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Internationales Fachmagazin für Spiel-, Sport- und Freizeitanlagen

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11.10.2011 - Ausgabe: 5/2011

Bewegung als Schlüssel zur gesunden Entwicklung

Von Susanne Krug und Prof. Klaus Bös

Bewegungen im Sinne von Bewegungshandlungen sind daher viel mehr als nur Ortsveränderungen eines Körpers und haben einen hohen Stellenwert für die Gesamtpersönlichkeitsentwicklung eines Kindes. Schon Piaget (1991) und Kiphard (1989) haben diese Zusammenhänge betont und eine ganzheitliche Betrachtung der Entwicklung befürwortet. Wir sprechen heute auch von Begreifen durch Greifen, um diese Bedeutung von Bewegung für die kindliche Gesamtentwicklung deutlich zu machen.

Bedeutung der Bewegung für die kindliche Entwicklung

Für die kindliche Entwicklung sind Bewegung und Sport von großer Bedeutung — vor allem für die motorische, aber auch für die Persönlichkeitsentwicklung. Bewegung ist die Grundlage einer gesunden menschlichen Entwicklung. Kleinkinder lernen ihren Körper durch Bewegung kennen.
Am Anfang sind ihre Bewegungen noch eckig und unkoordiniert. Nach der Grobmotorik entwickelt sich die Feinmotorik, die Bewegungen werden runder und das Kind kann sie gezielter steuern. Kinder lernen nicht nur ihren Körper, sondern auch ihre Umgebung durch Bewegung kennen. Sie ertasten Gegenstände und deren Oberflächen und erfahren durch wiederholte Handlungen praktische physikalische Gesetze („Wenn ich meinen Becher vom Tisch stoße, fällt er hinunter und mein Getränk läuft aus.“). Durch ihre (wiederholten) Bewegungen verbessern sie ihre elementaren Fertigkeiten. Später im Vorschulalter erweitert sich das Bewegungsverhalten durch sportliche Erfahrungen. Diese werden beim Bewegen mit Gleichaltrigen, Erziehungspersonen oder Eltern ergänzt durch das Erleben von Emotionen und verschiedenen
sozialen Schlüsselkompetenzen (z. B. sich absprechen und Absprachen einhalten, Konflikte lösen, kommunizieren, anderen helfen und Hilfe annehmen, eigene körperliche Stärken und Grenzen erfahren). „Das Kindesalter ist eine Zeit rasanter Entwicklung. Es ist gekennzeichnet durch eine fortschreitende, starke Ausdifferenzierung der kindlichen Persönlichkeit im motorischen, kognitiven, motivationalen und sozialen Bereich.“ (Rethorst et al. 2008)
Bewegungsaktive Kinder schneiden hinsichtlich der Gesundheitsindikatoren besser ab, insbesondere in den Bereichen Fitness, gesundheitliches Wohlbefinden sowie sozialer Rückhalt. Zudem weisen sie in einigen Bereichen weniger körperliche Beschwerden auf. Dies zeigte die Arbeitsgruppe von Sygusch, Brehm und Ungerer-Röhrich 2003 anhand repräsentativer Forschungsstudien.

Tabelle 1.1 fasst zusammen, auf welchen Ebenen Bewegung für eine gesunde Entwicklung im Kindesalter von Bedeutung ist.

Körperliche Entwicklung • Entwicklung des Bewegungsapparates, Entwicklung der Sinnesorgane, Entwicklung des Nervensystems, Förderung des Haltungsbewusstseins, Förderung des Herz Kreislaufsystems, Förderung des Atmungssystems, Stabilisation des Immunsystems, Steigerung der Leistungsfähigkeit
Motorische Entwicklung • Körper- und Bewegungserfahrungen, Wahrnehmung und Koordination, Entwicklung von Bewegungsformen, Realistische Einschätzung eigener Fähigkeiten, Belastungsempfinden – Entspannung
Psychosoziale Entwicklung • Vermittlung von Gefühlen wie Freude und Grenzen, Entwicklung von Selbstständigkeit, Selbstvertrauen, soziales Miteinander, soziale Kompetenz, Stressbewältigung
Kognitive Entwicklung • (Be)greifen von Zusammenhängen, Unterstützung des ZNS, Aufmerksamkeit/Lernfähigkeit, Sprachentwicklung, räumliche und zeitliche Vorstellung

(Tab. 1.1: Die Entwicklungsebenen, auf die sich Bewegung positiv auswirkt (nach Dordel/ Kunz, 2005))

Bereits in den 90er Jahren wurden Aktivitätsrichtlinien für Kinder und Jugendliche entwickelt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO 2008) empfiehlt eine tägliche Bewegungszeit von mindestens 60 Minuten mit moderater oder hoher körperlicher Aktivität. Damit sind ab dem Vorschulalter körperliche Aktivitäten gemeint, die Auswirkungen auf das Herz- Kreislauf-System der Kinder haben, sie zum Schwitzen bringen und ihren Puls erhöhen. Mit dieser Richtlinie will die WHO eine normale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen gewährleisten und gesundheitliche Effekte erzielen.

