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Internationales Fachmagazin für Spiel-, Sport- und Freizeitanlagen

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15.10.2015 - Ausgabe: 5/2015

Körperliche Aktivität ist ein wesentlicher Entwicklungsfaktor für das Gehirn

Von Professorin Dr. Karen Zentgraf. Westfälische Wilhelms-Universität Münster

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Die gesundheitlichen Potenziale von körperlicher Aktivität sind seit langer Zeit bekannt und inzwischen auch weitestgehend anerkannt. Dennoch scheint unsere Gesellschaft, bezogen auf alle Phasen der Lebensspanne, zunehmend einen wenig aktiven Lebensstil zu pflegen. Dass dies neben medizinisch-körperlichen Problemen weiter reichende Folgen auch auf die mentale Gesundheit und auf kognitive Leistungen („Denkleistungen“) haben kann, ist noch weniger gut erforscht. Daher haben es sich vor allem im letzten Jahrzehnt Forscherinnen und Forscher vermehrt zur Aufgabe gemacht, besser zu verstehen, welche Rolle körperliche Aktivität kurz- und langfristig für die kindliche Gehirnentwicklung und die darauf beruhenden kognitiven Funktionen hat.                              

Überblicksartikel, in denen eine größere Zahl von Untersuchungen zusammengefasst wird, zeigen, dass es positive Zusammenhänge zwischen körperlicher Aktivität und verschiedenen Denkleistungen bei 4- bis 18-Jährigen gibt. Bei den gemessenen kognitiven Leistungen handelt es sich beispielsweise um Wahrnehmungsaspekte, den Intelligenzquotienten, Komponenten der Aufmerksamkeit, aber auch sprachliche und mathematische Fähigkeiten. 

Diese Befunde bedienen sich Forschungsmethoden, die zwar nicht zweifelsfrei kausale Zusammenhänge ermöglichen, weil sie meist nur inaktivere mit aktiveren Kindern vergleichen, aber inzwischen liegen einige Studien vor, die durch kontrollierte Interventionen kognitive Veränderungen erzeugen und dann die ihnen zugrundeliegenden Veränderungen im Gehirn untersuchen. Dauerhafte, täglich durchgeführte, vielseitige und verschiedene Organsysteme beanspruchende körperliche Aktivität kann die Gehirnstruktur verändern. Auf deren verbesserte Funktionsweise kann auch bei der Bearbeitung kognitiver Aufgaben zurückgegriffen werden – so lautet ein Erklärungsansatz für die Wechselwirkungen zwischen körperlicher Aktivität und kognitiven Leistungen. Doch nicht nur langfristig durchgeführtes körperliches Training zeigt positive Effekte auf kognitive Leistungen. Einige positive Wirkungen zeigen sich auch bereits unmittelbar nach einzelnen Trainingseinheiten.

Viele wissenschaftliche Studien befassen sich mit Ausdauertraining als eine Form körperlicher Aktivität. Ausdauertraining steigert die Neubildung von Blutgefäßen und von Kontakten zwischen Nervenzellen. Doch auch verschiedene Arten von motorischem Koordinationstraining, wie z.B. verschiedene Sprungformen oder Balanceübungen, können diese Aspekte des Gehirnstoffwechsels positiv verändern. Die meisten durchgeführten Studien wurden mit Erwachsenen oder im Tiermodell durchgeführt. Es ist aber anzunehmen, dass diese Mechanismen auch bei Kindern und Jugendlichen greifen, da genau in dieser Phase das Gehirn besonders formbar ist. 

Zahlreiche andere Studien zeigen zudem positive Zusammenhänge zwischen dem Umfang körperlicher Aktivität und schulischer Leistungen – wohingegen keine wissenschaftliche Studie vorliegt, die auf Leistungsabfälle in der Schule durch Sport und körperliche Aktivität hindeutet. Zusammengenommen sprechen diese Befunde im Rahmen der Entwicklungsförderung von Kindern deutlich dafür, gerade nicht auf Bewegungspausen zu verzichten oder den Sportunterricht zugunsten anderer "kognitiver" Fächer ausfallen zu lassen. Wegen der positiven Wirkungen auf andere schulische Leistungen kann man körperliche Aktivität auch als eine Form des Denkens betrachten. Noch grundsätzlicher formuliert: körperliche Aktivität ist eine bestimmte Form kognitiver Aktivität – eine Sichtweise, die sich  in der Neurowissenschaft immer stärker durchsetzt. 

Es ist daher aus Entwicklungssicht zu empfehlen, im schulischen und außerschulischen Bereich für Heranwachsende, aber letztlich für viele Bevölkerungsgruppen nutzbare, attraktive Bewegungsangebote mit hohem Aufforderungscharakter bereitzustellen – als ein Aspekt eines gesunden und aktiven Lebensstils. 

 

Weiterführende internationale Literatur (Auszug)

 

Biddle, S. J. H. &Asare, M. (2011). Physical activity and mental health in children and adolescents: a review of reviews. British Journal of Sports Medicine, 45, 886-895.

Chang, Y., Labban, J., Gapin, J., & Etnier, J. (2012). The effects of acute exercise on cognitive performance: A meta-analysis. Brain Research, 1453, 87-101.

Hillman, C. H., Erickson, K. I., & Kramer, A. F. (2008). Be smart, exercise your heart: exercise effects on brain and cognition. Nature Reviews Neuroscience, 9, 58-65.

Sibley, B. A. &Etnier, J. L. (2003). The relationship between physical activity and cognition in children: a meta-analysis. Pediatric Exercise  Science, 15, 243-256.

Voelcker-Rehage, C., Godde, B., & Staudinger, U. M. (2011). Cardiovascular and coordination training differentially improve cognitive performance and neural processing in older adults. Frontiers in Human Neuroscience, 5, 26.

 

 

Foto: Eurotramp

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