waren welche Berufe zugänglich. Stadt ist ein...
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Mangelnde Perspektiven für Kinder und Jugendliche aus Stadtteilen mit Entwicklungsbedarf sind leider nicht selten und gefährden die Zukunft vieler junger Menschen, die sich nicht mit einem solchen Stillstand von Entwicklung zufriedengeben. Das Konzept „Hood Training“ bietet Kindern und Jugendlichen neue Optionen und Chancen, die sich aus persönlicher Motivation, aktiver Jugendkultur sowie Teamwork ergeben; nach dem Motto „Niemals stehen bleiben“.
Daniel Magel (*1982) kam 1995 mit seinen Eltern aus Kasachstan nach Deutschland. Als Spätaussiedler lebte die Familie in Bremen Osterholz, einem Stadtteil der Hansestadt Bremen mit der Postleitzahl 28 325. Nach dem Besuch des Schulzentrums an der Koblenzer Straße machte er 2002 Abitur und studierte Inklusionspädagogik an der Universität Bremen. Mit seinen Freunden gründete er zunächst eine private Initiative „Hood Work Tenever“. Seit 2010 wurde aus der Initiative ein Projekt unter dem Label „Hood Training“. Anstatt die Kids sich selbst zu überlassen, wird im „Hood Training“ gemeinsam Sport getrieben – solange es die Temperaturen zulassen im Freien, ansonsten in der Halle, Aula oder in sonstigen Räumlichkeiten. Heute ist Hood Training freier Träger der Jugendhilfe in Bremen und Mitglied im Diakonischen Werk Bremen.
„Seit ich mich erinnern kann, haben wir zuhause in Kasachstan Sport gemacht. Wir hatten eine Klimmzugstange im Garten, mein Vater ist gejoggt, hat Klimmzüge gemacht und mit Kugelhanteln trainiert. Sport spielte eine große Rolle. In jedem Vorhof gab es damals Stangen und selbstgebaute Geräte. Aber es gab eben auch schon damals in vielen öffentlichen Parks Turngeräte. Und an denen haben die Leute dann trainiert. Es haben sich Cliquen getroffen und versucht, sich gegenseitig zu überbieten. Der Sport wird viel draußen betrieben und das Gute ist, dass man eigentlich kein Equipment braucht. Jeder kann einfach so damit anfangen – egal wie man aussieht, oder ob man Geld hat oder nicht,“ sagt Daniel Magel, Gründer von Hood Training. „Dort, in Kasachstan, in der Vorstadt, war alles klein und übersichtlich, hier in Deutschland plötzlich alles größer und unübersichtlicher. In Bremen habe ich dann mit dem Boxen angefangen. Es gab eine Phase, in der ich Sport gemacht und geboxt habe, und dann wieder eine Zeitlang nicht, sondern war eher mit Unsinn beschäftigt, ich hatte Ärger mit der Polizei und den Lehrern, und so weiter. …
Fitness habe ich trotzdem immer gerne gemacht. Dann haben wir 2001 Hood Work Tenever mit ein paar Freunden gegründet. Das war für uns die Chance, miteinander abzuhängen, ohne Sozialarbeiter aus dem Jugendclub. Wir gingen in leerstehende Gebäude, die kurz vor dem Abriss standen, und nutzten diese für unsere Zwecke. Wir schafften die einfachsten Trainingsgeräte an. Irgendwann wurde das Gebäude abgerissen, so dass wir uns erneut auf die Suche nach einer Unterkunft machten. Ziel war es, selbstverwaltet einen kleinen Clubraum zu betreiben und dort zu trainieren.“
Daniel Magel und seine Freunde haben es geschafft, ein bisschen Geld zu akquirieren, mit dem sie Hip-Hop Jams organisieren konnten. Seit Ende der 1990er Jahre waren sie sehr aktiv. Magel selbst hat während seines Studiums in Freizeitclubs und Vereinen geboxt. Und in einem dieser Freizeitclubs hat er dann selbst eine Trainingsgruppe übernommen, gefördert vom Land Bremen. Die Förderung lief natürlich irgendwann aus, aber er hatte Lust, weiter zu machen und ab Sommer 2010 ging es dann auf Eigeninitiative los. Das Projekt brauchte nur noch einen Namen: In der ‚Hood‘ war es immer noch, also ‚Hood Training’.
Wer steckt hinter Hood Training? „Im Laufe der Zeit konnte ich ein großes Netzwerk aufbauen – mit unterschiedlichen Leuten, die mich unterstützen: beim Akquirieren von Geldern, beim Schreiben von Anträgen, organisieren verschiedener Projekte, beim Entwerfen von Trainingsanlagen, sie helfen mit, Logos und Labels für Klamotten zu entwerfen, Videos zu schneiden, Musik zu produzieren, Graffiti zu malen, Magazine und Websites zu designen und eben auch als TrainerInnen. Viele davon engagieren sich sehr – parallel zu ihrem Studium,“ sagt Magel.