Forschungsergebnisse zum aktuellen motorischen Entwicklungsstand

Die durch die WHO aufgestellte Aktivitätsrichtlinie erfüllen lediglich 31,9 Prozent der vier- bis fünfjährigen Kinder in Deutschland (Bös et al. 2009). 35,4 Prozent der Jungen und nur 28,4 Prozent der Mädchen erreichen diesen empfohlenen Mindestumfang an 60-minütiger körperlichsportlicher Aktivität pro Tag. Dies zeigen Forschungsergebnisse des Motorik- Moduls, das im Rahmen des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS) des Robert Koch- Instituts in Berlin (RKI) durchgeführt wurde. Es sind dies die ersten repräsentativen Daten zum Bewegungsverhalten und zur Motorik von Kindern und Jugendlichen in Deutschland.
Auch wenn laut Motorik-Modul (Bös et al. 2009) heute 52,1 Prozent der vier- bis fünfjährigen Kinder für 1,5 Stunden pro Woche im Sportverein körperlich aktiv sind, kann die mangelnde Alltagsbewegung dadurch offensichtlich nicht ausgeglichen werden. Eine Vielzahl an Studien belegt, dass sich die motorische Leistungsfähigkeit von Kindern in den letzten Jahren um rund 10 Prozent verschlechtert hat (Bös 2003; Dordel 2000, Gaschler 1999, 2000, 2001; Rethorst 2003) und der Anteil an übergewichtigen und adipösen Mädchen und Jungen gestiegen ist (Wabitsch 2004).

Entstehung und Folgen von Bewegungsmangel

Der natürliche Bewegungsdrang der Kinder wird in der heutigen bewegungsarmen Gesellschaft oft vernachlässigt, etwa durch Zeitmangel, oder durch Warnungen vor Gefahren stark eingeschränkt. Im Alltag legen die Kinder die länger gewordenen Wege zwischen Kita, Verein, Musikschule und Freunden oft passiv im Auto zurück. Bebaute Grundstücke verhindern das freie Spielen um die Ecke, und Spielplätze an befahrenen Straßen scheinen zu gefährlich, um Kinder dort unbeaufsichtigt spielen zu lassen. Für solche Aufsichten haben manche berufstätigen Elternpaare wenig Zeit. Die Kinder beschäftigen sich im Alltag deshalb oft im eigenen Heim mit Spielgeräten oder dem Fernseher. Diese haben in unserer Informations- und Unterhaltungsgesellschaft an Attraktivität gewonnen und sind für heutige Kinder anziehender als selbst erfundene bewegungsaktive Spiele mit Freunden im Freien, die früher die Hauptfreizeitbeschäftigung im Kindesalter darstellten.
Bewegungsmangel bremst die motorische Entwicklung und führt zu mangelnder Fitness. Durch fehlende Fertigkeiten verlieren die Kinder ihre natürliche Bewegungsfreude und dies führt wiederum zu weiterer Passivität. Bewegungsmangel stört zudem das Gleichgewicht zwischen Energieaufnahme und -verbrauch und geht oft einher mit unausgewogener Ernährung. Übergewicht, weitere Unlust an Bewegung und allgemeine psychische, physische und soziale Unzufriedenheit schließen den Teufelskreis.
Bewegung ist außerdem mit gesellschaftlichen Kontakten verbunden: Die Kommunikation mit Freunden ist bei passiven Freizeitbeschäftigungen (z. B. Fernsehen) deutlich geringer als beim Spielen auf der Wiese. Die Folgen des Bewegungsmangels begleiten Kinder auf ihrem gesamten Lebensweg. Aus diesem Grund sollte das Leben der Heranwachsenden auf einem gesunden Fundament stehen.

Verantwortung der Gesellschaft

Erwachsene sind mit ihrem Verhalten die wichtigsten Vorbilder für Kinder. Sie sollten Spaß an Bewegung ausstrahlen, einen aktiven Alltag vorleben und sich mit den Kindern bewegungsaktiv beschäftigen. Nur so können die Kinder ihren natürlichen Bewegungsdrang ausleben und ihre Bewegungsgewohnheiten aufrechterhalten. Die Kita ist die erste Form institutionalisierter Erziehung. Die Kita trägt heute verstärkt Verantwortung für die Gesundheitsbildung der Kinder. Hier kann auf Lebensgewohnheiten, wie z. B. Einstellung zum eigenen Körper oder Bewegungs- und Essverhalten, Einfluss genommen werden. Und das schon in einem sehr frühen Lebensalter, denn inzwischen besuchen immer mehr Kleinkinder unter drei Jahren eine Kita.

