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Internationales Fachmagazin für Spiel-, Sport- und Freizeitanlagen

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19.10.2018 - Ausgabe: 5/2018

Magischer Ort lädt zur Zeitreise ein

Iris Brunken (Stadt Aurich, Fachdienst 22 – Tiefbau)

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Wer das Wort „Häuptling“ hört und sofort an Indianer und den Wilden Westen denkt, hat in diesem Fall weit gefehlt. Wir befinden uns mitten in Ostfriesland und die Rede ist von den Oberhäuptern der Ostfriesischen Grafenfamilien aus dem Mittelalter - den Häuptlingen.

Ostfriesland-Erfahrene haben sicher schon von der „Friesischen Freiheit“, dem „Upstalsboom“ oder eben auch den „Häuptlingsfamilien“ gehört. Diese Begriffe sind eng mit der ostfriesischen Geschichte und der heimlichen Hauptstadt Ostfrieslands - der Stadt Aurich verknüpft. Lebendig werden Sie an einigen Punkten in der Stadt, wie zum Beispiel dem Auricher Schloss und den historischen Wallanlagen aber auch bei Benennungen in der Stadt wie zum Beispiel der „Cirksenastraße“ oder „Graf-Ulrich-Straße“.

Seit Ende 2016 ist Aurich um einen weiteren Ort lebendiger Geschichte reicher - den umgestalteten Häuptlingsspielplatz auf dem Nürnburger Wall.

Ausgangspunkt für die Umgestaltung war die Tatsache, dass der bereits vorhandene, öffentliche Spielplatz sehr in die Jahre gekommen und lediglich standardmäßig ausgestattet war. Damit bot er ein geringes Maß an Attraktivität und wurde nur wenig genutzt. Im Rahmen der laufenden Altstadtsanierung war außerdem vorgesehen, einen innenstadtnahen Spielplatz zu schaffen, um sowohl Einheimische als auch Touristen mit einem attraktiven Spielangebot bedienen zu können.

Die direkte Nähe zur Innenstadt und die Lage an einer wichtigen Fußwegeverbindung schienen nahezu ideal, um etwas Neues und vor allem Attraktives zu schaffen. Das Platzangebot der langgezogenen Grünfläche war optimal und sollte zukünftig in Gänze und nicht wie bisher nur zu einem Drittel als Spielfläche genutzt werden. Schnell wurde klar, dass sich hier für die eigenen Planer der Stadt Aurich ein fabelhaftes Projekt bot, bei dem man während der Planungen und hoffentlich auch nach der Fertigstellung selber noch einmal wieder zum Kind werden konnte. Dabei immer im Hinterkopf: Was würde mich als Kind oder Jugendlicher ansprechen? Was fände ich toll und interessant? Was darf auf keinen Fall fehlen? Der Wunsch nach einem Themenspielplatz kam auf und man brauchte nicht sehr lange überlegen, um dieses Thema zu finden: „Ostfriesische Häuptlinge“ in Anlehnung an die ostfriesische Geschichte.

Damit wurde man zum einen dem historisch behafteten Gelände des Nürnburger Walls als ehemalige Wehranlage gerecht. Zum anderen bot sich die Möglichkeit eine einmalige, sehr individuelle Anlage mit hohem Spielwert und einem gleichzeitig hohen Informationspotenzial für Jedermann zu schaffen. Ein weiterer besonderer Ort, an dem Geschichte in der Stadt erlebbar wird, sollte entstehen.

 

Gestaltungsideen

Die Ideen zur Gestaltung des neuen Platzes sprudelten nur so hervor: Burgtürme zum Klettern, Balanciergeräte, eine Röhrenrutsche zwischen zwei vorhandenen Bäumen, ein überdimensionierter Häuptlingsthron und eine Schlossküche, ein Burgtor mit Zugbrücke - unserer Meinung nach absolute „Must-haves“ auf dem neuen Spielplatz. Nachbildungen von historischen Funden wie zum Beispiel dem „Schwert vom Upstalsboom“ sollten ebenfalls eingeplant werden.

Das Wappen der Häuptlingsfamilie Cirksena sollte genauso seinen Platz finden wie die ostfriesischen Farben und das Wappen der Stadt Aurich. Einige Vertreter der Häuptlingsfamilien wären toll - Graf Ulrich und Gräfin Theda als Figur, durch die man Kopf und Arme stecken kann waren schließlich schnell gezeichnet.