Hood Training finanziert sich über Mittel der verschiedenen senatorischen Bremer Ressorts: Soziales, Bildung, Inneres und Kultur und Mitteln des Bundes, aber auch über Aufträge und Dienstleistungen, Spenden- und Fördergelder, Sponsorings der Unternehmen oder aus der Privatwirtschaft.
Das Hood Training Konzept unterscheidet sich von anderen Jugendprojekten durch eine Vielschichtigkeit von verschieden Angeboten. Der komplett neue Ansatz macht es Hood Training möglich, gezielt urbane Jugendkultur positiv zu beeinflussen, ohne dabei im klassischen Sinne belehrend zu wirken. TrainerInnen werden gleichermaßen als Vorbild und Respektperson akzeptiert, dies wird durch die Authentizität der Trainer sowie das Arbeiten auf Augenhöhe mit den Teilnehmenden etabliert.
Ziel ist es, das Interesse der Jugendlichen zu wecken, indem sie die Möglichkeit haben, an verschiedenen Sportangeboten und urbanen Jugendkultur (Graffiti, Hip-Hop, Tanz) Projekten teilzunehmen. Durch die konstant positive Entwicklung von Beziehungen zwischen den TrainerInnen und Teilnehmenden können die pädagogischen Ansätze während des Trainings greifen. Der richtige Ansatz für den Umgang mit Konflikten ist extrem wichtig beim Hood Training, daher wird den Teilnehmenden eine Möglichkeit zum Frustabbau geboten, sowie der richtige Umgang mit Konflikten nahegelegt. Außerdem stehen Integration und Kommunikation im Vordergrund; dies hat einen positiven Einfluss auf die Verminderung der Gewaltbereitschaft und stärkt zugleich das Selbstbewusstsein der Teilnehmenden.
Heute kommen mehrere Hundert Kinder und Jugendliche zu den Trainings an mehr als zehn Spots in Bremen und Niedersachsen, die Hood Training in den KiTas, auf der Straße, in den Schulen, in den Freizeitzentren, auf Veranstaltungen und Messen und überall sonst ansprechen. Seit dem Jahr 2014 stoßen auch viele Geflüchtete zum Hood Training. Dazu kommen die Leute, die über die Website (www.hoodtraining.de), Instagram Auftritt oder über Mundpropaganda aufmerksam werden.
Für die Verbreitung der Inhalte ist das Internet als eine Art digitaler öffentlicher Raum sehr wichtig. Aber auch für die Organisation: wann und wo ist Training? Wer macht das Training? Wer kommt da hin? Das läuft viel übers Netz: über Facebook, Instagram. Mittlerweile gibt es auch die Hood Training App, die gratis für alle zur Verfügung steht. Da können auch Schulen und Flüchtlingseinrichtungen gut drauf zugreifen, und jeder Einzelne ohnehin.
Die „Kunden“ von Hood Training sind vor allem die Kids, die oft draußen rumhängen, kiffen oder sonstigen Mist aus Langeweile treiben. Aber auch alle anderen sind ebenfalls willkommen. Für die Jugendlichen ist es total wichtig, ein Ventil beim Hood Training zu bekommen. Für viele ist das tatsächlich einer der wenigen Momente des Halts. Sie wissen: es ist ein sicherer Ort, da kann ich hin, zu der und der Zeit. Da ist jemand, der etwas mit mir macht, der mich anleitet und wo es egal ist, was ich sonst bin. Da geht es nur ums mitmachen, ums pushen und um den nächsten Klimmzug. Wer schafft noch einen? Wer schafft in der nächsten Woche wieder einen mehr. Man kann sich gemeinsam mit einer Gruppe entwickeln.
„Wir vermitteln aktiv bestimmte Werte. Unsere Einstellung ist, dass es jede Person, egal wie sehr sie am Boden ist, zu etwas bringen kann. Das vermitteln wir eher nebenbei. Wenn du merkst, dass du besser wirst, weil du weniger rauchst, lässt du das Rauchen vielleicht bleiben. Wenn du merkst, dass du besser trainierst und mehr Leistung bringst, wenn du dich besser ernährst, dann tust du das vielleicht. Wenn die Kids bemerken, wie sich der Körper entwickelt, wie sie sportlicher werden, wie Muskeln wachsen, dann verliert anderes an Wichtigkeit. Man misst sich dann eben an den Stangen und nicht mehr damit, wer gerade wieder den dümmsten Spruch rausgehauen oder etwas Schlimmeres gemacht hat. Wenn Sport meine Droge wird, brauche ich keine anderen Drogen und auch kein schnelles Geld, um die Drogen zu besorgen,“ führt Daniel Magel weiter aus.
Ziel bleibt es, Jugendlichen einen Ort zu bieten, an dem sie Rückhalt finden, ihre Fähigkeiten entwickeln und durch Sport in der Gemeinschaft eine sinnvolle Beschäftigung ausüben können. Hood Training möchte ihnen zeigen, dass sie sich konstruktiv einbringen, persönlich weiterentwickeln und ihre Fähigkeiten auf andere Lebensbereiche übertragen können, anstatt auf der Straße rumzuhängen.
