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Internationales Fachmagazin für Spiel-, Sport- und Freizeitanlagen

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05.12.2018 - Ausgabe: 6/2018

Sind Spielplätze übernormiert? Der Spielplatz verkommt zur reinen Sicherheitshochburg?

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Aus den frühen Sechziger Jahren existierten teils grobe Schätzungen, wonach auf Spielplätzen und zum Spielen verwendeten Brachflächen teilweise 10 bis 20 tödliche Unfälle jährlich zu verzeichnen waren.

In den 1970er Jahren begann die Verwandlung: Hohe Klettergerüste wurden abmontiert, Rutschen entschleunigt, die Böden mit Gummimatten ausgepolstert. Weil es um das Wohl der Kinder ging, wollte man nichts dem Zufall überlassen. Anfang der Siebziger Jahre setzten sich dann erstmals Hersteller, Pädagogen und Sicherheitsexperten in Deutschland zusammen, um aus den bekannten Unfallmustern eine Sicherheitsnorm für Spielgeräte zu erarbeiten. Die erste Veröffentlichung der DIN 7926 – Kinderspielgeräte fand dann im Dezember 1976 statt. Auf nur acht Seiten wurden die wichtigsten Schutzziele beschrieben. Neben Mindestanforderungen für Geländer und Barrieren wurde eine maximale Fallhöhe und eine Mindestbodenqualität gefordert. Zudem war eine regelmäßige Kontrolle durch geeignete Personen gefordert.

1981 fand das erste Mal eine teilweise Überarbeitung statt. Diese Neuausgabe wurde vom Gesetzgeber erstmals im Anhang zum GTA (Gesetz über technische Arbeitsmittel) als eine vermutlich wirksame Sicherheitsnorm erwähnt. Sie war damit nicht verpflichtend in der Anwendung, stellte aber in den Augen des Gesetzgebers eine vernünftige Grundlage für den Bau von Spielgeräten dar.
Eine weitere Überarbeitung erfolgte im Jahre 1985. Diese Ausgabe der DIN 7926 mit wiederum nur 8 Seiten für den Teil 1 stellte dann die letzte rein deutsche Fassung einer Spielgerätenorm dar. Gleichzeitig war diese Fassung das Ausgangsdokument für den Beginn der europäischen Normung im Jahr 1989. Nach langem europäischem Ringen wurde im September 1998 die europäische Spielgerätenorm EN 1176 veröffentlicht. Der Umfang war gegenüber der DIN 7926 stark angewachsen, der Teil 1 besaß 65 Seiten. Eine geringfügige Erneuerung der EN 1176 wurde im Jahre 2003 durchgeführt, der Umfang wuchs auf 71 Seiten. Die derzeit letzte Fassung wurde 2008, jetzt mit 88 Seiten, erstellt.

Inzwischen fragt sich der eine und der andere, ob die Vorkehrungen nicht übertrieben waren. „Das Sicherheitsdenken ist außer Kontrolle geraten", behauptet Ellen Sandseter, Psychologin an der Universität in Trondheim und selbst Mutter von zwei Kindern. Erwachsene würden überall Gefahren sehen, auch wenn die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder sich verletzen, in Wirklichkeit überaus gering sei.

Zwölf Jahre lang hat Sandseter Kinderspielplätze in Norwegen, Australien und England untersucht, Erzieher befragt und Interviews mit Kindern und Eltern geführt. Ihre Ergebnisse hat sie im Evolutionary Psychology Journal veröffentlicht und behauptet, dass risikoreiches Spielen wichtig und absolut normal für die Entwicklung eines Kindes ist.

„Sicherheitsmaßnahmen werden häufig einfach deshalb vorgenommen, weil irgendjemand davon überzeugt ist, dass es funktioniert", sagt David Ball, Risikoforscher von der Middlesex University in London. Tatsächliche Sicherheit zu erreichen sei aber viel schwieriger. Es sei zum Beispiel ein Fehler, den Fokus allein auf Gegenstände zu richten. „Dabei wird die Tatsache ignoriert, dass Kinder ihr Verhalten ändern, wenn sie merken, dass Sicherheitsmaßnahmen vorgenommen wurden", sagt Ball. Viele würden ihr Risiko anschließend wieder erhöhen. Psychologen sprechen von Risikokompensation: Man wiegt sich in Sicherheit und überschätzt sich.

