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Internationales Fachmagazin für Spiel-, Sport- und Freizeitanlagen

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15.02.2018 - Ausgabe: 1/2018

Schulhöfe als Bildungsräume - Sieben Kriterien zur Umsetzung

Von Jun. Prof. Dr. Rolf Schwarz, Dipl. Päd., Institut für Bewegungserziehung und Sport (IfBS), Pädagogische Hochschule Karlsruhe

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„Das Wort ‚Hof‘ – in baulicher Beziehung – hat heute keinen guten Klang. Wir verbinden mit ihm den Begriff trostloser Öde. Das war nicht immer so. Es hat Zeiten gegeben, wo der Hof eines Hauses der Mittelpunkt der Anlage war und als solcher herausgehoben und dementsprechend ausgestattet wurde. Damals lag der Schwerpunkt des Lebens in der Familie, im Hause, und nichts war selbstverständlicher, als dass diesem Leben innerhalb der vier Wände ein intimer Rahmen gegeben wurde (…).“

Liest man dieses Zitat könnte angenommen werden, dass es sich um eine aktuelle Analyse eines Soziologen handelt, dessen wehmütige Sicht auf den wohnhäuslichen Hof gleichzeitig den Abgesang an den modernen schulischen Hof einläutet. Tatsächlich handelt es sich aber um eine Bestandsaufnahme aus dem Jahre 1907/1908, dessen anonymer Verfasser [1] das Bildungspotential von Höfen allgemein hervorhebt, jedoch ebenfalls den großen Mangel in der Gestaltung und Nutzung speziell von Schulhöfen beklagt. Diese 110-jährige Analogie ist bestechend und es darf historisch gefragt werden, warum sich in dieser langen Zeit im Grunde viel zu wenig zum Besseren geändert hat. Doch wie wird ein Schulhof besser?

Bereits 1836 rief Karl Ignaz Lorinser Reformvorschläge "Zum Schutze der Gesundheit in den Schulen" aus [2] und somit noch viele Jahre vor Einführung der allgemeinen Schulpflicht. Dies hatte neben den sich verschlechternden Umweltbedingungen durch die zunehmende Industrialisierung auch mit dem Verständnis von Erziehung zu tun, wann, wie oft und in welcher Intensität sich Kinder bewegen sollten und durften. Der Schulhof des 19. Jh. wurde preußisch verstanden als bloße Kompensation und aktivierende Pause für den zur Ermüdung tendierenden Sitzunterricht. Toben und Luft schnappen war zwar ausdrücklich erwünscht, aber immer unter der strengen und geordneten Aufsicht mehrerer Lehrkörper. Die Gestaltung war minimalistisch, meist mit einer großen zentralen Fläche, die mit verschiedenen Belägen versiegelt (Pflaster, Steinplatten, Asphalt) oder zumindest verdichtet war mit gebrochenem Natursteinmaterial wie Kies, Schotter, Splitt und Bindemittel. Nicht selten waren sie die Grundlage für Übungen zum Exerzieren als soldatische Vorbereitung und Disziplinierung. Zwei Weltkriege taten ihr Übriges, dass Schulhöfe weit entfernt waren von Bildungsräumen des Wohlbefindens, in denen kognitive Anregung, sozial-emotionale Fördermöglichkeiten und körperlich-motorische Herausforderungen systematisch angeboten werden - von ästhetischen Erlebnissen in lebendiger Natur mit Ausnahme des obligatorischen Hofbaumes ganz zu schweigen.

Erst Ende der 1970er und Anfang der 1980er stellte sich eine veränderte Sichtweise mit Blick auf die Schulhöfe ein, die den Hof als eigens legitimierten Spielraum, eine Aufgliederung (Zonierung) des Raumes, eine sinnvolle Ausstattung mit Geräten sowie frei gesteuertes Spielen aber auch bloßes Abhängen anstrebte. Der Schulhof wurde jetzt als Erlebnis- und Erfahrungsraum verstanden [3].