Bewegungsbildung als Aufgabe für Kitas

Die von den Bundesländern herausgegebenen Bildungs- und Erziehungspläne für den Elementarbereich verstehen Bildung im Sinne der Förderung grundlegender Kompetenzen. Die Forderung nach motorischer Förderung steht dabei nicht in Konkurrenz zu anderen Bildungsaufträgen, sondern sollte diese ergänzen und unterstützen. So stellt Bewegung auch ein Fundament für andere Lern- und Entwicklungsprozesse wie zum Beispiel die Sprachentwicklung dar. Bildung meint Autonomie (Selbstwirksamkeit, Selbstbestimmung) und Verbundenheit (Bindung, Zugehörigkeit). Daher sind die von Zimmer (2006) geforderten Angebote von freien, selbstbestimmten Bewegungsaktivitäten, aber auch angeleitete und auf besondere Bedürfnisse der Kinder ausgerichtete Bewegungsangebote für die Bildung in der Kita unerlässlich.
Einerseits sollen in der Kita die motorischen Fähigkeiten der Kinder gezielt gefördert werden. Hierzu gibt es eine Vielzahl entwickelter Programme, die pädagogische Fachkräfte einer Kita regelmäßig umsetzen und individuell an die Kinder anpassen sollten. Kinder sollen andererseits jedoch auch lernen, ihre körperlichen Grundbedürfnisse zu spüren und diese auszuleben. Der Drang nach Bewegung ist für Kinder (noch) ein Bedürfnis wie Durst und Hunger. Sie sollten diesem Bedürfnis in der Kita nicht nur durch festgelegte Bewegungszeiten mit initiierten Angeboten regelmäßig nachkommen können, sondern auch die Möglichkeit erhalten, außerhalb dieser Zeiten ihren Drang nach Bewegung auszuleben. Dabei sind sie selbst gefordert, die für sie selbst passenden Bewegungs- und Spielformen zu finden und zu erproben.

Motivation und Perspektive

Durch die aktuelle Situation der heutigen Kindheit und die darauf aufbauenden Bildungs- und Erziehungspläne sind die Anforderungen an Kitas weiter gestiegen. Vor allem die Aufgaben im Bereich der Bewegung sind nur umsetzbar, wenn pädagogische Fachkräfte neben theoretischem Wissen zur kindgerechten Bewegungserziehung selbst Freude an Bewegung und viele Bewegungserfahrungen haben. Verschiedene Fortbildungsangebote sollen die Erziehenden in Kitas unterstützen, neben methodischdidaktischen Vorgehensweisen in der Bewegungserziehung für Kinder, eigene praktische körperliche Erfahrungen zu sammeln, um damit den neuen Anforderungen gerecht zu werden. Die Aufgabe pädagogischer Fachkräfte bleibt jedoch die zielgerichtete und kindgerechte Umsetzung der Bewegungserziehung im Kita-Alltag. Einige geforderte Bildungsziele lassen sich gut mit Bewegung verbinden und sollten in der Kita miteinander verknüpft werden, um die Kinder einen gesunden und ausgewogenen Alltag erleben zu lassen, an den sie sich gewöhnen und an dessen Gewohnheiten sie später festhalten können. Lebensweisen zählen zu stabilen Persönlichkeitseigenschaften, die später nur mit sehr viel Arbeit und Disziplin korrigiert werden können.

Zum Bereich der Bewegung zählen folgende Angebote:
• Kleine Bewegungsspiele (z. B. Bewegung und Sprache)
• Bewegung im Sinne von Austoben und Erleben
• Bewegung und Entspannung
• Bewegung und Hygiene
• Bewegung und Ernährung

Pädagogische Fachkräfte in den Kitas sollten sich ihrer Verantwortung bewusst sein und Bewegungserziehung umsetzen sowie diese in den Kita-Alltag integrieren. So kann das Fundament für eine gesunde Entwicklung im Kindesalter gelegt werden. Darüber hinaus kann das Vorleben eines gesunden Alltagslebens in der Kita auch im privaten Bereich zum Reflektieren der eigenen Gewohnheiten und eventuell sogar zur Änderung des eigenen (Bewegungs-)Verhaltens führen. Auch für Erwachsene ist Bewegung der Schlüssel zu einer gesunden Entwicklung, und zwar das ganze Leben lang.

 

peb-Praxishandbuch "Gesunde Kita - starke Kinder"
Aus der Praxis für die Praxis, unter dieser Prämisse entwickelte die Plattform Ernährung und Bewegung e.V. (peb) das Praxishandbuch zur erfolgreichen Gesundheitsförderung in Kindertagesstätten. Neben den beteiligten pädagogischen Fachkräften steuern u. a. Prof. Klaus BÖS (Bewegung als Schlüssel zur gesunden Entwicklung), Prof. Ulrike UNGERER-RÖHRICH (Stärken stärken – Schatzsuche in der Kita), Eva REICHERT-GARSCHHAMMER (Gesundheitsförderung in den Bildungsplänen) und Prof. Wolfgang TIETZE (Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung) praxisorientierte Fachbeiträge bei.
Praxishandbuch Gesunde Kita – Starke Kinder!, Plattform Ernährung und Bewegung e.V. (Hrsg.), 1. Auflage 2011, © 2011 Cornelsen Verlag Scriptor GmbH & Co. KG, Berlin
ISBN 978-3-589-24708-0.
 

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