Schwere Verletzungen oder gar Todesfälle passieren auf Spielplätzen glücklicherweise sehr selten. Aber: Acht Seiten umfasste die Norm im Jahr 1976 – 88 Seiten im Jahr 1998! Sind unsere Spielplätze übernormiert?

 

Experten-Meinungen

Franz Danner , Dipl.-Ing.(FH), (TÜV SÜD Product Service GmbH):

„Diese Frage kann man eindeutig mit Ja beantworten. Fast alle Änderungen, die seit 1998 in die Europäische Norm EN 1176 eingeführt wurden, basieren nicht auf realen Risiken oder Unfallgeschehen, sondern sind die Folge von theoretischen Unfallszenarien. Alles was sich Erwachsene so an Gefahren ausmalen, wird versucht zu vermeiden. Begründet wird das dann immer mit dem „Worst-Case-Szenario“! Dabei bleibt der Spielwert massiv auf der Strecke, die Spielplätze werden immer eintöniger und langweiliger.

Dass aber ein kontrolliertes Risiko extrem wichtig für die Entwicklung unserer Kinder ist, zeigen uns Wissenschaftler auf der ganzen Welt.

Für mich ist es im Sinne der Sicherheit unerlässlich, dass bestehende Normenanforderungen unter verschiedensten Blickwinkeln gründlich diskutiert und auch reduziert werden.

Ziel der Norm muss es sein, Kindern vielfältige Erfahrungen auf dem Spielplatz zu ermöglichen. Dazu gehört ein altersgerechtes, wahrnehmbares Risiko. Ausschließlich Gefahren, die unkontrollierbar oder nicht wahrnehmbar sind, sollten von der Norm geregelt werden. Wir müssen Kinder in die Lage versetzten, Risiken zu erkennen und zu beherrschen. Diese Erfahrungen sind grundlegend für das weitere Leben, sei es in der Freizeit, im Verkehr oder auch im Berufsleben.“

 

Julian Richter sen. (Richter Spielgeräte GmbH):

„Sind unsere Spielplätze übernormiert? Für den Einen: Ja, für den Anderen: nicht.

Es ist nicht die Norm, die das Gefühl – manchmal auch die Wirkung: Übernormierung –  auslöst.

Es ist eher der wenig professionelle Umgang mit der Norm, der diesen Eindruck erwecken kann. Besonders dann, wenn ein nicht ganz ausgereiftes Verständnis der Norm Anwendungs- und Nutzungseinschränkungen auslöst – letztendlich zum Nachteil für die Kinder.

Ein sachgerechter Umgang mit der Norm (DIN EN 1176) bedingt erst einmal natürlich eine gute Kenntnis dieser Sicherheitsnorm. Darüber hinaus aber – und das ist fast noch wichtiger – ein Verständnis, wie sich Kinder im Spiel verhalten, welche Kraft und Fähigkeiten sie in der Bewältigung von Risiken haben. Sind sie in der Lage vorhandene Risiken

  • zu sehen
  • zu verstehen und dann
  • selbstsichernd auf diese Risiken zu reagieren?

 

So lange wir – die Erwachsenen, die Normmacher – in der Lage sind, die unstrittigen notwendigen Risiken so anzubieten, dass diese für die Spielenden ausreichend selbstsichernd händelbar sind, ist die Gefahr, die von einer Übernormierung ausgehen kann, sehr gering.“

 

Andreas Strupp (Dipl. Ing. FH (Holztechnik), Obmann Normenausschuss NA Sport 112-07-01 AA „Spielplatzgeräte“, Qualitätssicherung eibe Produktion + Vertrieb GmbH & Co. KG):

„Homo ludens der spielende Mensch! Ein Blick auf den immer größer werdenden Normenumfang möchte glauben machen: er liest und schreibt auch gerne.