Die dritte Phase wurde durch die massiven baulichen Maßnahmen nach der deutschen Wiedervereinigung eingeläutet, in der Schulhöfe nicht nur als erzieherisches Fertigprodukt von Erwachsenen für Kinder "angeboten" werden sollten, sondern als mitgestaltbare Umwelt begriffen wurden. Schule und ihre Räume galten nun insgesamt als einwirkende Umwelt, in denen verschiedene Erlebnisbereiche der Umwelt den Schülerinnen und Schülern ausdrücklich Selbstbildung ermöglichen und Eigenaktivität sowie Selbst- und Mitbestimmung zugestanden werden sollte. Phase 3 bedeutete aber auch im Umkehrschluss, dass Schulhöfe nicht mehr nur einfache „Tobeplätze“ sein konnten. Vielmehr mussten sie Bildungsräume werden, die überfachlich gestaltet werden: ökologisch-sinnlich (ästhetisches Naturerleben), sozial-kooperativ (prosoziales Verhalten), körper- und bewegungsfreundlich, kognitiv anregend und insgesamt gesundheitsförderlich.

Schulhofgestaltung ist vor diesem Hintergrund immer auch partizipative Schulentwicklung [4, 5] und verlangt in der Konsequenz von Spielgeräteherstellern, sich stärker pädagogisch beratend und weniger werbend und verkaufend in diesen Prozess einzubinden. Dies dürfen Spielgerätehersteller durchaus als Chance und nicht als Risiko verstehen, da materielle Bildungsanlässe, wie es die Spielgeräte darstellen, nicht immer und auch nicht automatisch das volle Potential von Kindern und Jugendlichen abrufen, sondern ihren besonderen Wert auch dadurch gewinnen, dass man mit anderen Menschen das Gerät sozial interpretiert, es dadurch verfremdet, umdeutet und plötzlich aus einer normalen Schaukel eine "Weitwurfschleuder" wird [6]. Gute Spielgeräteberatung besteht folglich nicht nur im Feilbieten von Produkten (hier: Geräten), sondern von Prozessen, da Pädagogik wesentlich aus gemeinsamem Handeln (Interaktion) besteht. Schulhöfe haben das explizite Potential als systematische Interaktionsräume, die durch Bewegungs- und Spielgeräte einen gemeinsamen Anlass finden.

Der zunehmende schulische Ganztag bietet hier strukturelle Bildungsvorteile: längerer Aufenthalt in einem formalen Setting, dadurch engere Raumbindung und letztlich eine höhere Einwirkungszeit auf die Schülerinnen und Schüler. Ein einfaches Rechenbeispiel: Bei einem regulären Abruf der Sportstunden von 3 Stunden pro Woche, käme man in der gleichen Wochenzeit mit allen Teilpausen auf ca. 11-13 Stunden Hofzeit. Das heißt bei richtiger Gestaltung ist der Schulhof um ein vierfach Höheres in der Lage im Vergleich zum Sportunterricht, die eingangs erwähnten überfachlichen Bildungsqualitäten umzusetzen. Die spannende Frage ist nun, wie das systematisch gelingen kann.

Eine der besten Antworten, die bislang wissenschaftlich dazu gegeben wurden, stellen die "7 C's" dar [7], einem Katalog aus sieben Kriterien für die optimale Gestaltung von (früh)kindlichen Bewegungs- und Spielräumen allgemein, der aber unter Berücksichtigung von Motiven und Interessen von Jugendlichen auch auf Schulhöfe übertragen werden kann.

Das erste "C" steht für character und betrifft das Design, den Anblick und die Ästhetik. Dabei ist es vergleichsweise unabhängig, ob der Entwurf modern, organisch, praktisch-modular oder als Recyclingstil umgesetzt wird. Für Kinder und Jugendliche entscheidend sind evolutionär verankerte Schönheitsmaße, die sich architektonisch-ästhetisch umsetzen lassen wie Proportion und Symmetrie. Dabei darf allerdings die Komplexität des Entwurfs nicht zu hoch werden, da sehr detailreiche Schulhöfe als nicht mehr angenehm empfunden werden und Unwohlsein in der Wahrnehmung hervorrufen, oder wie es der amerikanische Mathematiker George Birkhoff mit seiner Ästhetikformel beschreibt: Das ästhetische Maß (M) wächst mit jenem der Ordnung (O) bei konstanter Komplexität (M=O/C). Kurzum: Das Schöne ist eine Nebenwirkung des menschlichen Bedürfnisses nach Ordnung, d.h. schön ist, was symmetrisch ist, weil es Ordnung vermittelt und somit Sicherheit gibt. Dieser biologisch-objektiven Schönheit steht allerdings auch eine soziokulturell beeinflusste subjektive Schönheit gegenüber, die sich historisch verändern kann und dazu führt, dass ein und derselbe Gestaltungsentwurf eines Schulhofes z.B. in China als schön bewertet und in Deutschland abgelehnt wird. Für die Ästhetik entscheidend ist somit immer auch die „Ethik des Schönen": Das Richtige ist das Schöne, das heißt schön ist, was sein soll und sein darf, weshalb Schönheit auch ein moralisches Maß ist. Auch hier gilt für Spielgerätehersteller: Flexibilität im Umgang mit Kundenwünschen führt zu einer größeren subjektiven "Schönheitscompliance".

