Ballspiel im öffentlichen Freiraum - vom „Fußballkäfig“ zu multifunktionalen Spielräumen
Von Dagmar Grimm-Pretner, Karl Grimm
In Wien weist die großflächige Rasterbebauung des 19.Jahrhunderts wenig öffentlichen und privaten Freiraum auf. Die kleinen Parks in Größe der Baublöcke – von den Wienerinnen und Wienern „Beserlparks“ genannt – sind stark genutzt. Die wohnungsnahen Freiräume sollen zahlreichen Anforderungen gerecht werden. Viele Jahrzehnte lang wurden die Parks nach funktionsbezogenen Ansätzen gestaltet und Bereiche verschiedener Nutzungen nebeneinander angeordnet. Zur Standardausstattung zählte ein umzäunter Bolzplatz von wenigen Hundert Quadratmetern Fläche – in Wien Fußballkäfig genannt. Er wurde oft zentral platziert und dominierte die kleinen Grünräume akustisch und atmosphärisch. Den unterschiedlichen Spiel-, Sport- und Beschäftigungsinteressen von Burschen und Mädchen wurde kaum Rechnung getragen, denn es fehlten sowohl das Problembewusstsein als auch Lösungsansätze.
Empirische Untersuchungen der späten 1980-er Jahre belegten, dass Mädchen öffentliche Parks und Plätze deutlich weniger nutzen als gleichaltrige männliche Kinder und Jugendliche. Die Ursachen der geringeren Präsenz von Mädchen sind komplex, aber die Gestaltung und Ausstattung des öffentlichen Freiraums spielt eine bedeutende Rolle. Zwischen 1998 und 2009 konnte die Leitstelle Alltags- und Frauengerechtes Planen und Bauen der Stadt Wien geschlechtssensible Planung weiter entwickeln und breit etablieren. Seither werden Ideen, Strategien und bauliche Maßnahmen erprobt und umgesetzt, um die Chancengleichheit zu erhöhen und Parks für Mädchen und Burschen gleichermaßen attraktiv zu gestalten.
Die Freiraumqualität eines Stadtquartiers wird wesentlich von Quantität, Angebotsvielfalt, Multifunktionalität, Identität und Erhaltungszustand bestimmt. Der Bolzplatz ist dabei ein bedeutendes Einzelelement, denn er kann über seine Grundfläche hinaus die Verfügbarkeit öffentlicher Räume einschränken oder eine integrative Rolle als Bewegungsfläche für alle einnehmen.
Im klassischen Fußballkäfig ersetzen 5 bis 6 m hohe Gitterwände und eine Netzabdeckung fehlende Pufferzonen außerhalb des Spielfeldes. So sind auf kleinem Raum wuchtige Ballbewegungen möglich, ohne dass der Ball den Spielbereich verlässt. Die Möglichkeit zu rücksichtslosem Spiel unterstützt die exklusive Besetzung des Raums, wobei ältere Jugendliche die Kinder und männliche die weiblichen Nutzer verdrängen.
Eine gewünschte größere Vielfalt an Nutzungsmöglichkeiten und größere Offenheit für verschiedene Nutzergruppen wird unter den gegeben, sehr beschränkten Platzverhältnissen durch die Variation und Kombination von wenigen Gestaltungsansätzen erreicht:
Der geschlossene Käfig wird geöffnet. Das erfolgt durch Vergrößerung der Eingangsbereiche, durch Weglassen von seitlichen Gitterelementen oder durch Ersatz der Ballfanggitter durch Geländemodellierung. Der nicht mehr vollkommen geschlossene Raum bedingt rücksichtsvollere Spielweisen. In den Eingangsbereichen verbessern Sitzmöglichkeiten, Ablageflächen und eine gute Sicht auf das Spielfeld die Aufenthaltsqualität und ermöglichen neben dem aktiven Spiel eine Teilhabe am Geschehen.
Die Monofunktionalität des Fußballkäfigs wird durch die Anlagerung weiterer Angebote wie Streetballkörbe oder Volleyballfelder aufgelöst. Auch einfache harte Oberflächen erlauben vielfältige spielerische Nutzungen im Vorfeld des Bolzplatzes. Im Käfig bleibt die wuchtige Spielweise möglich, außerhalb sind andere Ballspiele oder weniger kraftvolles Spiel möglich. Alle spielenden Gruppen haben einander im Auge, ein rasches Wechseln auf ein frei werdendes Spielfeld ist möglich.
Ein weiterer Ansatz ist eine Gliederung des Innenraums im Käfig. Mehrere Spielfelder werden durch Sitzmöbel, Bestandsbäume oder niedrige Gitter voneinander getrennt. Die ausgeprägt wuchtige Spielweise wird eingebremst, weil der Ball in anderen Spielfeldern landet. Der gesamte Ballspielbereich bleibt jedoch abgeschirmt.
Diese wenigen Grundansätze ermöglichen in Abhängigkeit der örtlichen Rahmenbedingungen vielfältige Lösungen. Etliche Varianten wurden in den letzten Jahren in Wien realisiert.
Platzmangel im Freiraum kann nicht alleine durch die bauliche Ausgestaltung kompensiert werden. Sozialpädagogische Ansätze helfen bestehende Gruppenhierarchien in Parks zu durchbrechen. In Wien wird dieses Konzept seit 1993 mit der sogenannten „Parkbetreuung“ umgesetzt.
Die Entwicklung der Bolzplätze von Fußballkäfigen zu multifunktionalen Spielflächen kann als Vorreiter für weitere Ansprüche an den öffentlichen Freiraum gesehen werden. In dichtbebauten Stadtquartieren wird es in Zukunft vermehrt um die Überlagerung von verschiedenen Funktionen in kleinen öffentlichen Freiräumen gehen. Mehrere Entwicklungen unterstützen diese Tendenz: Der Vereinssport verliert an Bedeutung und der öffentliche Freiraum wird daher von Erwachsenen für Bewegung und sportliche Betätigung stärker in Anspruch genommen als früher. Die Gesellschaft altert sportlicher. Gesundheit und Wohlbefinden und der Erhalt der körperlichen Fitness sind Motive, dass mehr Menschen jenseits der 50 Jahre sportlich aktiv sind. Auch diese Gruppe sucht geeignete und attraktive Bewegungsmöglichkeiten im öffentlichen Raum.
Auf der bautechnischen Ebene ist die weitere Entwicklung der Bodenbeläge und der Ballfangvorrichtungen gefordert, um Lärmemissionen zu reduzieren und sportmedizinische Anforderungen zu erfüllen.
Kreative räumliche und gestalterische Lösungen, in Kombination mit innovativen Materialien sind notwendig, um in Zukunft hohe Freiraumqualitäten in den dicht bebauten Stadtquartieren zu sichern.
Weitere Informationen:
Ass.Prof. Dipl.-Ing. Dr. Dagmar Grimm-Pretner (Institut für Landschaftsarchitektur (ILA) /Universität für Bodenkultur Wien)
Dipl.-Ing. Karl Grimm (Karl Grimm Landschaftsarchitekten Wien)
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