Doch so lustig ist es nicht, denn mit jeder scheinbar nützlichen Normenergänzung wird es für die Anwender schwieriger wesentliche sicherheitstechnische Anforderungen zu erkennen.

Aktuell werden die Normenteile EN 1176-5 Karussells und Teil 7 Wartung und Inspektion bearbeitet – und wieder sind bereits die Entwürfe stark verändert und ergänzt. Welche sicherheitstechnischen Erkenntnisse – Unfälle - machten das erforderlich? Nur wenn ein relevantes, neues Unfallgeschehen erkannt wird, darf und muss dies in sicherheitstechnische Anforderungen münden!
Der Deutsche Normenausschuss NA Sport 112-07-01 Deutschland hat bereits bei Ausarbeitung der im Dezember 2017 veröffentlichten Normenteilen gute Arbeit geleistet. Wir werden uns auch weiter einsetzen, dass die wichtigen Anforderungen nicht durch Belangloses überlagert werden, sondern klar erkennbar bleiben.

Diese Arbeit lebt von Ihrem Engagement – auch in Europäischen Arbeitsgruppen in denen die Textentwürfe erarbeitet werden.

Ich wünsche uns Allen Schwung und Mut, uns dieser Herausforderung immer wieder neu zu stellen, Normen zu lesen, Kommentare zu schreiben. Der Lohn sind leuchtende Kinderaugen nach bestandenem Abenteuer an sicheren Spielgeräten mit überschaubaren Risiken.“

 

Ute Eckardt (GALK e. V., Sprecherin des Arbeitskreises „Spielen in der Stadt“):

„Seit Sicherheitsnormen zu Spielgeräten existieren, haben sich die Zahlen der schweren Unfälle mit Todesfolge oder bleibenden Schäden stetig rückläufig entwickelt. Mir ist seit 2013 kein solcher Unfall in Deutschland bekannt.

Kann die Normungsarbeit eingestellt werden?

Was die bisher bekannten Spielgeräte betrifft, bedarf es aus meiner Sicht seit Jahren keiner weiteren Verschärfung der Normen mehr. Die deutsche Fassung der EN 1176 beschreibt im Punkt Allgemeines sehr schön die Zielsetzung, selbstsicherndes Verhalten zu erlernen und dabei Restrisiken einer Verletzung zu akzeptieren.

Die Normänderungen sprechen allerdings eine andere Sprache. Welche schwerwiegenden Verletzungen mögen wohl dazu geführt haben, dass Schaukeln nicht mehr auf Rasen stehen können und die Fallschutzbereiche immer größer werden? Warum muss ich etwas gegen das Beklettern eines Seilnetztunnels oder einer Röhrenrutsche von außen unternehmen? Kann nicht jedes Kind erkennen, dass diese Nutzung so nicht vorgesehen ist und es hier auf eigenes Risiko handelt? Kann es nicht ein wichtiger Lerneffekt sein, solche Risiken zu erkennen und bewusst einzugehen?

Gönnen wir unseren Kindern noch ein paar Risiken, an denen sie wachsen können. Gerade der Spielplatz muss diesbezüglich ein Lernort sein. Wo, wenn nicht dort, soll das Kind Körperbeherrschung und Eigensicherung lernen?

Für neue Geräteformen, für bisher unbekannte Gefahren muss die Normung auch in Zukunft angepasst werden.  Regeln, die die Kosten der Spielplätze in die Höhe treiben, führen aber nicht zu mehr Sicherheit, sondern zu weniger Spielplätzen oder Missachtung der Regeln, wie mitunter in Nachbarländern zu beobachten ist. 