Das zweite C ist unmittelbar damit verbunden und betrifft die clarity, also die räumliche Klarheit, Zonierung und Übersicht. Also nicht mehr oder größere Geräte, sondern weniger aber an der richtigen Stelle platzierte Bewegungs- und Spielanlässe schaffen Zufriedenheit. Was am Reißbrett klar und ordentlich aussieht, muss den Kindern und Pädagogen nicht gefallen. Praktische Gründe hierfür sind unterbrochene Laufwege durch störende Positionierung eines Großgerätes, erhebliche Sichtbeeinträchtigungen für die aufsichtsverpflichteten Pädagogen, Zerstückelung von Großflächen und Überreizung der Wahrnehmung. Hier gilt: smart is beautiful!

Stattdessen sollte die connectivity berücksichtigt werden, also die Verbindungen und Korridore zwischen den Räumen. Frei nach dem philosophischen Gedicht von Christian Morgenstern kann die connectivity wie folgt auf den Punkt gebracht werden:

"Es war einmal ein Lattenzaun, mit Zwischenraum, hindurchzuschaun. Ein Architekt, der dieses sah, stand eines Abends plötzlich da - und nahm den Zwischenraum heraus und baute draus ein großes Haus. Der Zaun indessen stand ganz dumm, mit Latten ohne was herum. Ein Anblick grässlich und gemein, drum zog ihn der Senat auch ein. Der Architekt jedoch entfloh nach Afri- od- Ameriko."

Die Quintessenz: Verbindungen zwischen den einzelnen Zonen dürfen nicht nur reine Verkehrswege sein, sondern sind Teil des Gesamtpaketes, müssen selbst Anreiz sein sich darauf zu bewegen und nicht nur der Weg zum Ziel sein, sondern der Weg selbst ist Teil des Ziels namens Bildung.

Dies alles trägt bei zur change, d.h. zur Abwechslung und zu den Übergängen. Das lateinische variatio delectat (Abwechslung erfreut) kommt dadurch zum Tragen, dass sich die Räume nicht nur in Größe und Anzahl der Geräte unterscheiden, sondern auch in der Zwecksetzung: Moderne Schulhöfe sollen keine "Halli-Galli-Bewegungsarenen" sein, sondern auch Ruhe- und Rückzugsräume, sollen das freie Spiel mit gelenkten Konstruktionsphasen z.B. in Form einer Draußenwerkstatt verknüpfen und neben technischer Kultur auch lebendige Natur anbieten, die sich im Laufe des Jahres wandelt. Das "Grüne Klassenzimmer" dient hier als Vorbild. Spielfreude durch Abwechslung, die sich zwischenräumlich, gerätetechnisch aber auch pflanzlich und vom Relief her zeigt.

Fünftens bleibt das Kriterium der challenge selbst die größte Herausforderung beim Schulhofbau, da nicht nur Kinder die Herausforderung suchen, sondern oft gleichzeitig auch Jugendliche mit eigenen Interessen. Hier sind risikoreiche, dynamische und gleichzeitig "chillende" Geräteinstallationen für Jugendliche ebenso zu beachten, wie stärker noch im Rollenspiel befindliche Grundschulkinder, die sich auch noch gerne verstecken, Fang- und Rennspiele auf offenen Flächen genießen und gerne kleine Wipp-, Rutsch-, Schaukel und Klettergelegenheiten aufsuchen. Der Grad der Herausforderung richtet sich also nach dem Nutzer (hier: heterogene Kinder und Jugendliche), nicht nach dem Käufer. Das muss insbesondere den Schulträgern klar und deutlich in der Beratung kommuniziert werden.