Darüber hinaus kam die Idee zur Zusammenarbeit mit dem Historischen Museum Aurich sowie der Ostfriesischen Landschaft auf. Durch dieses Zusammenwirken sollten kindgerechte, fundierte geschichtliche Informationen erarbeitet und in die Gestaltung eingebunden werden.

Das kreative Chaos war perfekt und musste nun gesichtet werden. Die Ideen waren teilweise so ausgefallen, dass eigentlich nur ein Spielgerätehersteller in Frage käme, der überwiegend mit Holz arbeitete und dazu bereit wäre sich auf unsere individuellen Vorstellungen einzulassen und sie idealerweise sogar zu ergänzen. Außerdem sollten sich die neuen Geräte in den vorhandenen  Freiraum einfügen und nicht wie abgestellt oder auf die Fläche „gebeamt“ wirken - eine Herausforderung, die es zusammen zu bewältigen galt.

 

Realisierung

Von der Firma Spielart in Laucha hatten die Verantwortlichen der Stadt Aurich schon gehört und in verschiedenen Fachzeitschriften ganze Spiellandschaften der thüringischen „Ideenschmiede“ gesehen - ein Volltreffer für das Vorhaben. Kurzerhand wurde Kontakt zum Unternehmen Spielart  aufgenommen und innerhalb weniger Wochen in enger Zusammenarbeit per Telefon und E-Mail ein komplettes Konzept auf die Beine gestellt. Beiderseits wurden Skizzen und Zeichnungen erstellt, an denen gefeilt und gedreht wurde. So lange bis es schließlich passte, denn es gab schwierige Voraussetzungen, die es zu beachten galt.

Sowohl die Lage, als auch die Beschaffenheit des Geländes erforderten ein hohes Maß an Individualität und Ideenreichtum in der Gestaltung. Der tunnelartige Charakter der Anlage forderte eine offene Gestaltung zum Weg hin, um optisch mehr Raum zu schaffen. Die Einordung des Nürnburger Walls als Naturdenkmal machte einen sensiblen Umgang mit der Anlage in ihrer Gesamtheit notwendig. Veränderungen in der Ausformung des Geländes waren daher nur in sehr geringem Maße möglich.

Gleiches galt für die als Naturdenkmal eingestuften Bäume in diesem Bereich. Eine mächtige Lindenallee entlang des angrenzenden Weges und schützenswerte Großbäume auf der Grünfläche galt es mit viel Feingefühl einzubeziehen. Sowohl die weitreichenden Wurzelbereiche auf der Fläche, als auch die teilweise freiliegenden Wurzeln entlang des Weges erforderten eine auf ihren Schutz abgestimmte Planung sowie eine sorgsame Behandlung während der Bauphase.

Die gesamte Neuanlage des Spielplatzes sollte von dem erfahrenen und eingespielten Spielplatz-Team des städtischen Betriebshofes ausgeführt werden. Sie sind auch in der übrigen Zeit mit dem Bau und der Unterhaltung der öffentlichen Kinderspielplätze betraut und zeigen bei jedem Projekt aufs Neue, was in ihnen steckt. Der Bezug zur Anlage selber und der Anreiz zum Bau eines wahren Highlights in ihrer Stadt waren somit schon von vorherein gegeben und wirkten sich sehr positiv auf das gesamte Projekt aus. Auch die Zusammenarbeit mit einem externen Baum-Sachverständigen zahlte sich aus. Die durch ihn geleistete Umwelt-Baubegleitung brachte schnell den gewünschten Erfolg, wenn es in Sachen Baumschutz mal wieder knifflig wurde.

Nach etwa fünf Monaten der Planung, Terminen mit den verschiedenen Beteiligten, der Vorbereitung der Fläche und dem Bau der Geräte in Laucha wurde der neue Spielplatz in Einzelteilen und bereits vom TÜV abgenommen nach Aurich geliefert. Auf dem Papier lebte der Spielplatz bereits - nun ging es an die reale Umsetzung.

Das Befahren der Fläche mit Baumaschinen wurde von der zuständigen Naturschutzbehörde gewichtsmäßig begrenzt, so dass nahezu alle Erdarbeiten in Handschachtung zu erfolgen hatten. In den Wurzelbereichen der Bäume kam dies besonders zum Tragen. Die Mitarbeiter des Betriebshofes zeigten vollen Einsatz und legten binnen weniger Wochen die Fallschutzbereiche an, mauerten einen eigens entworfenen Krabbeltunnel, bauten alle Geräte auf und kümmerten sich um Vorinstallationen der geplanten Beleuchtung.