Eine Überprüfung des Nutzens aller Bestimmungen wäre deshalb wünschenswert.“

 

Dipl. Ing. Norbert Schäfer, Dipl. Ing. Helga Berger (Stadt + Natur Landschaftsarchitekten)

„Führen mehr Schilder automatisch dazu, dass der Straßenverkehr sicherer wird? Sicherlich nicht - das zeigen die Erfahrungen und die Vergleiche mit anderen Ländern, die eine geringere Beschilderungsdichte aufweisen.
Ebenso gilt für unsere Spielplätze: mehr Normen bedeuten nicht wie selbstverständlich mehr Sicherheit.

Was ist denn unser Ziel?
Kinder brauchen Freiräume, in denen sie selbstbestimmt vielfältige Erfahrungen sammeln, Herausforderungen, an denen sie wachsen können.
Dieses Lernen, dieses Abenteuer Leben wird immer mit Risiko bzw. mit Unfällen verbunden sein. Die Kinder lassen sich auf Neues, auf Unbekanntes ein und lernen im Laufe der Zeit, Gefahren zu erkennen und damit umzugehen.

Wir brauchen Spiel- und Aufenthaltsräume, die Kindern derartige Lebenserfahrungen bieten. Darüber hinaus brauchen wir aber auch eine Gesellschaft, die Kindern den entsprechenden Freiraum gibt, sich selbstbestimmt zu entwickeln.

Ein Zuviel an Normen schränkt die Gestaltungs- und die Erfahrungsvielfalt ein. Normen sollten nach unserem Verständnis vor allem den Sinn erfüllen, versteckte Gefahren und eine Überforderung der Zielgruppe auszuschließen.

Das müßte auf wenigen Seiten möglich sein. Sinnvoll wäre auf alle Fälle eine Präambel, die das inhaltliche Ziel verdeutlicht.“

 

Friedrich Blume ((Dipl.-Ing.) Sachverständiger für Spielplätze, DEULA Westfalen-Lippe):

„Eigentlich stellt sich nicht die Frage, ob unsere Spielplätze bzw. Spielplatzgeräte übernormiert sind, sondern eher die Frage, ob die Spielplatzgerätenorm noch Ihren eigentlichen Sinn verfolgt. Die eigentliche Idee der Norm besteht bzw. bestand darin, unvorhersehbare nicht kalkulierbare Risiken für Kinder zu verhindern. Sinn und Zweck der Norm ist eigentlich nie gewesen Risiken und Gefahren vollständig zu unterbinden.

Das sogenannte sportlich-spielerische Risiko (Beiblatt 2009) wird in der Norm beschrieben und soll auch angeboten werden, damit das kindliche Eigenschutzverhalten gefördert wird.

Wenn man die quantitative Entwicklung der Spielplatzgerätenormen verfolgt, zeigt sich, dass der Umfang dieser Norm beträchtlich zugenommen hat. Allein der Teil 1 (von 1998), bei dem es um allgemeine sicherheitstechnische Anforderungen von Spielplatzgeräte geht, hat von ursprünglich mal schon damals stolzen 65 Seiten inzwischen einen Umfang von 119 Seiten (Version 2017) angenommen.

Aber werden durch diese immer umfangreichere Norm die Spielplätze wirklich sicherer? In meinen Augen nicht. Die meisten schwerwiegenden Unfälle die in den letzten Jahrzehnten passiert sind, hätten bei Einhaltung der damals bestehenden Normen verhindert werden können. Demzufolge sehe ich eigentlich keine gravierenden Vorteile in den immer umfangreicher werdenden Regelwerken.

Die Nachteile aber bestehen darin, dass die Norm immer komplizierter in Ihrer Anwendung und Umsetzung für Hersteller, Planer und Spielplatzprüfer wird.

Ein Wunsch für die Zukunft??? „Back to the basics“!!!