Eng verwandt mit diesem Kriterium ist die chance. Hierzu gehört insbesondere für Grundschulkinder auch die Möglichkeit, den Raum selbst verändern, seinen Aufbau manipulieren und nach den eigenen Vorstellungen prägen zu können. eine normtechnisch einwandfreie Bewegungsbaustelle wäre hierfür ein Paradebeispiel.

Siebtens schließlich soll eine Schule mit ihrem Hof kein abgeschotteter Raum sein, sondern die Umgebungsbedingungen einbinden, wie den nahegelegenen Park, eine Grünfläche, den Spielplatz oder Vorplätze von öffentlichen Gebäuden, also den context beachten. Aus bildungstheoretischer Sicht im Allgemeinen und bewegungspädagogischer im Besonderen müssen Schulhöfe trotz aller Vandalismusgefahr offen bleiben für die "Welt da draußen", eroberbar und räumlich begreifbar. Nicht nur das pädagogische Personal muss demnach vom hohen Wert räumlich aufwertender Spielgeräte überzeugt werden, sondern auch und vor allem der Schulträger und die Kommune, in der dieselben Kinder und Jugendliche des morgendlich-mittäglichen Schulhofes ein Spielraumkontinuum für den ganzen Tag benötigen. Der Schulhof - verstanden als Keimzelle von Freude an der Bewegung - wird dadurch zur Chance, pädagogisch-systematisch auf Kinder und Jugendliche einzuwirken, deren eigentliche Bildung aber selbständig und eigenaktiv außerhalb der Schule fortgesetzt werden soll. Je freudvoller die Schulhoferfahrungen, desto bewegungsfreudiger werden auch Räume in anderen Lebenswelten erobert. Sind Schulhöfe also der Startpunkt gelenkter Bildungspfade, so sind die (hoffentlich) risikoreicheren Freiflächen in der Stadt und Kommune mindestens ebenso wichtig für die optimale Entwicklung. Dann wird aus der gesamten Kommune/Stadt ein einziger Bewegungs- und Spielhof …

 

Quellen:

[1] Ohne Autorenangabe (1907/1908). „Der Schulhof“ . Zt. Neue Bahnen, 19 (7), 316-320.

[2] Lorinser, K. I. (1836). Zum Schutz der Gesundheit in den Schulen. Berlin: Enslin.

[3] Dietrich, K. (2004). Schulhofgestaltung konkret - Schulhofprojekte und Vorgehensweisen zur Realisierung. Ein Workshop-Bericht anlässlich des Ganztagsschulkongresses in Braunschweig. In U. Rother, S. Appel, H. Ludwig, G. Rutz (Hrsg.),  Investitionen in die Zukunft (S. 119-124). Schwalbach, T.: Wochenschau-Verlag.

[4] Derecik, A. (2013a). Freiräume im Schulgebäude. Informelle Tätigkeiten von Heranwachsenden in den Pausen von Ganztagsschulen. In R. Hildebrandt-Stramann, R. Laging & K. Moegling (Hrsg.), Körper, Bewegung und Schule. Teil 1: Theorie, Forschung und Diskussion (S. 179-198). Immenhausen: Prolog-Verlag.

[5] Hildebrandt-Stramann, R., Laging R. & Teubner J. (2014): Bewegung und Sport in der Ganztagsschule. StuBBS: Ergebnisse der qualitativen Studie. Baltmansweiler: Schneider.

[6] Bindel, T. & Schwarz, R. (2017). Sport-Räume. Entwicklungspotentiale, Problematiken und pädagogische Möglichkeiten. Zeitschrift Sportpädagogik, 41 (2), S. 2-7.

[7] Herrington, S., Lesmeister, C., Nicholls, J. & Stefiuk, K. (2008). 7 C's. An informational guide to young children’s outdoor play spaces. Zugriff am 04.12.2014 unter http://www.wstcoast.org

 

 

Foto: Prof.  Dr.  Rolf  Schwarz

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