Entstanden ist dabei ein erlebnisreicher, individueller Ort, der sowohl Alt als auch Jung zum Entdecken, Erobern, Spielen und Verweilen einlädt. Der große Spielwert der gesamten Anlage zeigt sich in unterschiedlichsten Elementen:

Durch das große Eingangsportal betritt man den „Häuptlingsspielplatz Nürnburger Wall“, der auf seiner gesamten Länge von rund 90 Meter von einem blauen Band aus Holzhackschnitzeln begleitet wird. Es stellt den ehemaligen Verlauf des historischen Stadtgrabens dar, dient aber gleichzeitig als Fallschutz für einige der Spielgeräte.

Der erste Blick fällt auf den großzügig angelegten Kleinkindspielbereich. Mit Rutschenturm, Sandaufzug und Küche bietet er vielfältige Spielmöglichkeiten und Rückzugsräume. Kleine Details wie zum Beispiel der historische Kugeltopf machen das Bild komplett. Vervollständigt wird dieser Bereich durch eine Schaukelanlage sowie einen riesigen, hölzernen Thron, der zum Klettern und Sitzen einlädt.

Die Postkutsche - natürlich mit dazugehörigem Pferd - wurde in Form eines Federwippgerätes gestaltet, so dass auch hier die spielerische Bewegung im Vordergrund steht. Die Kutsche dient als Übergang zum Spielbereich für die älteren Kinder.

Sie können sich auf der großen Häuptlingsburg austoben. Hier kann in jeglichen Formen geklettert, gerutscht und getobt werden. Mehrere historische Details wurden in die Spielgeräte integriert. Eines dieser Elemente ist das „Schwert vom Upstalsboom“. Es wurde zweckentfremdet und überdimensional nachgebaut.  Nun dient es als Messlatte, mit deren Hilfe die Kinder spielerisch ihre Körpergröße ermitteln können. Ein Burgverlies bietet eine fabelhafte Versteckmöglichkeit. Die historischen Figuren Graf Ulrich und Gräfin Theda laden in diesem Bereich ebenfalls zum Spielen ein - Kopf und Arme durch die Öffnungen gesteckt - schon ist man verkleidet.

Ein weiteres Highlight der Anlage stellt der Krabbeltunnel dar. Mit seiner „Burgruinen-Optik“ fügt er sich perfekt in das Gesamtkonzept des Spielplatzes ein. Hinzu kommt, dass er sich durch seine bauliche Individualität fast mühelos an das schwierige Gelände und dessen große Höhenunterschiede anpassen ließ. In und auf ihm kann gekrabbelt, geklettert und gerutscht werden.

Der an den Tunnel angrenzende Balancierparcours eignet sich für jede Altersgruppe. Hier können sich sowohl Kinder, als auch Erwachsene in ihren Balancierfähigkeiten ausprobieren, Schrägen überwinden und wackelige Strecken bezwingen. Eine Hängematte sowie ein Ritter-Karussell vervollständigen den Parcours.  Auch hier bot die individuelle Bauweise einen erheblichen Vorteil - die Geräteteile konnten in ihrer Höhe und Ausformung sowohl an die schwierige Topografie vor Ort, als auch an den Wurzelschutz der vorhandenen Bäume angepasst werden.

Um den historischen Kontext darzustellen, sind in einigen Bereichen Informationstafeln angebracht - immer in direkter Nähe zu dem entsprechenden „Exponat“, wie zum Beispiel dem „Schwert vom Upstalsboom“. Die Texte sind für Kinder ab dem Grundschulalter verständlich geschrieben.

Durch das „kleine Burgportal“ verlässt man den Spielplatz wieder - idealerweise mit viel Vorfreude auf das nächste „Häuptlingstreffen“, oder einen Besuch im Historischen Museum, um weitere geschichtliche Informationen zu erhalten.

 

Fazit

Dank der guten und unkomplizierten Zusammenarbeit der verschiedenen Beteiligten, wurde das gewünschte Ziel, einen besonderen und attraktiven Ort zu schaffen, an dem Spiel und Geschichte zusammen funktionieren erreicht. Die Auricher sind stolz auf ihren Häuptlingsspielplatz. Er wird viel und gerne genutzt und erweist sich als echter Besucher- und Touristenmagnet.

Foto: Iris Brunken

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