Wirklich nur die Sachverhalte regeln, welche nachgewiesener Weise (Unfälle / kritische Situationen) eine Gefährdung für die Kinder darstellen und alle unkritischen (überflüssigen) Regelungen aus der Norm entfernen.“

 

Sandra Freidank (Planungsbüro STADTKINDER GmbH):

„Sind unsere Spielplätze übernormiert? Ich sehe die Entwicklung der DIN EN 1176 kritisch. Die Sicherheitsnorm für Spielgeräte ist mittlerweile sehr detailversessen und dazu unglaublich verklausuliert in den Formulierungen. Die Verständlichkeit der Norm leidet immens darunter, sogar Experten sind sich nicht einig, wie mancher Punkt der Norm auszulegen ist. Das eigentliche Schutzziel ist selbst für Fachleute oftmals nicht mehr erkennbar. Und sie wird dem Trend der Überfürsorge der Kinder immer mehr gerecht. Sie wird zur „Mutter aller Helicoptereltern“.

Aus meiner Sicht wird es sowohl den Landschaftsarchitekten als auch den Spielgeräteherstellern immer schwerer gemacht, kindgerechte und zugleich anspruchsvolle herausfordernde Spiellandschaften zu gestalten. Viele aktuelle Studien zeigen, dass die motorischen Fähigkeiten unseres Nachwuchses verkümmern und damit der Mut zum Risiko wenig gefördert wird. Es wird gefordert, dieser Entwicklung mit anspruchsvollen herausfordernden Spiellandschaften zu begegnen. Zugleich schränkt die immer umfangreicher werdende Norm die Ausgestaltung eben solcher Spielräume massiv ein.

Die Folgen: Planer gehen auf Nummer Sicher und gestalten nur noch anspruchslose Spielflächen. Und verantwortliche Prüfer und Kontrolleure werden immer unsicherer, was noch richtig und was falsch ist.“

 

Mario Ladu (Spielplatzmobil GmbH):

„95% der Inhalte dürften ihren Sinn erfüllen, aber der Umgang damit ist eher erschreckend! Erstrangig wurden die Normen für Hersteller von Spielplatzgeräten erarbeitet, dann wurden auch die Betreiberpflichten berücksichtigt. Mittlerweile werden von qualifizierten Spielplatzprüfern die Spielplätze nicht „frei gegeben“ weil eine Schraube 9 mm statt max. 8 mm hervorsteht, Beton der Güte B25 statt, wie in der Montageanleitung beschrieben B15 steht, eingebaut wurde. Obwohl dieser Beton hochwertiger ist. Oder die Kanten der Fasen an Holzbrettern keine 3 mm Rundung aufweisen!

Ständig werden neue Geister aus Aladins Lampe gelassen, so zum Beispiel Kontaktkorrosion, gefährliche Fundamente, giftige Substanzen und Pflanzen, Risse in Holzbauteile, sägerauhe  Oberflächen u.ä.. Neue unbegründete Pflichten werden erfunden, so zum Beispiel Zugversuche wegen der möglichen mangelhaften Standsicherheit von Spielplatzgeräten, Bohrwiderstandsmessungen wegen der Unfähigkeit Kernfäule bei Holzbauteilen zu erkennen.

Als kurzes Fazit lässt sich dieser überzogene Umgang mit den Normen dadurch begründen, dass tiefgreifende unterschiedliche Interpretationen der Ausbildungsinstitute, mit eigenen subjektiven Risikoeinschätzungen und gewünschte Alleinstellungsmerkmale der einzelnen Prüfer, einher gehen.

Auch die neue Normenreihe aus 2017/2018 und wahrscheinlich 2019 hat selbst Schutzziele verletzt und ist unverständlicher für alle Anwender geworden.“

 

Dr. Dieter Breithecker (Bundesarbeitsgemeinschaft für Haltungs- und Bewegungsförderung e.V.):

„Der Wert des selbstwirksamen Spielens - Kinder brauchen das selbstwirksame Spiel und die selbstorganisierte Bewegung. Damit ist eine wichtige Voraussetzung für Gesundheit, Bildung sowie Sozial- und Handlungskompetenz gegeben. Auch der Bedarf nach Wagnis und Risiko, nach Angeboten die „unter die Haut“ gehen, ist ein elementarer Spielwert. Diese genetisch angelegten Bedürfnisse, eine neugier- und erkundungsgesteuerte interaktive Handlung mit vielseitigen und herausfordernden Umweltanforderungen, fördern „Heran-Wachsende“ Entwicklungsprozesse und sind für unser gesellschaftspolitisches Funktionieren unabdingbar.