„Und wir hören die Musik der Kids zum Training teilweise selbst. Aber wir klären die Kids darüber auf, dass der, der gerade im Rap über Kilos von Koks redet, eigentlich ein Informatikstudent aus Offenbach ist. Für den ist die Musik ein Job. Der redet nicht von seinem Leben. Die Jungs können die Musik hören, die sie wollen. Wir können letztlich nur als Vorbild etwas anderes vorleben,“ so Magel.
Vielen der Kinder fehlen andere Vorbilder. Manche werden zuhause geschlagen, andere haben noch keine Perspektiven für ihr Leben aufgezeigt bekommen. Wenn man auf die Oberschule in Bremen-Tenever gegangen ist, so wie Daniel Magel, dann sind die Chancen, einen Ausbildungsplatz zu bekommen, eigentlich gleich Null. Man ist als Schüler dort von Anfang an stigmatisiert. Das wissen die Schüler auch.
Wenn deine Schule einen schlechten Ruf hat, und der Stadtteil, aus dem du kommst, auch: Wer will dich dann noch im Betrieb haben? Das sind dann die Kids, die auf den Bänken im Park hocken und kiffen. Für viele von ihnen ist die Perspektive die – wenn es gut läuft – als Ein-Euro-Jobber irgendwo unterzukommen. Sie sind aber auch ein gutes Beispiel dafür, wie man trotz vermeintlicher Perspektivlosigkeit Schule und Studium abschließen kann. Das spielt in der Zusammenarbeit sicher eine Rolle. Was muss zusammenkommen, damit das funktioniert und wie kann die Stadt als Institution und als gebaute Umgebung dazu beitragen?
„Klar, es spielt eine Rolle, dass die Jugendlichen wissen, dass ich einer von ihnen bin. Ich hatte auch Probleme mit Lehrern, bin mit der Polizei aneinandergeraten. Wenn du in einem Viertel wie Bremen Tenever aufwächst und du hast Eltern, die dir Ratschläge mit auf den Weg geben, macht das schon viel aus. Wenn du aber nur Missachtung und Gleichgültigkeit mitbekommst, ist es deutlich schwerer. Dann brauchst du schon richtig gute Freunde, die dich pushen, oder mit Glück stabile Streetworker oder Lehrer, die Zugang zu dir finden und dir Möglichkeiten aufzeigen. Und aus all dem muss man dann die eigene Motivation entwickeln. Ohne die geht es nicht. Und dafür braucht es Leute, die den Kids genau das zeigen: wie sie sich selbst motivieren können. Leute, die das gerne machen. Nicht weil es ihr Job, sondern weil es ihre Mission ist. Leute, die den Kids immer wieder sagen oder zeigen: Ich glaube an dich. Leider gibt es davon verdammt wenige. Und wir versuchen solche Leute in unser Team reinzuziehen.“ Daniel Magel lebt seine Rolle vor.
Vom Projekt jugendlicher Selbstorganisation aus dem Stadtteil Tenever hat sich Hood Training zu einem wirksamen Konzept zum Erreichen Jugendlicher in vielen Stadtteilen entwickelt. Jeden Tag trainiert Hood Training, pädagogisch begleitet, in Tenever, Huchting, Gröpelingen, Grohn, Lüssum und Kattenturm, aber auch in Delmenhorst und Stuhr. Hinzu kommen Schul-AGs, Workshops in verschiedenen Bereichen, Feriencamps, die Arbeit in den Einrichtungen der Jugendhilfe und regelmäßige öffentliche Veranstaltungen.
Hood Training Gym
Neustes Projekt von Hood Training: Sie setzen sich für den Bau neuer Calisthenics-Anlagen ein. „Wenn auf jedem Spielplatz oder in jedem Park nicht nur die Stangen zum Turnen und Klettern für die ganz Kleinen stünden, sondern daneben auch noch welche für Jugendliche und Erwachsene – das wäre super. Oder an jeder Haltestelle eine Klimmzugstange. So hätten die Kids überall vor Augen, dass sie einfach ein bisschen Sport machen könnten, statt rumzuhängen oder die Oma an der Haltestelle anzupöbeln.“ So das Statement vom Hood Training. Stattdessen fließt das Geld in „Kunst am Bau“-Projekte, mit denen die Jugendlichen dann nichts anfangen können.
Warum kann eine Dipp-Stange nicht eine Straßenleuchte sein? Oder Trainingsgeräte eine Kunstinstallation? Warum wird so etwas nie zusammen gedacht? Es gibt ja schon einige Beispiele – Sportgeräte an Joggingstrecken etwa, aber eben noch viel zu wenige. Unsere Gesellschaft wird doch immer urbaner. Und da braucht es gefestigte Menschen. „Wir brauchen Multiplikatoren, die die positive Energie weitergeben, damit wir alle mit dem klarkommen, was auf uns zukommt. Wenn ich sehe, wie viel Geld in Rüstung investiert wird, anstatt ins Soziale, bleibt doch nur noch die Eigeninitiative,“ sagt Daniel Magel.
Was Daniel Magel auf die Beine gestellt hat, ist für die Stadt Bremen „unbezahlbar“.