Jegliche Maßnahmen, die diesen anlagebedingten Selbstorganisationsprozess restriktiveren, stellen eine Entwicklungsbremse mit weitreichenden Folgen dar. Dabei ist die Norm nicht grundsätzlich das Übel. Sie ist ein „Werkzeug“, eine Empfehlung mit komplizierten Formulierungen, die nur richtig ausgelegt werden müssen und eine kompetente, kinderaffine – das was Kinder benötigen, nicht das was Erwachsene wollen - Planung (u. a. Spielgerätehersteller, Landschaftsarchitekten) benötigen. Wenn die Planung kind- und somit spielwertorientiert ist, dann ist das Beste für ihre körperlich-geistige sowie soziale Entwicklung getan. Zu überzeugen sind dann nur noch die in ihrer Anzahl zunehmenden überängstlichen Erziehungsverantwortlichen.

Die Norm ist ein Hindernis, wenn öffentliche und nichtöffentliche Freiräume lediglich „möbliert“ werden, eine Ansammlung von ästhetischen, meist übersichernden und „unkaputtbaren“ Angeboten mit geringem Spiel- und Erlebniswert. So sind beispielsweise Klettergerüste häufig nur Steiggeräte und Balanciergeräte provozieren selten komplexe Gleichgewichtsregulationen.“

 

Günter Beltzig (Belzig Playdesign):

„Spiel ist Veranlagung. Es lässt sich nicht reglementieren. Ebenso ist es mit der Sicherheit. Ich habe früh mit der Norm Kontakt gehabt. Damals war die Norm eine Sicherheitsnorm. Heute ist der sichere Spielplatz der gefährliche Spielplatz. Früher wussten Kinder mit Gefahren umzugehen. Heute herrscht ein übertriebener Sicherheitsgedanke vor. Wir haben heute Wohlstandskinder. Die Eltern geben keinen Raum für Gefahr. Wenn Erwachsene auf dem Spielplatz dabei sind, entwickeln Kinder kein Gefühl für Eigensicherung. Kinder lernen auch durch einen eventuellen Unfall. Und ein Spiel ohne Risiko ist kein Spiel. Das Kind soll Risiko haben – dieses muss aber absehbar sein und dem Alter entsprechen.

Risiko gehört zum Leben und zum Lernen. Eigenverantwortung und ein Abschätzen, was jedes einzelne Kind kann, denn: Was die Kinder heute können, haben sie gestern noch nicht gekonnt. Und was sie morgen können werden, hat ihnen heute noch keiner gesagt und sie werden es selber ausprobieren müssen.

Die Norm ist sehr praxisnah und läßt Risiken zu. Wenn das Kind sich überschätzt, muss es sich gefahrlos zurücknehmen können. Stichwort Fallschutz sei hier angemerkt.

Die Norm kann stimulierend sein! Und regelt die Kreativität. Meine Entwürfe lasse ich immer vom TÜV prüfen. Alle Änderungen führten zu einer Verbesserung meiner Entwürfe, weil ich sie sicherheitstechnisch überdacht habe.

Was stört mich an der Norm? Es ist eine reine Sicherheitsnorm. Es keine Norm, die Spielinhalte beschreibt und dazu anhält, über gute Kinderspielplätze nachzudenken.

Idealerweise sollte man den öffentlich Raum so planen, dass Kinder als gleichberechtigte Partner zu den Erwachsenen sich überall bewegen können. Ein Traum!?“

 

Wernher Böhm (böhm Landschaftsarchitektur):

„Wie ich auf den Spielplätzen der 70er und 80er Jahre überlebt habe -

Normen sind richtig und wichtig: Nach wie vor sind sie Leitplanken für alle Beteiligten eines Bauvorhabens.

Eine immer weiter ausufernde Normenmenge gilt es jedoch zu hinterfragen. Die öffentlichen Freiräume und Spielflächen sind schon seit Jahren sicherer als je zuvor, trotzdem werden immer mehr Normen geschaffen. Bleibt die Frage: Warum?

Die Norm ist mittlerweile ein Wirtschaftsfaktor. Wer glaubt, Normen dienen in der heutigen Zeit nur dem Schutze des Menschen oder einer Sache, gibt sich einem naiven Glauben hin:

Die Neuaufstellung von Normen beschäftigt Mitarbeiter vom Fensterputzer bis zum Vorstand. Würden Normen nicht stetig verändert und erneuert, könnte kein Geld damit verdient werden.

Ebenso benötigen Träger von Versicherungen und Kassen die Normen, um im Falle eines Falles die auf sie zukommenden Kosten nach Möglichkeit auf andere umzulegen – sei es der Kunde selbst oder die am Bauvorhaben Beteiligten.

 

Insofern werden wohl auch in Zukunft weiter Normen festgelegt werden – egal, ob sie sinnvoll oder unsinnig sind. Eine Übernormierung führt aus meiner Sicht nicht nur zu mehr Aufwand und Kosten für alle Baubeteiligten selbst, sondern vor allem zur Reduzierung von Eigenverantwortung und der Fähigkeit, selbst Gefahren zu erkennen und einzuschätzen. Ehrlich gesagt, frage ich mich oft, wie ich es als Kind geschafft habe, die Zeit auf deutschen Spielplätzen und Freiräumen in den 70er und 80er Jahren zu überleben, als es nur einen Bruchteil der heutigen Normen gab.

Und trotzdem verbirgt sich hinter jeder Norm natürlich auch immer der Wunsch nach Sicherheit, Klarheit und Reglement (Ordnung): Wären Naturräume auf der Erde unter Berücksichtigung von Normen geschaffen worden, wäre es mit Abstand viel sicherer, aber auch viel unattraktiver und langweiliger auf unserer Erde zu leben.“

 

Peter Schraml (Massstab Mensch):

„Sind unsere Spielplätze übernormiert? Um dies zu beantworten, möchte ich beleuchten, welche Entwicklungen den Umfang der Norm immer weiter anwachsen ließ: Die heute gültige DIN EN 1176 ist eine europäische Norm. Im Vergleich dazu war die Vorgängernorm, die DIN 7926, ein rein deutsches Produkt. Bei der letzten Überarbeitung der DIN EN 1176 hatte allein der deutsche Normungsausschuss über 164 Kommentare und von allen beteiligten Ländern gab es 116 Seiten Kommentare zu Veränderungen / Normierungsbedarf. Die erforderlichen demokratischen Entscheidungen, ließen den Umfang der Norm ansteigen. Neu ist zudem bei der DIN EN 1176 das umfangreiche, erklärende Bildmaterial.

In vielen Menschen ist der Wunsch vorhanden, für das eigene Handeln klare, Sicherheit bietende Vorgaben zu haben. Dieser Wunsch spiegelt sich auch in der Normungsarbeit wieder. Bereiche, die nicht umfangreich geregelt sind - weil u.U. gar nicht nötig - ausführlich und mit konkreten Massen zu beschreiben. Mit Blick auf die letzten hundert Jahre ist das Sicherheitsdenken der Menschen so geprägt worden - seit knapp 20 Jahren findet hier ein Umdenken - auch durch den Gesetzgeber statt, indem statt konkreter Vorgaben Schutzziele formuliert werden, mit denen wir oft (noch) nicht umgehen können.

Damit trägt die Norm dem Wunsch nach Absicherung von Seiten der Spielgerätehersteller sowie der Spielplatz-Betreiber und -Prüfer Rechnung: Sie alle müssen ihren Verkehrssicherungspflichten gerecht werden und dies entsprechend nachweisen. Dies ist auch deswegen nötig, weil bei vielen Menschen die Klagebereitschaft deutlich gestiegen ist: Selbst bei geringen Verletzungen, die sich ein Kind auf einem Spielplatz zuzieht, wird ein "Schuldiger" gesucht – und die Verantwortung für das eigene Handeln oft nicht gesehen. Auch die Rechtsprechung greift hier noch auf "alte" Werte zurück.

Bei all dem stellt die Einhaltung der Norm nur eine der Möglichkeiten dar, Spielplätze und Spielplatzgeräte sicher zu gestalten. Die gleiche Sicherheit kann auf andere Art und Weise erreicht werden, es muss also nicht mehr normiert werden: Besinnen wir uns auf den Grundsatz der Normunsgarbeit, dass nur das normativ geregelt werden muss, wo eine sicherheitstechnische Gefahr existiert, würde allein dies den Umfang der Norm reduzieren.

Seit Bestehen der Norm DIN EN 1176 liegt die Anzahl der schweren Unfälle gleichbleibend bei ca. 1 tödlichen Unfall / Jahr. Mehr Eigenverantwortung zu übernehmen und Kinder anzuleiten, statt schuldhaftes Verhalten bei anderen zu suchen, könnte hier weitere positive Entwicklung schaffen. Dieses Problem betrifft nicht nur die Spielplatzgerätenorm sondern auch viele andere Normen und Bereiche.

Denn momentan besteht ein ganz anderes Problem: Viele Kinder können nicht mehr frei kreativ selbstständig spielen, verbringen immer weniger Zeit draußen und erkennen immer weniger Gefahren selbstständig.“

 

Jobst Seeger (Landschaftsarchitekt):

„Gesellschaftliche Veränderungen fordern neben neuen Spielerlebnissen und neue Spielgeräte, die mit-unter das geregelt Feld verlassen und neue Regelungen erfordern. Auffällig ist, dass die steigenden Seitenzahlen der Norm in keinem Verhältnis zu den geringen und konstanten Unfallzahlen der vergangenen Jahre stehen. Wichtig ist eine schlüssige Norm, die nicht jeden Einzelfall behandelt. Normen dürfen die Risikoqualitäten eines Spielplatzes nicht soweit absenken, dass ein Spielplatz vom Erlebnisraum zum Aufenthaltsraum wird, dann ist der Weg zur Abstellkammer nicht weit. Die Geschichte hat gezeigt, dass es wichtig war regelmäßige Kontrollen einzuführen, auch die Aufnahme von Fangstellen in die Norm hat Unfallzahlen gesenkt. Dazu brauchte es richtungsweisende Normen, die sich nicht in Details verlieren. Die daraus entstandene aktuelle Norm ist, an der Vielzahl der von ihr behandelten Spielmöglichkeiten gemessen, ausreichend detailliert. Ein weiteres Anwachsen der Norm in eine größere Detaillierung wird die Erlebniswelt Spielplatz beschneiden. Kinder brauchen Herausforderungen, um sich an neuen Risiken zu versuchen, zu lernen diese zu meistern und daran wachsen. Für viele Kinder ist der Spielplatz der einzige Ort an dem sie ihre Risikoeinschätzung trainieren können, dieses Angebot gilt es zu bewahren.“

 

Steffen Strasser (playparc Allwetter-Freizeit-Anlagenbau GmbH):

„Ist der Spielplatz übernormt: Ich denke, dass die Entwicklung der Europa-Norm seit Ihren Anfängen ihren Zweck erfüllt und schwere Verletzungen auf europäischen Kinderspielplätzen stark reduziert hat. Bei der zukünftigen Normentwicklung muss jedoch darauf geachtet werden, dass absolut notwendige Spielrisiko nicht zu eliminieren und Innovationen nicht zu sehr mit engen Regeln einzuschränken.

Der einzigartige Charakter der Europäischen Norm liegt aber auch darin, dass Spielideen, Konzepte und Produkte den Kindern in ALLEN europäischen Ländern zur Verfügung gestellt werden können. Ohne eine Europa-Norm wäre dies um einiges schwieriger, wenn nicht gar unmöglich. Ich bin der festen Überzeugung, dass eine gute Norm zu aller Vorteil ist.

Foto: Franz Danner

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